Grüne: Hat die Migrationspolitik zur Krise beigetragen?

    Interview

    Migrationsforscher Koopmans:"Blockade-Politik" der Grünen bei Migration

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    Der Grünen-Vorstand ist nach der Wahlniederlage in Brandenburg zurückgetreten. Der Migrationsforscher Koopmans sieht auch einen Zusammenhang mit der Migrationspolitik der Partei.

    Geflüchtete in Frankfurter Messehalle
    Die deutsche Politik ringt um den Kurs in der Migrationspolitik - die Grünen verlieren nach Ansicht des Migrationsforschers Koopmans durch ihre Positionen in der Wählergunst.
    Quelle: dpa

    Nach den Niederlagen der Grünen bei den Landtagswahlen im Osten, zuletzt bei der Wahl in Brandenburg, kündigte der gesamte Parteivorstand um Ricarda Lang und Omid Nouripour den Rücktritt an. Das belastet auch die Ampel-Koalition.
    Im ZDF-Politiktalk "maybrit illner" geht es am Donnerstagabend um dieses Thema: "Abgestraft und angezählt - kann die Ampel noch regieren?" Zu Gast ist unter anderem der Migrationsforscher Ruud Koopmans. Im ZDFheute-Interview spricht er über die Migrationspolitik der Grünen in der Ampel-Regierung und welche Folgen dies für die Partei hat.
    ZDFheute: Hat der Rücktritt der Grünen-Spitze auch etwas mit der Migrationspolitik zu tun?
    Ruud Koopmans: Ja, indirekt schon. Nicht dass die beiden Parteiführer jetzt für die Migrationspolitik verantwortlich zu machen wären, aber natürlich haben die Grünen in der Wählergunst stark verloren, unter anderem durch ihre Blockade-Politik in der Frage der Migration.
    Ricarda Lang und Omid Nouripour
    Ricarda Lang und Omid Nouripour ziehen die Konsequenzen aus den Wahlen im Osten und gaben bekannt, dass der gesamte Bundesvorstand der Grünen zurücktritt.25.09.2024 | 1:41 min
    Es ist vor allem den Grünen zu verdanken, dass bestimmte Herkunftsländer wie Marokko immer noch nicht als sicheres Herkunftsland anerkannt worden sind. Es ist vor allem die Opposition der Grünen dafür verantwortlich gewesen, dass Deutschland in den Verhandlungen auf europäischer Ebene dafür gesorgt hat, dass das Verbindungskriterium nicht gestrichen wurde.
    Es bleibt also dabei, dass eine Person nur in Länder außerhalb der EU überstellt werden darf, zu denen eine Beziehung besteht. Außerdem wurde im Koalitionsvertrag versprochen, dass die Möglichkeit zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ernsthaft geprüft werden würde. Das ist in den drei Jahren, die die Koalition jetzt regiert, nicht passiert. Das ist auch so, weil die Grünen vor allem sich dieser Lösungsmöglichkeit in den Weg stellen.

    Ruud Koopmans, Archivbild
    Quelle: pa/dpa-Bildfunk

    ...ist Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Direktor der Forschungsabteilung "Migration, Integration, Transnationalisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

    In dem spezifischen Fall Brandenburg sind die Grünen natürlich unter die Fünf-Prozent-Marke gefallen, weil sich der Wahlkampf auf einen Zweikampf zwischen AfD und SPD zugespitzt hat. Das wiederum hat damit zu tun, dass die AfD durch die ungelöste Zuwanderungsfrage den Wind im Rücken hatte. Also indirekt hat es sehr stark mit Migration zu tun.
    ZDFheute: Ist die Migrationspolitik der Ampel-Regierung also abgewählt worden?
    Koopmans: Die Koalition hat ihre eigenen Versprechen in der Zuwanderungspolitik nicht eingelöst. Sie hat nur die Versprechen eingelöst, die neue Zuwanderungsmöglichkeiten beinhalteten, also: bessere Möglichkeiten für Arbeitsmigration, Spurwechsel, erleichterte Einbürgerung. Die Maßnahmen sind umgesetzt worden.

    Alle Maßnahmen, wo es darum ging, Kontrolle zu gewinnen über die irreguläre Zuwanderung, sind blockiert worden.

    Ruud Koopmans, Migrationsforscher

    Wenn man auf die Debatte schaut, dann ist das hauptsächlich an dem Widerstand der Grünen gescheitert.
    karl-rudolf-korte
    Paukenschlag bei den Grünen: Der gesamte Parteivorstand um Ricarda Lang und Omid Nouripour tritt zurück. "Es ist eine Dynamik, die man als Schlussfolgerung aus Wahlniederlagen zieht", so Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.25.09.2024 | 4:03 min
    ZDFheute: Müssen die Grünen ihren Kurs in der Migrationspolitik nun ändern?
    Koopmans: Sagen wir es mal so: Es gibt einen starken Druck in diese Richtung. Ob sie es auch tun werden, ist eine andere Frage. Das Migrationsthema ist ein sehr stark emotional und normativ aufgeladenes Thema. Und es gibt innerhalb der Grünen einen sehr starken Widerstand gegen die Reformen, die notwendig wären, um Kontrolle über die irreguläre Zuwanderung zu erhalten.
    Also ich bin skeptisch, ob es tatsächlich passieren wird. Aber ohne eine Lösung, ohne Bewegung in diesem Bereich werden die Grünen nicht imstande sein, wieder ein wichtiger Faktor in der Politik in Deutschland zu werden. Sie werden natürlich auf Bundesebene schon überleben. Aber sie werden nicht imstande sein, noch in die Nähe des Ergebnisses zu kommen, das sie bei der letzten Bundestagswahl erzielt haben.

    Die Sendung "maybrit illner" mit dem Thema "Abgestraft und angezählt – kann die Ampel noch regieren?" sehen Sie am Donnerstag, 26. September 2024, um 22:15 Uhr im ZDF - und dann jederzeit abrufbar in der ZDF-Mediathek.

    Es diskutieren Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, der Migrationsforscher Ruud Koopmans und die stellvertretende "Spiegel"-Chefredakteurin Melanie Amann.

    ZDFheute: Trifft das auch auf andere Parteien zu?
    Koopmans: Die Grünen sind nicht das einzige Opfer. Die Linke verschwindet jetzt auch von der politischen Bühne durch die Konkurrenz des BSW. Und das einzige Thema, warum das passiert, ist das Zuwanderungsthema.
    Vizekanzler Robert Habeck
    Nach dem Vorstands-Rücktritt müssen die Grünen sich neu sortieren. Im ZDF erklärt Robert Habeck, wie die Partei aus der Krise kommen könnte - und ob er noch vom Kanzleramt träumt.25.09.2024 | 7:22 min
    Die Linke hat sich von einer eher konservativen Partei in den 90er Jahren, als sie noch PDS hieß, zu einer Partei entwickelt, die die Grünen in der Zuwanderungspolitik links überholt hat und dadurch den Rückhalt bei den eigenen Wählern völlig verloren hat. Und das hat Sahra Wagenknecht gut verstanden. Sie hat jetzt den größten Teil der ehemaligen Linken-Wähler hinter sich gebracht. Und ich sehe, ehrlich gesagt, nicht, dass es den Linken noch gelingen wird, diese Wähler wieder zurückzugewinnen.
    Das Interview führte Lena Rothert.

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