Deutschland erhält Iris-T: Luftverteidigung wird verstärkt

    Bundeswehr erhält Iris-T System:Deutscher Luftraum soll geschützt werden

    Ines Trams
    von Ines Trams
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    Bislang galt "Ukraine zuerst". Doch nun soll Iris-T auch den deutschen Luftraum schützen - nachdem die Luftverteidigung der Bundeswehr jahrzehntelang kaputtgespart wurde.

    Olaf Scholz und Boris Pistorius bei der Inbetriebnahme des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM in der Bundeswehrkaserne Todendorf in Panker.
    Die Bundeswehr hat im Beisein von Kanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius ihr erstes Iris-T SLM-Flugabwehrsystem in Betrieb genommen, 5 weitere sollen bis 2027 folgen.04.09.2024 | 2:50 min
    Iris-T, das bodengestützte Luftverteidigungssystem des deutschen Rüstungsbauers Diehl Defence, kann tatsächlich als Symbol der Zeitenwende gelten. Als das System entwickelt wurde, zeigte Deutschland kein Interesse, erste Einheiten gingen 2018 nach Ägypten und Schweden.

    Übergabe in Todendorf

    Doch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine änderte sich die Einstellung Berlins. Heute wird die Bedrohung erkannt, Luftverteidigung soll wieder eine Priorität eingeräumt werden - sechs Iris-T Systeme sind bestellt für die Bundeswehr.
    Mehr Bewerber für die  Bundeswehr
    Die deutsche Bundeswehr sei laut Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht kriegstüchtig und befinde sich in einem unhaltbaren Zustand. Doch nun steigen die Bewerberzahlen und Pistorius setzt auf ein neues Wehrdienstmodell.15.08.2024 | 1:51 min
    Darüber hinaus scheint 'Tempo' - wie von Verteidigungsminister Boris Pistorius vorgegeben - hier tatsächlich zu einem bestimmenden Faktor geworden zu sein: Gerade mal vor einem Jahr beschloss der Bundestag die Beschaffung, nun steht das erste System einsatzbereit auf dem Hof.
    Am Mittwoch wird es im Rahmen eines Appells der Bundeswehr übergeben. Der Kanzler macht sich dafür extra auf den Weg zum neu-geschaffenen Übungsplatz in Todendorf in der Holsteinischen Schweiz.

    Iris-T ist ein bodengebundenes Luftverteidigungssystem, das aus Radar, Kommandozentrale und einer auf LKW montierten Flugkörper-Abschussanlage besteht. Mobil ist es, schnell kann es im Fall der Fälle verlegt werden.

    Über eine Stadt wie Nürnberg oder Hannover kann es einen Schutzschirm spannen mit seinen knapp 90 Kilo schweren Lenkflugkörpern. Sie können feindliche Fluggeräte mit einem eingebauten Infrarot-Suchkopf verfolgen und dann gezielt zerstören -  Drohnen, Flugzeuge, Helikopter oder Marschflugkörper.

    Ein System für den Nahbereichsschutz, in 20 Kilometer Höhe und bis zu 40 Kilometer Reichweite. 140 Millionen Euro kostet ein System.

    Bewährt unter Gefechtsbedingungen in der Ukraine

    Bewährt hat sich Iris-T unter Gefechtsbedingungen in der Ukraine, vier Systeme hat Deutschland geliefert, acht weitere sind zugesagt. Es soll, so heißt es, eine Trefferquote von annähernd 100 Prozent haben. Das System schützt vor allem Städte wie Kiew vor anfliegenden Drohnen und Raketen.
    Im schleswig-holsteinischen Todendorf, wo in für Bundeswehrverhältnisse in hohem Tempo ein Ausbildungszentrum hochgezogen wurde, sind seit dem vergangenen Jahr ukrainische Soldaten am System ausgebildet worden. Künftig sollen hier auch deutsche Soldaten das System kennenlernen, genau wie europäische Partnernationen, die es ebenfalls kaufen. Galt bislang "Ukraine first", so heißt es nun aus der deutschen Regierung, auch wir müssen handlungsfähig sein.
    21.05.2024: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft sich mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock inmitten des russischen Angriffs auf die Ukraine in Kiew.
    Außenministerin Baerbock forderte bei einer gemeinsamen Rede mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba dringende Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr. 21.05.2024 | 1:36 min

    Deutsche Luftverteidigung kaputtgespart

    Dieser Schritt hin zu mehr Luftverteidigung ist überfällig. Die ideale Schutz des deutschen Luftraums bestünde aus drei Abfangschichten - Iris-T für den Nahbereich, dem bewährte Patriot-System für Reichweiten von bis zu 70 Kilometern, dann für den Bereich außerhalb der Atmosphäre das amerikanisch-israelische System Arrow 3, das Deutschland erwerben will.
    Die Infografik erklärt das Flugabwehrsystem Iris-T SLM. Das Verteidigungssystem schützt kritische Infrastruktur und Bodentruppen vor Bedrohungen aus der Luft - etwa durch Drohnen, Flugzeuge und Marschflugkörper. Eine Feuereinheit besteht aus einem Gefechtsstand, einem Radargerät und drei Startgeräten. Der Gefechtsstand steuert das Radar und die Stargeräte. Das Radar erfasst Flugobjelte in bis zu 250 Kilometer Entfernung. Die drei Startgeräte können jeweils acht Lenkflugkörper verschießen. Die Lenkflugkörper haben eine Reichweite von 40 Kilometern und fangen Bedrohungen in einer Höhe zwischen sieben und 35 Kilometern ab.
    Doch Fakt ist: Iris T kommt jetzt erst, von Patriot-Systemen gibt es zu wenige - auch weil Deutschland einige in die Ukraine abgegeben hat und die Nachbestellung dauert. Wann das Arrow-System kommt, unklar. Die deutschen Fähigkeiten könnten derzeit gerade mal eine Stadt wie Berlin schützen, mehr nicht. Der Sicherheitsexperte Thomas Wiegold vergleicht am Beispiel der Ukraine, wie Kiew und andere Großstädte durch Flugabwehrsysteme am Boden geschützt werden und kommt zu dem Schluss:

    Dann muss man sagen, im Vergleich steht Deutschland ziemlich blank da, es wäre nicht in der Lage, wie die Ukraine in dem Maße eine solche Bedrohung abzuwehren.

    Thomas Wiegold, Sicherheitsexperte

    Das war nicht immer so. Doch Spardruck und der Fokus auf Auslandseinsätze - die den Schutz großer Verbände nicht erforderten - führten dazu, dass die Luftverteidigung vernachlässigt wurde: Flugabwehrverbände wurden seit den 1990er Jahre stark dezimiert, die Heeresflugabwehr wurde 2011 gleich ganz aufgelöst, Gerät und Expertise gingen verloren.
    Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird eine biologische Beprobung gezeigt
    Der Etat der Bundeswehr soll im kommenden Jahr leicht steigen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius fordert jedoch mehr Geld, auch angesichts einer Bedrohung durch Russland.22.07.2024 | 1:38 min
    Heute hat angesichts der neuen Bedrohung aus Russland Luftverteidigung wieder Priorität. Die Zeitenwende bewirkt hier ein Umdenken, der Fokus geht zurück auf Landes- und Bündnisverteidigung. Iris-T ist da ein erster Schritt. Offen allerdings, wie konsequent Berlin nun weiter Fähigkeitslücken stopfen wird. Das kostet Geld.
    Während das Iris-T-System aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert wird, müssen weitere Entwicklungen und Systeme aus dem regulären Verteidigungsetat bezahlt werden, da das Sondervermögen fast komplett verplant ist.
    Grundsatzdebatte: Zeitenwende vs. Wehretat
    Während Kanzler Scholz die Stärkung der Bundeswehr betont, beharrt Verteidigungsmininster Pistorius auf einen finanzpolitischen Kurswechsel - wegen unzureichendem Wehretat. 22.07.2024 | 2:42 min

    Europäische Luftverteidigung im integrierten Verbund - bislang nur ein hehres Ziel

    Kosten sparen und gemeinsam effektiver sein - das ist die Idee, die der von Kanzler Olaf Scholz begründeten European Sky Shield Initiative zugrunde liegt. ESSI - ein Zusammenschluss europäischer Staaten mit dem Ziel, in gemeinsame Rüstungsprojekte zu investieren und eine integrierte europäische Raketenabwehr zu schaffen.
    Doch das Projekt hakt. Zwar sind 21 Partner dabei, doch es fehlen wichtige Staaten wie Italien und Frankreich. Mangelnde Abstimmung, nationale Egoismen und strategische und industriepolitische Differenzen verhindern eine wirkliche Integration.

    Jetzt wird man abwarten müssen, ob ESSI nur ein Einkaufsverbund ist, nur eine Einkaufsgenossenschaft, oder ob es darüber hinaus Synergieeffekte gibt, die einfach die europäische Luftverteidigung insgesamt verbessern.

    Thomas Wiegold, Sicherheitsexperte

    Iris-T - ein erster Schritt

    Klar ist: Die Indienststellung des ersten Iris-T Systems am Mittwoch ist ein richtiger Schritt hin zu einer effektiveren deutschen Luftverteidigung. Doch die feierliche Zeremonie in Todendorf darf nicht darüber hinwegtäuschen, es ist nur ein erster Schritt.
    Boris Pistorius
    Angesichts der Bedrohungen aus Russland will Verteidigungsminister Pistorius die Bundeswehr stärken. Um wieder kriegstüchtig zu werden brauche man viele zusätzliche Soldaten. 17.08.2024 | 1:34 min
    Verteidigungsminister Pistorius wird nicht müde zu betonen, angesichts der Aufrüstung Russlands hätten wir gerade mal fünf bis acht Jahre, Deutschland kriegstüchtig zu machen. Nimmt man das zur Grundlage, bleibt nicht viel Zeit, sich darauf einzustellen.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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