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Ex-Wirecard-Manager in Russland:Geheimidentität von Jan Marsalek aufgedeckt
von Nils Metzger, Christian Rohde, Ulrich Stoll
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Der nach Russland getürmte Wirecard-Manager tarnte sich als orthodoxer Priester. Neue Recherchen legen nahe, dass Jan Marsalek wohl jahrelang für Moskaus Geheimdienste spionierte.
Vor knapp vier Jahren erschütterte der Wirecard-Skandal die Wirtschaft. Jetzt zeigen ZDF-Recherchen: Ex-Vorstand Marsalek arbeitete wohl jahrelang für die russischen Geheimdienste.01.03.2024 | 1:26 min
Der größte Wirtschaftsskandal der deutschen Geschichte wird endgültig zum Spionage-Thriller. Als der milliardenschwere Betrugsfall das Imperium des Münchner Finanzdienstleisters Wirecard im Sommer 2020 in den Abgrund reißt, setzt sich Unternehmensvorstand Jan Marsalek nach Russland ab. Seitdem wird weltweit nach ihm gefahndet.
Recherchen von ZDF frontal, des "Spiegels", des österreichischen "Standards" und der russischen Investigativplattform "The Insider" decken nun auf: Im September 2020 hat Marsalek die Tarnidentität eines russisch-orthodoxen Priesters mit dem Namen Konstantin Bajazow angenommen. Zu seinem neuen Pass verholfen haben ihm Personen aus dem Umfeld russischer Geheimdienste. Und die Verbindungen reichen deutlich weiter zurück: Neue Recherchen legen nahe, dass Marsalek offenbar seit Jahren Teil russischer Spionagenetzwerke war.
Diesen russischen Pass mit dem Namen "Konstantin Bajazow" nutzte Jan Marsalek nach seiner Flucht.
Quelle: Spiegel
Was ist zur neuen Identität von Jan Marsalek bekannt?
Wirklich Priester geworden ist der für seine Adrenalinsucht berüchtigte frühere Topmanager Marsalek nicht. Völlig erfunden ist seine neue Identität aber auch nicht. Tatsächlich lebt in der russischen Großstadt Lipezk südöstlich von Moskau ein Priester mit Namen Konstantin Bajazow. Er sieht Marsalek optisch ähnlich, ihre Geburtsdaten liegen nur ein Jahr auseinander.
Sieht Jan Marsalek zum Verwechseln ähnlich: der russische Priester Konstantin Bajazow.
Quelle: Spiegel
Offenbar hat Marsalek dessen Identität angenommen - auch um reisen zu können. Dem Rechercheteam liegen Kopien des neuen Passes und der zugehörigen Passakte vor. Beide zeigen ein Portraitfoto Marsaleks. Den Pass bei Moskauer Behörden beantragt und abgeholt hat eine Frau, die bereits als mutmaßliche Helferin des russischen Inlandsgeheimdienst FSB aufgefallen ist. Laut Mobilfunkdaten soll Marsalek mit ihr gemeinsam kurz nach seiner Flucht auf die besetzte Krim gereist sein.
Als ZDF frontal versucht, den echten Priester telefonisch in Russland zu erreichen, möchte er keine Fragen beantworten: "Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie als Journalist begreifen müssen, dass wir nicht mit Ihnen reden können", sagt er.
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Wie kam Marsalek in Kontakt mit russischen Geheimdiensten?
Eine zentrale Rolle bei Marsaleks Eintauchen in die Welt der russischen Geheimdienste soll seine russische Geliebte Natalia Zlobina gespielt haben. Sie war Erotikmodell und spielte in einem Billig-Horror-Film von 1996 eine Attentäterin, die ihre Opfer ganz wie die echten russischen Dienste mit Nervengift ausschaltet.
Teils vermuten Kenner des Falls, Zlobina sei als "Honigfalle" gezielt auf Marsalek angesetzt worden. Auch ihre russische Passakte wurde mit Daten einer anderen Frau manipuliert. Im Sommer 2020 wurden zudem ihre Reisebewegungen aus der Datenbank gelöscht - alles Hinweise auf besondere Schutzmaßnahmen der russischen Schlapphüte.
Jan Marsalek auf dem Roten Platz in Moskau.
Quelle: Spiegel
Zunächst öffnete Zlobina dem Wirecard-Manager Türen in Russlands Geschäftswelt, später machte sie Marsalek mit Personen aus dem Militär- und Agentenumfeld bekannt. Am 6. Juli 2014, bei einer Geburtstagsfeier auf einer Yacht in Nizza, soll sie Marsalek Stanislaw Petlinksy, Spitzname "Stas", vorgestellt haben.
Die offizielle Funktion von Petlinsky ist unklar; westliche Agenten beschreiben ihn als verlängerten Arm diverser russischer Dienste. In vertraulicher Runde soll Petlinsky gesagt haben, Marsalek dem Militärgeheimdienst GRU übergeben zu haben.
Russischer Vermittler bestätigt Kontakt zu Marsalek
Auch den Geheimdienstchef der Söldner-Truppe Wagner, Anatoliy Karaziy, lernt Marsalek über Petlinsky kennen. Am 5. Mai 2017 treffen sich alle drei in München und reisen dann über Beirut nach Syrien - bis nach Palmyra, Frontstadt der Assad-Diktatur gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Dort kämpften damals Wagner-Söldner, russische und syrische Truppen gegen Dschihadisten. Zur selben Zeit kommen aus dem Osten Syriens Videos, in denen Wagner-Kämpfer Menschen grausam zu Tode foltern.
Jan Marsalek (links) gemeinsam mit Stanislaw Petlinsky 2017 in Syrien.
Quelle: Spiegel
Der Krieg scheint Marsalek mehr zu faszinieren als abzuschrecken. Fotos zeigen, wie er mit Sturmgewehr und schusssicherer Weste posiert - mehrere Tage soll die Gruppe in Syrien geblieben sein. Eine Anfrage dazu lässt Karaziy unbeantwortet.
Wer sich jedoch zu seiner Verbindung zu Marsalek äußert, ist Petlinsky. Reporter des "Spiegel" passen ihn in einem Luxushotel in Dubai ab. Er habe Marsalek mit vielen "hohen Entscheidungsträgern" in Russland bekanntgemacht, berichtet "Stas". Auch die Syrien-Reise bestätigt er.
Ob Marsalek für russische Geheimdienste tätig sei? Nein, sagt Petlinsky, aber er sei "besessen von der Spionagewelt". Und er selbst? Nur "Sicherheitsberater", betont Petlinsky. Dass Marsalek russischen Spionageringen Informationen zugespielt haben und in Entführungspläne verwickelt sein soll? Morde seien nie geplant gewesen, so Petlinsky. Wie viel Wahrheit in solchen Aussagen steckt, ist schwer zu sagen.
Behörden in Österreich halten Marsalek für russischen Agenten
Auch in Marsaleks Büro gegenüber dem russischen Generalkonsulat in München kam Petlinsky. Dort soll sich Marsalek regelmäßig mit einflussreichen Personen aus Politik, Wirtschaft und Sicherheitsbehörden getroffen haben.
Eine dieser Personen ist ein Mann, der ab 2018 offiziell als "Berater" für Marsalek tätig war und zuvor für den damaligen österreichischen Verfassungsschutz BVT arbeitete. Sonderermittler des österreichischen Innenministeriums werfen ihm und weiteren ehemaligen BVT-Agenten vor, für Marsalek spioniert zu haben. Sie sollen Daten über dem Kreml missliebige Personen beschafft haben. Betroffen waren zum Beispiel in Europa lebende Journalisten.
Die als "AG Fama" bekannten Sonderermittler kommen in ihrem als Verschlusssache eingestuften Bericht zu einem klaren Ergebnis:
Ziele seien die "gezielte Aufklärung und Lokalisierung von Personen", die "Beschaffung von Akten", sowie die "gezielte Einflussnahme auf Regierungs- und Parteimitglieder im Sinne russischer Interessen" gewesen, schreiben die Ermittler. Die Gruppe habe eine "nachrichtendienstliche Zelle geschaffen, derer Kapazitäten und Fähigkeiten sich russische Nachrichtendienste bedient haben".
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War Wirecard ins Spionage-Geschäft eingebunden?
2018 gehörte Wirecard zu den 30 wertvollsten deutschen Unternehmen, 125 Milliarden Euro an Geldtransaktionen fließen über den Dienstleister. Darunter sind auch Zahlungen deutscher Behörden, etwa Überweisungen an V-Leute. Sicherheitskreise äußern die Sorge, Wirecard-Finanzdaten könnten auch an ausländische Dienste geflossen sein. Ein riesiges Sicherheitsrisiko, das bislang nicht einmal ansatzweise behördlich aufgeklärt wurde.
Und Marsalek soll sich Wirecards bedient haben, um über ein Firmengeflecht Teile einer russischen Söldnerfirma zu kaufen. Als möglichen Einsatzort fasst Marsalek Libyen ins Auge, ZDF frontal vorliegende Fotos zeigen ihn dort, das Logo der Söldnerfirma im Hintergrund.
Den Entwicklungsexperten Kilian Kleinschmidt bat Marsalek damals um die Erstellung einer Machbarkeitsstudie für 200.000 Euro - Bezahlung über ein "Russisch-Libysches Kulturinstitut" in Moskau. Es soll auch um die Ausbildung von bis zu 20.000 libyschen Milizionären gehen. Kleinschmidt beendet die Zusammenarbeit und erzählt heute:
"Es sei wichtig, auch die Grenze abzusichern, da würden ja viele Migranten über die Grenze kommen. Das war so sein Thema und das müsste man irgendwie alles stoppen und da könnte ihm vorschweben, dass man eine Grenzschutztruppe aufbaut", sagt Kleinschmidt.
Faszination Krieg und Gewalt: Jan Marsalek im Cockpit eines russischen Kampfjets.
Quelle: Spiegel
Prozess gegen mutmaßlichen Marsalek-Spionagering in London
Auch nach seiner Flucht steht Marsalek im Verdacht, nachrichtendienstlich im Sinne Russlands agiert zu haben. Im Februar 2023 verhaftete die Londoner Polizei fünf Bulgaren und kamen damit eigenen Angaben zufolge konkreten Anschlags- und Entführungsplänen zuvor. Laut britischer Behörden soll die Gruppe zwischen August 2020 und Februar 2023 von Marsalek beauftragt worden sein, Zielpersonen in ganz Europa auszuforschen und zu verfolgen.
Den Ermittlern sollen Zehntausende interne Chat-Nachrichten des Netzwerks vorliegen. Bei Hausdurchsuchungen wurden gefälschte Dokumente, Überwachungstechnik und Tarnkleidung gefunden. Der Prozess gegen sie soll Ende des Jahres starten. Was Marsalek zu all den Spionagevorwürfen sagt, bleibt offen. Auf einen umfangreichen Fragekatalog antwortete sein Anwalt nicht. Und so dürfte Jan Marsaleks Platz auf der Anklagebank leer bleiben - geschützt durch Russlands Geheimdienste ist sein Aufenthaltsort weiter unbekannt.
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