Interview
NRW-Minister über Organspende:"Katastrophale Situation auf Wartelisten"
von Katia Rathsfeld
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In der Debatte um eine Organspenderegel-Reform spricht sich NRW-Gesundheitsminister Laumann für die Einführung einer Widerspruchslösung aus. Er warnt vor einer katastrophalen Lage.
Es sei "wichtig, dass die Menschen zu Lebzeiten entscheiden", ob sie ihre Organe spenden wollen, sagt Karl-Josef Laumann.24.06.2024 | 5:20 min
In der Debatte um Änderungen der Organspende-Regeln hat sich der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erneut für die Einführung der sogenannten Widerspruchsregelung bei Organspenden ausgesprochen. Im ZDF-Morgenmagazin betonte er, dass er es für zulässig halte, den Menschen zu Lebzeiten die Entscheidung über eine Organspende zuzumuten.
Eine fraktionsübergreifende Gruppe im Bundestag will die Organspende neu regeln. Bei der Widerspruchslösung müsste dann jeder, der nicht spenden will, aktiv widersprechen.24.06.2024 | 1:17 min
Bislang gilt Zustimmungslösung
Dabei sei die Entscheidung bei der Widerspruchslösung auch weiterhin freiwillig und "immer moralisch in Ordnung - egal ob er sich für oder gegen Organspende entscheidet", betonte Laumann. Derzeit sind Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.
Mögliche Organspende-Regelungen
Bei der Zustimmungslösung können nur dann Organe und Gewebe entnommen werden, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organspende ausdrücklich zugestimmt hat. Die Organspende soll damit eine bewusste und freiwillige Entscheidung sein. Nach der erweiterten Zustimmungslösung wird eine fehlenden Erklärung der verstorbenen Person weder als Ablehnung noch als Zustimmung gewertet, sondern lediglich als Nichterklärung. Deshalb werden in diesem Fall die nächsten Angehörigen angefragt. Diese müssen den mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person berücksichtigen. Wenn die nächsten Angehörigen einer Entnahme zustimmen, so ist diese zulässig. Der Wille der verstorbenen Person hat aber - falls er vorliegt - in jedem Fall Vorrang gegenüber demjenigen der nächsten Angehörigen.
Die Entscheidungslösung ist eine Ausweitung der erweiterten Zustimmungslösung, die der Bundestag 2012 beschlossen und 2020 noch einmal ergänzt hat. Sie verpflichtet die Krankenkassen und Versicherungen, ihren Kunden regelmäßig Informationen über die Organspende zukommen zu lassen. Alle Bürger sollen sich auf der Grundlage fundierter Informationen mit der eigenen Spendebereitschaft auseinandersetzen.
Der Staat geht dabei davon aus, dass grundsätzlich jeder Bürger ein potenzieller Organspender ist - außer, er hat nicht ausdrücklich widersprochen. Schweigen wird also als Zustimmung gewertet. Ein Nein zur Organspende kann etwa in einem Widerspruchsregister dokumentiert werden. Bei einer erweiterten oder doppelten Widerspruchslösung kommen auch die Angehörigen ins Spiel: Hat der Patient keine schriftliche Äußerung hinterlassen, werden sie befragt, wie der Betroffene zur Organspende stand. Anders als bei der Zustimmungsregelung haben sie selber allerdings kein Mitentscheidungsrecht.
Bei der sogenannten Reziprozitätslösung erhält derjenige, der sich selber als potenzieller Spender registrieren lässt, im Gegenzug im Krankheitsfall bevorzugt selber ein Organ. Das würde einen Anreiz erhöhen, sich als Spender registrieren zu lassen und gleichzeitig für mehr Gerechtigkeit sorgen, weil Trittbrettfahren verhindert wird.
Quelle: KNA
Quelle: KNA
Laumann: Katastrophale Situation auf Wartelisten
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten will am Montagvormittag eine fraktionsübergreifende Initiative für eine Reform der Spenderegeln vorstellen. Ein erster Anlauf für eine Widerspruchslösung war 2020 im Bundestag gescheitert. Kürzlich hatte bereits Nordrhein-Westfalen mit mehreren weiteren Ländern einen Vorstoß in diese Richtung unternommen, über den derzeit im Bundesrat beraten wird. Ziel ist es, die Bereitschaft zu Organspenden zu erhöhen.
Die neue Initiative vorstellen wollen sechs Abgeordnete von SPD, CDU, CSU, Grünen, FDP und der Linke-Gruppe. Hintergrund ist, dass es weiterhin zu wenig Organspenden gibt. Rund 8.400 Menschen stehen deswegen auf Wartelisten. Dazu sagte Laumann:
Nach dem Tod automatisch Organspender, wenn man zu Lebzeiten nicht explizit widerspricht – das will eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten. 2020 war eine solche Reform gescheitert.24.06.2024 | 1:31 min
Für ihn sei "eine gute Transplantationsmedizin ein Glücksfall". "Aber es gehört eben auch die andere Seite der Münze dazu, nämlich die Organentnahme."
Zu viel Eingriff des Staates?
Laumann wies auch Kritik zurück, wonach die Widerspruchslösung ein Eingriff in die individuellen Grundrechte sei und Misstrauen gegen einen übermächtigen Staat schüre. Die Kritik könne er angesichts der großen Bedeutung der Transplantationsmedizin für viele Menschen nicht nachvollziehen. Denn sollte es eine Widerspruchslösung geben, trete sie erst drei Jahre später in Kraft. In diesen drei Jahren müssten alle Menschen mehrfach angeschrieben werden, es gäbe ihm zufolge große Informationskampagnen.
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Laumann: Organspende normal, nicht die Ausnahme
Der Gesetzentwurf sehe zudem vor, dass nicht einfach Organe entnommen werden, ohne dass auch noch mal mit den Angehörigen gesprochen werde.
Er hoffe auf ein gesellschaftliches Umdenken, sagte Laumann. "Dass es etwas Normales ist, dass Organe gespendet werden und nicht die absolute Ausnahme ist, wie es jetzt seit Jahrzehnten ist."
Mit Material von dpa und epd.
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