Interview
Kommentar
"Register für psychisch Kranke?":Empörung über Äußerung von Linnemann
von Henriette de Maizière
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Der Wahlkampf hat begonnen. Sind markige Forderungen wie die von Carsten Linnemann nach einem "Register für psychisch kranke Gewalttäter" deshalb salonfähig?
Eine Interview-Äußerung Carsten Linnemanns sorgt für viel Empörung.
Quelle: ddp
Korrigierte Fassung: In der ursprünglichen Fassung hatte die Autorin geschrieben, Linnemann hätte zuerst nur von einem "Register für psychisch Kranke" gesprochen. Richtig ist, er spricht zuerst von "psychisch kranken Gewalttätern". Die Überschrift wurde zudem nachträglich aus redaktionellen Gründen geändert.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk spricht sich Carsten Linnemann für schnelle Aufarbeitung der Vorgänge in Magdeburg aus. Im Neujahrs-Taumel geht dabei beinahe eine pikante Äußerung vom CDU-Generalsekretär unter.
In dem Interview vom 30. Dezember 2024 sagt er, seine Lehre aus dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt sei:
Linnemanns Fomulierung sorgt für Aufregung bei Verbänden und Betroffenen
Wenn Linnemann im weiteren Verlauf des Interviews sagt, es reiche nicht aus, "Register anzulegen für Rechtsextremisten und Islamisten, sondern in Zukunft sollte das auch für psychisch Kranke gelten", klingt es, als wolle er alle psychisch Kranken vorsichtshalber registrieren lassen. Damit hat er für große Aufregung bei Verbänden und einzelnen Betroffenen gesorgt.
Millionen Menschen sind von psychischen Erkrankungen betroffen. Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sind keine Randphänomene. Sie sind alltägliche Realität.
Nach Schätzungen der WHO sind Depressionen bis zum Jahr 2020 der zweithäufigste Grund für Erwerbsunfähigkeit. Rund jeder Fünfte erkrankt einmal in seinem Leben daran.13.02.2020 | 43:45 min
Ein psychisch kranker Mensch hat eine medizinische Diagnose. Ein Gewalttäter ist ein Mensch, der eine Straftat begangen hat. Manchmal - und dann immer tragisch - kommt wie bei dem Täter in Magdeburg beides zusammen.
Psychiater: Forderung absolut abwegig und empörend
Der Psychiater Mazda Adli sagt gegenüber ZDFheute, der Vorschlag Linnemanns sei aus medizinischer Sicht absolut abwegig und aus ethischer Sicht empörend.
"Seit Jahrzehnten versuchen wir als Gesellschaft psychische Erkrankungen (die nebenbei bemerkt ein Drittel der Bevölkerung mindestens einmal im Leben betreffen) zu entstigmatisieren und setzen uns für einen tabufreien und offenen Umgang damit ein."
Und er sei auch sachlich falsch. Richtig sei: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gefährlicher als psychisch gesunde Menschen. Es gebe einzelne Diagnosen, die mitunter in Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen gewaltbereiter machen. Aber zu Terrorismus existiere kein kausaler Zusammenhang, so Adli.
Im Leben gibt es Krisen. Laut Studien hat jeder vierte Deutsche ein potenziell traumatisches Ereignis erlebt, die heftigste Form der Krise.01.10.2023 | 27:08 min
Gruppen warnen vor Vorverurteilungen
Die Depressionsliga veröffentlichte auf Instagram ein Statement, in dem sie kritisiert, Linnemann schere mit seiner Forderung alle psychisch Kranken (die im Übrigen nicht freiwillig krank geworden seien) über einen Kamm und vorverurteile sie. Das sei grober Unfug.
Statement der Depressionsliga auf Instagram
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Spinne man diese Denkweise weiter, müssten dann "beispielsweise alle Männer in einer Liste aufgeführt werden, weil sie potenzielle Gefährder ihrer Ehefrauen oder Partnerinnen sind?"
Bei welchen Hinweisen sollte man aufmerksam werden?02.10.2023 | 4:59 min
Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie sind in Deutschland jedes Jahr 27,8 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Nur 18,9 Prozent nehmen Kontakt zu Behandlern auf, ob aus Angst vor Stigmatisierung oder Mangel an Therapieangeboten, ist nicht bekannt.
Häufigste Erkrankungen:
Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland (nach Herz-Kreislauf-, Krebs- und Erkrankungen des Bewegungsapparates) zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie
Häufigste Erkrankungen:
- Angststörungen (15,4 Prozent)
- Depression (8,2 Prozent)
- Störungen durch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch (5,7 Prozent)
Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland (nach Herz-Kreislauf-, Krebs- und Erkrankungen des Bewegungsapparates) zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie
Und die Gruppe Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener Rheinland-Pfalz empört sich in einem offenen Brief an Linnemann:
Diskursverschiebung gefährdet sozialen Frieden
Der Vorschlag Linnemanns und die Selbstverständlichkeit, mit der er ihn macht, ist das Ergebnis einer Diskursverschiebung, wie sie in Teilen der Politik seit einiger Zeit möglich geworden scheint. Das gefährdet sozialen Frieden und ist menschenverachtend. Ein Register für psychisch Erkrankte würde ein Klima des Misstrauens und der Angst schaffen, anstatt solidarisch miteinander zu sein.
Stress und Unsicherheiten prägen den Alltag vieler Menschen und beeinträchtigen ihr seelisches Gleichgewicht. Wie man es schafft, mental gesund zu bleiben.19.07.2023 | 5:20 min
Wenn "Sicherheitsbehörden" Listen über kranke Menschen führen, muss das uns alle aufmerken lassen. Erinnert es doch auf fatale Weise an die 1930er Jahre, als unter den Begriffen der "Gefahrenabwehr" und "Volksgesundheit" Stigmatisierung und Verfolgung psychisch erkrankter Menschen zur Politik der Nationalsozialisten gehörte.
Der Vorschlag brandmarkt eine ohnehin vulnerable Gruppe und nimmt eine weitere Stigmatisierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung billigend in Kauf.
Wo bleiben Respekt und Anstand, die der Bundespräsident forderte?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte in dem Statement am 27. Dezember zu seiner Entscheidung über die Auflösung des Deutschen Bundestages die Parteien zu einem fairen Wahlkampf gemahnt.
Respekt. Und Anstand. Das ist mit diesem Interview Carsten Linnemanns als Auftakt schon mal nicht gelungen.
Quelle: ZDF
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