Debatte im Bundestag:Hartes und Zartes: Der Wahlkampf läuft längst
von Kristina Hofmann
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Wie der Wahlkampf werden könnte, zeigte heute die Debatte im Bundestag. Scholz gibt den Staatsmann, die Union zieht die Brandmauer zur AfD hoch. Nur einer suchte die Zwischentöne.
Der Bundeskanzler hat eine Regierungserklärung abgegeben. Es folgte eine Bundestagsdebatte, voller Angriffe und Schuldzuweisungen – ein Vorgeschmack auf den kommenden Wahlkampf?13.11.2024 | 2:56 min
Wenn Applaus ein Gradmesser dafür ist, wie groß der Rückhalt von Spitzenkandidaten im kommenden Wahlkampf ist, dann müssen sich die meisten keine Sorgen machen. Friedrich Merz nicht für die Union, Christian Lindner nicht für die FDP, nicht mal Olaf Scholz für die SPD. Laut war es am Mittwoch ständig, neben Applaus auch Zwischenrufe, Höhngelächter, Entschuldigungen und bayerische Gottesanrufung.
Bei der Regierungserklärung des Kanzlers schalteten die Parteien im Bundestag bereits in den Wahlkampfmodus. Was bei der Debatte überrascht hat, berichtet Wulf Schmiese.13.11.2024 | 1:41 min
Viel Theaterdonner zum Auftakt des Wahlkampfs diesmal im Bundestag. Die "Regierungserklärung des Bundeskanzlers" stand formal auf der Tagesordnung. Tatsächlich ging es um die Ausgangsposition für die nächste Bundestagswahl am 23. Februar. Um viel Schuldzuschieben und wenig Schuldeingeständnis, ab und zu auch um Zukunftsvisionen für dieses Land, vor allem aber um Legendenbildung und Traumabewältigung. Das Auseinanderbrechen der Ampel-Koalition vor einer Woche hat eine Starre gelöst. Und Strategien offengelegt.
Scholz: "Mit mir nicht"
Da ist ein Kanzler Scholz, der noch nicht Spitzenkandidat der SPD ist, aber der es nach dem heutigen Applausometer werden dürfte. Inhaltlich rechtfertigte er die Entlassung von Bundesfinanzminister Lindner nach dem Motto: Es ging nicht anders. Die FDP, die noch vor einer Woche an seinem Kabinettstisch saß, würdigte er kaum eines Blickes.
Der Bundeskanzler verteidigt im Bundestag den Rauswurf Christian Lindners, der zum Ende der Ampel-Regierung führte.13.11.2024 | 29:03 min
Scholz wiederholte seine Version des Regierungsbruchs: Die FDP wolle lieber an der Schuldenbremse festhalten und für die Unterstützung der Ukraine hierzulande bei Pflege, Soziales und Rente kürzen. "Wer das Rentenniveau nicht stabilisieren will, kürzt am Ende die Renten", sagte er. "Mit mir nicht", sagte er. Er wolle kein Entweder-oder:
Scholz sendete Signale: Scholz, der Staatsmann. Scholz, der immer am Konsens orientiert sei. Scholz, der, wie er sagt, stolz sei, wie gut Deutschland mit seinen Staatsfinanzen umgeht. Da war das Gelächter im Plenum sehr laut. Insgesamt eher eine Gardinenpredigt in Richtung Lindner als eine Regierungserklärung.
Der Gescholtene selbst leistete sich nur einen kurzen theatralischen Moment. "Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung", sagte Lindner. Der Rest seiner Rede klang so, als ob er in den vergangenen drei Jahren nicht dabei gewesen sei. Als ob er schon immer eine andere Finanzpolitik habe machen wollen als Scholz.
Es sei die Idee des Kanzlers gewesen, den Haushalt auf Sondertöpfen aufzubauen, was das Bundesverfassungsgericht kassiert hatte. Es sei Scholz gewesen, der ihn zum Verfassungsbruch und das Brechen der Schuldenbremse habe zwingen wollen.
Was seine Entlassung als Bundesfinanzminister anbelangt, gibt sich FDP-Chef Lindner gelassen. "Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung", sagt er im Bundestag.13.11.2024 | 14:28 min
Es ist in etwa der Moment in der Debatte, in der Scholz auf der Regierungsbank seine Akten auspackte und in gelben Pappdeckeln las. Das Grundproblem in der Regierung, so Lindner, sei gewesen, "dass wir nicht mehr über das gleiche Land gesprochen haben." Und sich nicht zugehört haben offensichtlich.
Das Abmeiern von Lindner hatte zumindest den Effekt, dass sich die Union zur Solidarität gezwungen sah. CDU-Chef Merz beugte sich im Plenum ihm zu, sprach mit ihm. Applaus ab und zu aus den Reihen der Union für die FDP - und umgekehrt. Zwar hatte Merz bereits mehrfach betont, jeder kämpfe für sich allein. Es gebe keine Zweit-Stimmen-Kampagne für die FDP. Jetzt tat er ihm vielleicht ein bisschen leid.
Die Konfliktlinien liegen für die Union woanders.
"Wir gehen die Dinge mit, die vereinbart sind", sagt Alexander Dobrindt (CSU). Die Ampel könne nicht erwarten, dass man aus ihren "Trümmern" versuche etwas Neues zu gestalten.13.11.2024 | 6:33 min
Merz zieht Brandmauer gegen AfD hoch
Merz grenzte sich gegen Scholz ab, klar: Unwürdig das Auseinanderbrechen der Regierung, rücksichtslos das Geschacher um den Wahltermin, international ein Leichtgewicht, insgesamt die schlechteste Koalition, die es je gab, so Merz: "Sie spalten das Land, Herr Bundeskanzler."
Merz kritisiert den Umgang des Bundeskanzlers mit der Vertrauensfrage. Statt sie "sofort und unverzüglich" zu stellen, zögere Scholz das Ende hinaus, sagt er im Bundestag.13.11.2024 | 21:05 min
Heftig ging Merz auf die AfD los, die in seit dem Regierungsbruch der Union Avancen der Zusammenarbeit macht, um noch Gesetze durch den Bundestag zu bringen.
Aber die AfD scheint inzwischen auch nicht mehr zu wollen. "Sie stellen die Brandmauer über das Wohl Deutschlands", warf Co-Fraktionschefin Alice Weidel Merz vor. Dieser sei eh nur ein "Ersatz-Scholz", mit ihm als möglicher nächster Kanzler werde nichts besser: "Sie können nichts umsetzen", war sich Weidel sicher.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel wirft der Ampel-Regierung vor, das Land "geschädigt" zu haben.13.11.2024 | 13:19 min
Söder: "Gott schütze unser Vaterland"
Die zweite Konfliktlinie: der Kampf gegen die Grünen. Den Part übernahm in der Debatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der ausnahmsweise im Berliner Parlament sprach – etwa zu dem Zeitpunkt, als Scholz die blauen Aktenmappen vor sich auftürmte.
Das Scheitern der Ampel sei "ein Niedergang seit Monaten" gewesen, sagt CSU-Chef Söder im Bundestag. Der Abschluss sei "stil- und würdelos" gewesen.13.11.2024 | 13:23 min
Nicht Lindner als Finanzminister, sondern Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sei verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang. "Eigentlich wäre der Rücktritt von Herrn Habeck jetzt schon fällig", findet Söder. Er stellte sich hinter Merz als Kanzlerkandidaten. Es brauche eine "neue Mentalität":
Söder beendete seine Rede mit bayerischen Tremolo, ungewöhnlich im Berliner Bundestag: "Gott schütze unser Vaterland und die Demokratie und die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland."
Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung im Bundestag das Ampel-Aus erneut verteidigt. Wie seine Erklärung angekommen ist, berichtet ZDF-Korrespondentin Ines Trams.
13.11.2024 | 1:56 min
Mützenich bedankt und entschuldigt sich
Nur einer brachte einen etwas sanfteren Ton in die Debatte. Das Ende einer Regierung ist natürlich auch immer etwas enttäuschend. Mit großen Erwartungen war sie gestartet, wie jede Regierung. Fortschrittskoalition, das Label hatte sich die Koalition selbst angeheftet.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich leistete sich einen sentimentalen Moment des Abschieds. "Wo ich verletzend und unbeherrscht war, will ich mich entschuldigen." Seiner Fraktion dankte er, dass sie mit ihm manchmal bis an die Schmerzgrenze gegangen ist.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stimmt versöhnliche Töne an und bekennt sich zu Fehlern. 13.11.2024 | 16:23 min
Mützenich dankte seinen Kollegen in der FDP und bei den Grünen, Christian Dürr, Britta Haßelmann und Katharina Drögen, für ihre Kooperation, für manches Brückenbauen. Was alle drei ihm mit Nicken und Applaus dankten.
Wenn alles nach Abschied schmeckt und alles nach vorne drängt, bleibt auch dies: Es war offensichtlich eben doch nicht alles schlecht in den vergangenen drei Jahren.