Migration: Was Parteien planen - und was realistisch ist

    Migrationspolitik:Was Parteien planen - und was realistisch ist

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Kaum ein Tag ohne neue Idee in der Migrationsdebatte: Entzug der Staatsbürgerschaft, Bleiberecht nur mit Arbeit? Nicht alle Vorschläge sind umsetzbar, jedenfalls nicht schnell.

    Container in Tempelhof für die Unterbringung von Migranten
    Geflüchtete Menschen kommen in Berlin derzeit in Containerdörfern am früheren Tempelhofer Flughafen unter. Die Parteien wollen den Zuzug nach Deutschland beschränken.
    Quelle: epa

    Wichtiger geht es nicht: Migration ist das "Topthema Nummer eins", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Erst hatte es die Union aus dem Wahlkampf raushalten wollen. Jetzt gehe es nicht anders, sagt Dobrindt. Auch wegen der Krise in Österreich, wo die rechtspopulistische FPÖ mit der Regierungsbildung beauftragt wurde: Dort sehe man, "was passiert, wenn man das Migrationsthema nicht in Ordnung bringt", so Dobrindt im ZDF. Dann hätten Rechtspopulisten die Chance, die Regierung zu stellen.
    Kaum ein Tag im beginnenden Wahlkampf zur Bundestagswahl vergeht, in dem die Parteien von rechts bis links keine Vorschläge für eine neue Migrationspolitik machen. Doch ob sie umsetzbar wären, wenn die Parteien in Regierungsverantwortung kommen, ist nicht immer sicher. Schnell scheint jedenfalls nichts zu gehen. Matthias Friehe, Staatsrechtler an der EBS Universität Wiesbaden, hält das für ein grundsätzliches Problem:

    Es besteht eine Riesenkluft zwischen dem sehr komplizierten, auf Einzelfallgerechtigkeit setzenden juristischen System und dem, was im Wahlkampf erforderlich ist, um Menschen erreichen zu können.

    Matthias Friehe, EBS Universität Wiesbaden

    Stimmung in Deutschland
    :Bundestagswahl: So steht es in den Umfragen

    Welche Partei führt in den Umfragen zur Bundestagswahl? Welche Koalitionen wären möglich? Wie bewerten die Befragten Scholz, Merz und Habeck? Die wichtigsten Zahlen im Überblick.
    von Robert Meyer
    Ein Diagramm von den Verteilungen der Parteien in den Umfragen. Im Hintergrund weht vor dem Bundestag eine Deutschland-Fahne

    Doppelte Staatsbürgerschaft entziehen?

    Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte in einem Interview in der "Welt am Sonntag" gesagt, Straftätern mit doppelter Staatsbürgerschaft müsste die deutsche entzogen werden. Geht das?
    Nach Artikel 16 des Grundgesetzes darf die deutsche Staatsbürgerschaft nicht entzogen werden. Trotzdem kann man sie verlieren, wenn man danach nicht staatenlos wird. Nämlich, wenn man sich an einer terroristischen Vereinigung oder bei ausländischen Streitkräften beteiligt.
    Dobrindt: "Politikwechsel muss gelingen"
    "Wir wollen eine maximale Zustimmung für CDU und CSU haben", so Alexander Dobrindt (CSU), Vorsitzender Landesgruppe im Bundestag, "wir werben für uns und für keinen Koalitionspartner".06.01.2025 | 6:10 min
    Ein Problem des Merz-Vorschlags: Er dürfte nur die Doppelstaatler gemeint haben, die auf Antrag die zweite Staatsbürgerschaft erworben haben. Nicht etwa die Menschen, die zum Beispiel binationale Eltern und seit Geburt zwei Pässe haben. Das allerdings wäre diskriminierend, sagt Thomas Groß, Staatsrechtler und Migrationsexperte an der Universität Osnabrück. Denn für den Entzug der Staatsbürgerschaft - nur für diese eine Gruppe - gebe es "keine sachliche Rechtfertigung".

    Kriterienkatalog? Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

    Friehe, der für die Union auch Sachverständiger bei Gesetzesanhörungen war, hält das ebenfalls für schwierig. "Es gibt keine Staatsangehörigkeit erster und zweiter Klasse." Zwar kann die Einbürgerung wegen Straftaten verweigert werden. Nach der Einbürgerung gelten aber für alle die gleichen Regeln. "Eine Staatsangehörigkeit unter Vorbehalt wäre verfassungswidrig", sagt Friehe.
    Menschen auf der Flucht
    Zur Zeit befinden sich weltweit mehr als 120 Millionen Menschen auf der Flucht. Und dabei werden sie oft erneut Opfer von Verfolgung, Gewalt und Anfeindungen. 18.12.2024 | 1:34 min
    Zwar könne man die Kriterien - bislang sind es lediglich terroristische Kampfhandlungen im Ausland - erweitern. "Das wäre aber nur bei schweren Straftaten verhältnismäßig, zum Beispiel bei Terroranschlägen im Inland", so Friehe. In der Schweiz gebe es eine solche Regelung, die aber nur selten angewendet werde.
    Martin Manzel, Fachanwalt für Migrationsrecht aus Berlin, findet: Werden Deutsche mit Migrationsgeschichte straffällig, dann "ist das auch unser Problem, dem wir uns nicht einfach entledigen können, indem wir ihnen die Staatsangehörigkeit entziehen." Solche Verfahren könnten sich außerdem über Jahre vor Gericht hinziehen, sagt er. Manzel ist auch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht beim Deutschen Anwaltsverein und der SPD.
    Er sagt, dass an jeder deutschen Staatsbürgerschaft außerdem weitere Rechte wie die Freizügigkeit innerhalb der EU hängen, was ebenfalls zu berücksichtigen sei.

    So einfach wird das auf keinen Fall werden. Das ist nicht zu Ende gedacht.

    Martin Manzel, Fachanwalt für Migrationsrecht

    Denn noch etwas kommt hinzu: Selbst wenn man die Gesetze verschärft, so Manzel, können sich die, die bereits Doppelstaatler sind, auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Es gelte also, wenn überhaupt, nur für künftige Antragsteller und nicht für Menschen, die heute mit zwei Pässen in Deutschland leben.
    Habeck: "Maulheldentum aus Bayern"
    "Markus Söder macht gedanklich einen schweren Fehler, wenn er glaubt, das Land würde besser regierbar sein, indem man die Position der Rechten übernimmt", so Robert Habeck (B‘90/Die Grünen), Kanzlerkandidat und Vizekanzler.07.01.2025 | 9:13 min

    Straftäter sofort ausweisen?

    Merz und auch die CSU haben angekündigt: Wer straffällig geworden ist, muss das Land verlassen. Um Anschläge zu vermeiden, so Merz, "müssen ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden." Nach zweimal Schwarzfahren raus?
    Schon jetzt, so Friehe, könne jemand nach dem Aufenthaltsgesetz wegen einer einmaligen Straftat ausgewiesen werden. Es komme aber nicht auf die Häufigkeit, sondern auf die Schwere der Tat an, insgesamt gebe es einen schwierigen Abwägungsprozess, in dem auch relevant ist, ob zum Beispiel jemand Kinder hat. "Das System ist so kompliziert, dass er im politischen Diskurs nur schwer vermittelbar ist", so Friehe.
    Abgeschobener Straftäter in Afghanistan
    Das ZDF in Kabul hat mit einem abgeschobenen Straftäter geredet. Der Beitrag wurde am 21.10.2024 überarbeitet. Insbesondere die Einordnung zur Tat und dem Strafmaß wurde ergänzt.18.10.2024 | 6:47 min
    Auch Staatsrechtler Groß hält das Verknüpfen von Ausweisung und einer bestimmten Anzahl von Straftaten für nicht möglich. Denn "sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangen bei Ausweisung eine Einzelfallprüfung".
    "Das wird so nicht klappen", ist sich Manzel sicher. Der afghanische Attentäter von Mannheim, der vorigen Juni einen Polizisten erstochen und mehrere Menschen verletzt hatte, sei ein Beispiel. Der Mann ist mit einer Deutschen verheiratet, hat zwei deutsche Kinder, war bis zur Tat straffrei und hatte einen Schutzstatus. Eine Ausweisung wäre in solch einem Fall schon sehr schwierig: "Das kann man zwar alles ändern, aber so einfach wird das nicht."

    Wer arbeitet, darf bleiben?

    Zumindest Union, SPD und Grüne scheinen sich einig zu sein: Wer eine Arbeit hat und damit als integriert gilt, soll bleiben dürfen. Das hatte Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck für Syrer gesagt: Wenn Syrien wieder sicher sei, sollten diejenigen gehen, die keine Arbeit haben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte eine Überprüfung des Schutzstatus angekündigt.
    Syrerin zeigt "Peace"
    Viele Syrer, die nach Deutschland geflüchtet sind, haben sich hier ein neues Leben aufgebaut. Viele von ihnen arbeiten beispielsweise schon lange im Gesundheitswesen. 10.12.2024 | 1:37 min
    Arbeitslosigkeit als Ausweiskriterium? Staatsrechtler Groß glaubt nicht, dass das "Bleiberecht daran geknüpft werden kann". Denn es wäre ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, dies nur auf Syrer anzuwenden. Die Erwerbstätigkeit könne höchstens eines von mehreren Kriterien sein.
    Außerdem, so Manzel, seien die meisten Syrer seit 2015 im Land, hätten einen unbefristeten Aufenthaltstitel und seien damit unabhängig von der Situation im Heimatland. "Wen betrifft das also noch? Die wenigsten." Und wenn, seien immer auch alle Faktoren der Integration - wie Sprache, Erwerbstätigkeit oder Kinder im Bundesgebiet - zu prüfen.
    Wahlkampf: Merz als Kanzler nicht gesichert
    "Bisher ist die große Hoffnung der SPD, Merz aus der Defensive zu locken", so Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler, Merz sei in der Lage "etwas rauszuhauen, was dann ein großes Problem werden kann".08.01.2025 | 5:32 min
    Bei schweren Straftaten und wenig Integration könnten Ausweisungen und Abschiebungen nach Syrien künftig vielleicht gelingen. Aber die pauschale Ankündigung der Regierung strafe auch diejenigen ab, die sich gut integrierten. "Es schürt bei den Menschen eine unglaubliche Angst."

    Unbefristet in Abschiebehaft?

    Ein Problem wird immer wieder genannt: Menschen, die eigentlich abgeschoben werden könnten, werden dies zu wenig. Selbst wenn die Zahl bis Ende November um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt schlägt vor, die Abschiebhaft nicht mehr zu begrenzen. Die Menschen könnten dann entweder freiwillig ausreisen oder müssten in Haft bleiben. Man könne Menschen außer Landes bringen. "Das geht schon, wenn man es politisch will", so Dobrindt.
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    Im vergangenen Jahr wurden mehr Menschen abgeschoben als im Vorjahr. 07.01.2025 | 2:47 min
    "Niemand kann unbegrenzt festgehalten werden", sagt Manzel. Selbst lebenslange Haft sei beschränkt - und zwar durch den Grundsatz der Menschenwürde. Selbst für schwere Straftäter müsse die Hoffnung, die Haft zu beenden, bestehen. Der Vorschlag Dobrindts sei "blanker Populismus", so Manzel. Und "klar verfassungswidrig".
    Und Menschenrechte lassen sich durch eine Grundgesetzänderung nicht ändern. Auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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