Nord-Stream: Was zur verdächtigen Tauchgruppe bekannt ist

    Sprengung von Nord Stream:Was zur verdächtigen Tauchgruppe bekannt ist

    von Julia Klaus, Nils Metzger, Christian Rohde
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    Deutsche Ermittler fahnden wegen Nord Stream nach einem ukrainischem Tauchlehrer. Im Netz machten er und mögliche Komplizen Angaben zu Tauch-Fähigkeiten und Militär-Kontakten.

    Nord-Stream-Sabotage Taucher
    Auf gemeinsamer Mission? Die ukrainischen Taucher Wolodymyr S. und Jewgen U. 2017 in der Ukraine.
    Quelle: Facebook

    Keine Spezialkräfte, sondern Tauchlehrer aus Kiew stehen im Fokus der deutschen Ermittler, die die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines vor fast zwei Jahren aufklären sollen. Wären die wirklich in der Lage, einen Sprengstoffanschlag in rund 80 Metern Tiefe durchzuführen?
    Mit Haftbefehl gesucht wird Wolodymyr S., der mittlerweile in die Ukraine abtauchen konnte. Seine Fähigkeiten beschreibt der Tatverdächtige auf den Webseiten mehrerer Tauchanbieter, für die er als Trainer tätig ist. Dabei handelt es sich um international standardisierte Zertifikate von Organisationen wie Technical Diving International (TDI) oder der Professional Association of Diving Instructors (PADI).
    Ein Bild der Meeresoberfläche nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline.
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    Wolodymyr S.: Experte für Höhlentauchen

    Nach eigenen Angaben ist S. zertifizierter Level-3-Höhlentaucher, der anspruchsvollsten Klasse. Videos im Netz zeigen, wie S. gemeinsam mit weiteren ukrainischen Tauchern klaustrophobisch enge Höhlensysteme und Minen in der Ukraine erkundet. In Extremsituationen kann er offenbar einen kühlen Kopf bewahren.
    S. habe auch Kurse zur Herstellung von Gasgemischen absolviert, die für Tauchgänge in großer Tiefe notwendig sind. Er sei ebenfalls geprüfter "Trimix Diver", was laut TDI-Webseite einer Tauchtiefe von bis zu 60 Metern entspreche.
    Die Nord Stream-Röhren liegen an den Anschlagsstellen zwischen 70 und 80 Metern Tiefe. Mit gewisser Risikobereitschaft seien für einen Taucher wie S. aber auch 80 Meter kein sicheres Ausschlusskriterium, so die Einschätzung mehrerer Tauchexperten, denen Frontal die Zertifikate von S. und mehreren Kollegen der gleichen Tauchschule vorlegt.
    Bug des Segelschiffs Andromeda in der Ostsee mit Wellengang
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    Tauchexperten trauen den Ukrainern Tiefe von Nord Stream zu

    "Die Zertifikate lassen auf hoch ausgebildete technische Taucher schließen. Allein die Trimix Zertifikate, über die jede der von Ihnen aufgeführten Personen verfügt, sollte diese Personen befähigen, diese Tiefen zu erreichen", erklärt Marcus Doering vom Fachverband Professional Association for Technical Diving (PATD). "Die Kombination und Menge der anderen Zertifikate lässt darauf schließen, dass die aufgeführten Personen über größere Erfahrung im Bereich des technischen Tauchens verfügen."

    Somit sollten Tauchtiefen von 80 Meter in der Ostsee, mit der richtigen Ausrüstung, keine größere Herausforderung darstellen.

    Marcus Doering, Tauchexperte

    Auch PATD-Direktor Michael Melcher betont: "Die Personen verfügen über Zertifizierungen als Instruktoren oder technische Taucher. Das lässt auf sehr ambitionierte Taucher schließen." Es sei auch für ihn denkbar, dass sie die Tauchgänge zu den Pipelines durchgeführt haben könnten.
    Volodymyr S. im Tauchanzug 2016 in der Ukraine - ist er einer der Nord-Stream-Saboteure?
    Volodymyr S. im Tauchanzug 2016 in der Ukraine - ist er einer der Nord-Stream-Saboteure?
    Quelle: Facebook

    "Extremtaucher" für 90 Meter Tiefe

    Besonders ins Auge sticht das Können von Jewgen U., Inhaber der Tauchschule in Kiew und enger Freund des Verdächtigen S. Seit vielen Jahren tauchen beide gemeinsam. Jewgen U. ist zertifizierter "Tec Trimix Diver", was Operationen auf 90 Metern Tiefe und mehr erlaubt.

    Der Tec Trimix Diver Kurs nimmt erfahrene technische Taucher und macht aus ihnen Extremtaucher.

    Professional Association of Diving Instructors (PADI)

    U. verweist online auch auf Kenntnisse in Erster Hilfe unter Wasser oder im Umgang mit Unterwasser-Scootern für eine schnelle Fortbewegung. Solche Scooter könnten für die Anschläge genutzt worden sein. Neben S. arbeitet für sein Unternehmen auch eine Tauchlehrerin, die angibt, mit 104 Metern Tiefe den ukrainischen Rekord im Sidemount-Tauchen zu halten, einer speziellen Art des Gerätetauchens. Sie sammelt online Geld und Ausrüstung für die ukrainischen Streitkräfte.
    Ukrainischer Präsident Selenskyj freigestellt und in der Mitte, im Hintergrund ein Foto von der Detonation der Pipelines in der Ostsee. Biden und Putin im Hintergrund.
    Die ganze Welt fragt sich: Wer hat die Nord-Stream-Pipelines gesprengt? War es die Ukraine? Antworten im Faktencheck.18.03.2024 | 18:43 min

    Ukrainische Patrioten mit Militär-Kontakten

    Seit über einem Jahrzehnt unternimmt der Tauchclub gemeinsame Reisen, darunter auch zur Ostsee nahe Danzig. Bei Kiew hat die Gruppe in einem gefluteten ehemaligen Tagebau eine Trainingsstätte mit optimalen Bedingungen.
    Online zeigen sie sich als überzeugte ukrainische Patrioten, singen auf Reisen gemeinsam die Nationalhymne, Mehrere Personen, mit denen U. gemeinsam trainierte, dienen aktuell in der Armee. Kontakte zum Militär sind auf jeden Fall vorhanden. Offen ist weiter die Frage, woher die Saboteure den verwendeten Spezialsprengstoff HMX hatten, und wie sie den Umgang damit gelernt haben.
    TN: Nord Stream: Was wusste Selenskyj?
    Ein Artikel im "Wall Street Journal" sieht ukrainische Generäle hinter der Nord-Stream-Sprengung. Auch Präsident Selenskyj taucht auf. Journalist Pancevski bei ZDFheute live. 16.08.2024 | 30:25 min

    Absolvierte Tauchlehrer paramilitärische Ausbildung?

    Eine von seinem Club betriebene Tauchlehrer-Datenbank listet U. in der Kategorie "DOSAAF" auf, die Abkürzung für die paramilitärische Sportvereinigung der Sowjetunion - von der bis heute Nachfolgeorganisationen in Russland wie der Ukraine existieren. "Sie war ein verborgenes Ausbildungssystem für die Marine", heißt es in einem Beschreibungstext in der Datenbank.

    Das Training erfolge nach fast militärischen Prinzipien. Das Kernprinzip war: 'schwimm oder stirb'.

    Webseite von U.s Tauchclub

    Und weiter: "Es war sehr leicht, diese Leute in Richtung des Militärs zu leiten. Sie wussten und konnten absolut alles tun." Hat U. womöglich dieses quasi-militärische Ausbildungssystem für Taucher durchlaufen? U. selbst gibt an, als Jugendlicher eine Militärschule in Kiew besucht und das Tauchen auf der Krim gelernt zu haben.
    Auch die Ehefrau von Jewgen U. arbeitet als Tauchlehrerin. Gegenüber ZDF frontal behauptet sie , nichts mit der Sabotage von Nord Stream zu tun zu haben. Mit Wolodymyr S. habe sie derzeit keinen Kontakt, fügt aber hinzu: "Er ist nicht mein Kollege. Er ist mein Freund." Wolodymyr S. selbst reagierte auf Anfragen von ZDF frontal und "Spiegel" nicht.

    Nord-Stream-Taucher war in Berlin
    :Saboteur soll im Diplomatenauto geflohen sein

    Ein mutmaßlicher Nord-Stream-Saboteur soll für seine Flucht aus Polen ein ukrainisches Diplomatenauto genutzt haben. Zuvor reiste er im Mai unbehelligt durch Deutschland.
    von Arndt Ginzel, Julia Klaus, Nils Metzger, Christian Rohde
    Taucht hier ein Nord-Stream-Saboteur? Foto von Wolodymyr S.
    Exklusiv

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