Lobbyismus im Bundestag: Firmen zahlen 40 Millionen Euro
Kritik von Finanzwende:Finanzlobby mit "Dauerberieselung" im Bundestag
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Die Finanzindustrie gibt laut Auswertung der Bürgerbewegung Finanzwende 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit im Bundestag aus. 442 Lobbyisten sind demnach namentlich registriert.
Lobbyisten arbeiten im Schatten der Macht. Wie gehen sie dabei vor, und wie viel können sie bei Politikern erreichen? "Die Spur" will herausfinden: Wie funktioniert das System Lobbyismus?24.07.2024 | 28:36 min
Banken, Versicherungen und Fondsindustrie geben Millionenbeträge aus, um mit Hunderten Lobbyisten Einfluss auf Gesetze im Bundestag zu nehmen. Nach einer Auswertung der Bürgerbewegung Finanzwende ist keine andere Branche unter den 100 finanzstärksten Lobbyakteuren so stark vertreten wie die Finanzbranche. Das gehe aus dem öffentlich einsehbaren Lobbyregister des Bundestags hervor, erklärte der Verein.
Lobbyismus ist "die gezielte, organisierte und auch professionelle Vertretung politischer Interessen", erklärt Timo Lange von LobbyControl. Dabei gehe es oft um Einflussnahme auf Gesetze und politische Entscheidungen. Diese Interessenvertretung ist in einer Demokratie grundsätzlich wichtig. "Eine Welt ohne Lobbyismus ist eine Welt ohne Teilnahme an politischen Prozessen", sagt Wiebke Marie Junk, Politikwissenschaftlerin an der Universität Kopenhagen. "Weder das Ministerium noch die Bundesregierung hat genug Informationen, um sich mit all den vielen, facettenreichen Themen, die sich auf die politische Tagesordnung schleichen, selbst auseinanderzusetzen."
Deshalb müssen sich Politiker Informationen von jenen Menschen besorgen, die sich besonders gut mit einem Thema auskennen. Wenn sich beispielsweise eine Umweltschutzorganisation für ein Verbot des Verbrennermotors einsetzt, dann ist das auch Lobbyismus. Problematisch wird Lobbyismus, wenn Akteure übermäßig viel Einfluss ausüben können oder mangelnde Transparenz die Einflussnahme verschleiert.
Das Lobbyregister wird seit 2022 auf der Internetseite des Deutschen Bundestags geführt. Es soll sichtbar machen, wer Einfluss auf politische Entscheidungen und die Gesetzgebung nimmt. Professionelle Interessenvertreter müssen sich dort eintragen. Sie müssen Angaben unter anderem über ihre Auftraggeber und Themenfelder sowie zum personellen und finanziellen Aufwand ihrer Lobbytätigkeit bei Bundestag und Bundesregierung machen. Sie sind verpflichtet, sich an einen vorgegebenen Verhaltenskodex zu halten.
Seit März 2024 müssen sie auch angeben, auf welches konkrete Gesetzgebungsvorhaben sie Einfluss nehmen wollen. Außerdem sollen sie Kernpunkte ihrer Forderungen im Lobbyregister hochladen. Lobbyisten müssen nun auch angeben, wenn sie nicht die Interessen ihres eigentlichen Auftraggebers vertreten, sondern die einer dritten Seite. Und wenn Mandats- und Amtsträger ins Lager der Lobbyisten wechseln, müssen sie aktuelle und frühere Ämter und Mandate offenlegen.
Demnach sind zehn der 100 Lobbyakteure mit den größten Budgets Banken, Versicherungsunternehmen und Investmentgesellschaften. Zusammen kämen sie auf jährliche Lobbyausgaben von fast 40 Millionen Euro und 442 namentlich im Register genannten Lobbyistinnen und Lobbyisten. Die in Deutschland traditionell starke Autolobby sei dagegen nur mit sechs Einträgen und einem Lobbybudget von knapp 18 Millionen Euro unter den Top 100 vertreten, die Chemielobby mit fünf Einträgen und rund 21 Millionen Euro Ausgaben für Kontaktpflege und den Versuch, die Politik zu beeinflussen.
Ausgaben der Top 100 des Lobbyregisters
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Aktuell sind fast 6.000 Unternehmen, Verbände, Organisationen, Netzwerke, Einzelpersonen und andere im Register angemeldet. Die Zahl der benannten Beschäftigten, die die Interessenvertretung unmittelbar ausüben, liegt bei mehr als 27.000.
Die Verschärfung der Anzeigepflichten habe zu einem "massiven Transparenzgewinn" geführt, erklärte Finanzwende Geschäftsführer Daniel Mittler:
Bürgerbewegung Finanzwende e. V. ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für ein gerechtes und stabiles Finanzsystem einsetzt. Der Verein wurde 2018 von Gerhard Schick (ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen) gegründet. Die Organisation betreibt Lobbyarbeit und Kampagnen für Finanzmarktreformen, Verbraucherschutz im Finanzsektor und gegen Finanzkriminalität.
Finanzwende e.V. hat zwölf Personen im Lobbyregister des Bundestags angegeben, die die Interessenvertretung des Vereins unmittelbar ausüben dürfen.
Auch bestimmte Seitenwechsel von der Politik in die Finanzlobby seien jetzt sichtbarer, meint der Verein. Lobbyisten müssen nun angeben, ob sie in den letzten fünf Jahren im Bundestag, in der Regierung oder der Bundesverwaltung tätig waren. Bekannte Ex-Politiker oder Mitarbeiter von Abgeordneten sind für die Finanzlobby mit ihren Insider-Kenntnissen über die Abläufe in Ministerien und Bundestag Gold wert.
Laut Recherchen von ZDF frontal sollen von einer Lobby-Organisation Treffen mit hochrangigen Mitarbeitern des Verkehrsministeriums angeboten worden sein. 16.07.2024 | 2:48 min
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft an 86 Regelungsvorhaben beteiligt
Spitzenreiter bei den Lobbyausgaben ist der Auswertung zufolge weiterhin der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Der Verband vertritt die Interessen von Versicherungsunternehmen und investiert dafür jährlich rund 15 Millionen Euro. 93 namentlich genannte Lobbyisten zogen für den GDV die Strippen und beteiligten sich von März bis November an 86 Gesetzen und Verordnungen. Hauptgeschäftsführer des Verbandes ist Jörg Asmussen, der vorher unter anderem als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium sowie im Bundesministerium für Arbeit und Soziales tätig war.
Zu so vielen konkreten Regelungsvorhaben haben Sich die Verbände eingebracht
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"Wer über so viele Ressourcen verfügt wie die Finanzlobby, kann Dutzende politische Prozesse gleichzeitig begleiten. Im Lobbyregister ist die Dauerberieselung von Abgeordneten zu sehen", erklärte Mittler.
Auch die Bürgerbewegung Finanzwende, die die Lobbyarbeit der Branche auswertete, ist im Register als Lobbyist eingetragen. Angegeben sind ein Budget von 130.000 bis 140.000 Euro und zwölf Interessenvertreter. Finanzwende schrieb demnach Stellungnahmen bei drei politischen Vorhaben, unter anderem zur Kapitalmarktunion.
Kulturzeit-Gespräch mit dem Diplom-Politikwissenschaftler von LobbyControl darüber, wie Lobbyisten arbeiten, wieviel Nähe die Politik braucht - und wann Unabhängigkeit verloren geht.07.06.2019 | 5:44 min