Demokratie: Wann Lobbyismus zum Problem in der Politik wird

    FAQ

    Blackbox Interessenvertretung?:Demokratie: Wann Lobbyismus zum Problem wird

    von Nicolas Wildschutz
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    Ein Recherche-Projekt des ZDF zeigt, wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert und welche Rolle Geld dabei spielen kann. Doch was ist Lobbyismus und ab wann wird er zum Problem?

    Typical: Reichstagsgebäude
    Ist Lobbyismus grundsätzlich ein Problem für die Demokratie? (Symbolbild)
    Quelle: Reuters

    Was passiert eigentlich hinter verschlossenen Türen, wenn ein Unternehmen versucht, seine Interessen im politischen Berlin durchzusetzen? Dieser Frage ging ein Recherche-Projekt des ZDF gemeinsam mit abgeordnetenwatch.de nach. Das Experiment hat gezeigt, wie schnell man als Unternehmen in der Bundespolitik ein Netzwerk aufbauen kann, um daraus seinen Nutzen zu ziehen. Doch ist Lobbyismus per se schlecht, wann wird Interessenvertretung problematisch und wie wirkt sich das auf die Demokratie aus?

    Ist Lobbyismus grundsätzlich schlecht?

    Die meisten Menschen haben kein gutes Bild von Lobbyismus. Sie denken an dubiose Deals in Hinterzimmern, zwischen mächtigen Wirtschaftsbossen und vermeintlich korrupten Politikern. Dabei ist Lobbyismus an sich keine schlechte Sache. Denn Lobbyismus bedeutet sinngemäß erst einmal nur Interessenvertretung. Und Interessenvertretung ist in einer Demokratie grundsätzlich wichtig.
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    "Eine Welt ohne Lobbyismus ist eine Welt ohne Teilnahme an politischen Prozessen", sagt Wiebke Marie Junk, Politikwissenschaftlerin an der Universität Kopenhagen.

    Weder das Ministerium oder die Bundesregierung hat genug Informationen, um sich mit all den vielen, facettenreichen Themen, die sich auf die politische Tagesordnung schleichen, selbst auseinanderzusetzen.

    Wiebke Marie Junk, Politikwissenschaftlerin

    Deshalb müssen sich Politiker Informationen von jenen Menschen besorgen, die sich besonders gut mit einem Thema auskennen. Wenn sich beispielsweise eine Umweltschutzorganisation für ein Verbot des Verbrennermotors einsetzt, dann wäre das auch Lobbyismus.

    Welche Rolle spielt Geld beim Lobbyieren?

    Die Sache ist jedoch die: Umweltschutzorganisationen sind nicht die einzigen, die versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Bleiben wir beim Beispiel Verbrenner-Aus. Ein Automobilkonzern hätte weniger Interesse daran, dass es durchgesetzt wird. Oder sie würden eine Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt fordern. Die Interessen von zwei Gruppen würden sich also widersprechen. Und beide Seiten würden versuchen, die Politik entsprechend ihrer gegensätzlichen Perspektiven zu beeinflussen. Und hier kommt das erste Problem auf. Denn eine Seite hat möglicherweise deutlich bessere Chancen.
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    Die Expertin Wiebke Marie Junk sagt, Lobbyismus sei auch immer eine Frage des Geldes. Denn Geld ermögliche einer Organisation, viele Menschen einzustellen, die Einfluss ausüben. "Meine Forschung zeigt, dass das mit mehr Lobby-Aktivität, mit mehr Zugang zu Politikern und mit mehr Erreichung von Lobby-Zielen zusammenhängt", sagt sie.

    Was sind "Profitlobbyisten"?

    Wie sieht das in der Praxis aus? Marco Bülow war 19 Jahre lang Abgeordneter im Bundestag. Wie Junk kritisiert auch er den Einfluss von Geld bei der politischen Einflussnahme. Die Lobbyisten, die von reichen Unternehmen beauftragt werden, nennt er "Profitlobbyisten", weil das Hauptziel ihrer Arbeit darin bestehe, den Profit dieses Unternehmens zu erhöhen.
    Diese "Profitlobbyisten" würden sich viel Zeit nehmen, viele Abgeordnete ansprechen und auch etwas bieten können. Sie organisieren beispielsweise große Podiums-Veranstaltungen und laden Politiker auf die Bühne ein. Vor allem für junge und noch nicht so bekannte Abgeordnete ist das eine gute Gelegenheit, vor einem großen Publikum aufzutreten.
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    Die Gegenseite, wie die Umweltschutzorganisation aus unserem Beispiel, hat meistens weniger Geld und kann sich nicht so viele Lobbyisten leisten wie finanzstarke Unternehmen. Sie haben demnach weniger Zeit, die Abgeordneten zu bearbeiten und können auch weniger bieten. So entsteht laut Bülow ein einseitiger Lobbyismus.

    Welche Rolle spielt Transparenz?

    Neben dem ungleichen Einfluss gibt es ein weiteres Problem: Intransparenz. "Wenn Politik und Interessenvertretung eine Blackbox ist, über die die allgemeine Öffentlichkeit nur wenige Informationen einsehen kann, gibt es insbesondere einen Nährboden für problematische Lobby-Interaktionen", sagt die Lobbyismus-Expertin Junk.
    Tatsächlich war es lange Zeit so, dass gar nichts über die vielen Lobbyisten bekannt war, die in Berlin die Politiker bearbeiteten. Deswegen wurde 2021 das Lobbyregister eingeführt. Wer lobbyieren will, muss sich hier eintragen und Informationen preisgeben, beispielsweise für wen die Lobbyisten arbeiten oder wie viel Geld in die Interessenvertretung investiert wird.

    "Die Spur": Sendungslogo
    Quelle: ZDF/finally

    Nicolas Wildschutz, Hannah Knuth, Christian Fuchs und ihr Team haben zusammen mit der Redaktion von abgeordnetenwatch.de verdeckt im Bundestag und Berliner Regierungsviertel recherchiert und decken auf, wie Lobbyisten bei ihrer Arbeit vorgehen. Das Ergebnis ist zu sehen in der Doku "Das Lobbyismus-Experiment - Wie leicht ist der Zugang zur Macht?" im ZDF am Mittwoch, den 24. Juli, um 22:45 Uhr und ab dann jederzeit in der ZDF-Mediathek.

    Was wird am Lobbyregister kritisiert?

    Einigen Kritikern geht das aber noch nicht weit genug: Sie wollen, dass auch einzelne Treffen offengelegt werden. Wir schauen noch ein letztes Mal auf unser Verbrenner-Aus-Beispiel. Sowohl die Umweltschutzorganisation als auch der Automobilkonzern wären eingetragen. Doch niemand würde erfahren, wie viele Abgeordnete beide Seiten getroffen hätten und worum es dabei ging.
    Dies zeigt auch das Experiment von ZDF und abgeordnetenwatch.de. Nur einer der sechs Abgeordneten veröffentlichte das Treffen mit den vermeintlichen Lobbyisten auf seiner Website. Das ist nicht verpflichtend, das hat er freiwillig gemacht. Die restlichen fünf erwähnten das Treffen an keiner Stelle. Hätte es sich nicht um ein journalistisches Experiment gehandelt, hätte die Öffentlichkeit nie etwas von den Treffen erfahren.

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