Interview
Analyse
Ampel vor dem Aus?:Die ganze Macht des Christian Lindner
von Wulf Schmiese
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Das Grundsatzpapier von Christian Lindner macht seine Regierungspartner ratlos. Beide Seiten, Grüne wie SPD, fragen sich: Was will der Finanzminister? Nur raus aus der Ampel?
Das Papier von Christian Lindner befeuert Spekulationen über ein baldiges Ende der Ampel-Regierung. Darin fordert er eine "Wirtschaftswende" - die Koalitionspartner äußern Kritik.02.11.2024 | 2:03 min
Vor allem der Kanzler braucht eine klare Antwort auf diese Frage, damit seine Koalition nicht zerbricht. Olaf Scholz hat wenig Zeit, Finanzminister Christian Lindner zu halten. Genauso wenig Zeit hat der FDP-Vorsitzende zu gehen: etwa zwei Wochen.
Es geht um den Haushalt - und viel mehr
Vordergründig geht es um die Schlussrunde für den Haushalt 2025. Der muss - dem jetzigen Plan nach - spätestens am kommenden Wochenende seitens der Regierung stehen. Im Bundesfinanzministerium brauchen sie dann noch eine knappe Woche, um die sogenannte Bereinigungsvorlage zu erstellen - also das finale Konvolut von knapp 3.500 Seiten, die dann dem Haushaltsausschuss des Bundestags übergeben werden. Das Allermeiste hat der Ausschuss zwar schon seit September. Doch das Ergänzen einzelner Posten und Austauschen einzelner Seiten ist üblich, weil die Steuerschätzung aufgrund der jüngsten Konjunkturprognose die Zahlen nochmal verändert - und verschlechtert - hat.
Null Wirtschaftswachstum verringert die Steuereinnahmen, zugleich dürfen so aber auch etwas mehr Schulden gemacht werden. Alles komplizierte Minus- und Plusrechnung wegen Mindereinnahmen und Konjunkturkomponenten, sodass am Ende eine Lücke von zehn bis zwölf Milliarden Euro klafft. Die muss noch bereinigt werden von der Regierung. In der berühmten Haushaltsbereinigungssitzung lässt der Ausschuss ein letztes Mal mit sich reden, am 14. November, damit dann über alles Ende des Monats der Bundestag abstimmt und der Etat 2025 steht.
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Wenn der Haushalt durch ist im Parlament, dann wäre die FDP nicht mehr so wichtig. Ginge sie von Bord, könnte Scholz mit einer rot-grünen Minderheitsregierung bis zur regulären nächsten Bundestagswahl im September 2025 Bundeskanzler bleiben. Würde er die FDP jedoch verlieren, bevor der Haushalt unter Dach und Fach ist, dann müsste er die Vertrauensfrage stellen. Ohne Mehrheit käme es zu Neuwahlen wohl im März.
Christian Lindner ist am Sonntag zu Gast bei Berlin direkt - ab 19:10 Uhr moderiert von Wulf Schmiese.
Lindners Macht in der Ampel
Deswegen sind die kommenden zwei Wochen entscheidend für Lindner, von ihm hängt ab, wie lange Scholz Bundeskanzler bleiben kann. Lindner ist damit derzeit der Mächtigste in der Ampel. Diese Hauptrolle nutzen zu wollen, hat er selbst früh angekündigt: Vom "Herbst der Entscheidungen" sprach er Anfang September nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, die für die FDP katastrophal ausgingen.
Als drei Wochen später die FDP auch noch bei der Wahl in Brandenburg atomisiert wurde, sagte er: "Migration, wirtschaftlicher Erfolg dieses Landes und stabilitätsorientierte Haushaltspolitik mit mutiger Schwerpunktsetzung, das sind die Fragen, die in diesem Herbst geklärt werden müssen." Dann werde sich zeigen, ob die Koalition die Kraft finde, einen Haushalt zu beschließen, der die Bürgerinnen und Bürger unter dem Strich entlaste und dabei die verfassungsmäßig vorgegebene Schuldenbremse einhalte.
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Papier der Provokationen
Große Worte, denen nun ein langes Grundsatzpapier gefolgt ist, 18 Seiten ordnungspolitische Volkswirtschaft unter dem Titel "Wirtschaftswende Deutschland". Der künftige Bundeshaushalt, um den es jetzt eigentlich geht, kommt darin eingebettet und weit hinten vor: "Zukunftshaushalt 2025 als Bestandteil der Wirtschaftswende".
Mit jeder Seite werden die Koalitionspartner provoziert. Im Stil und Duktus exakt so, wie Lindners ordoliberaler Ahnherr Otto Graf Lambsdorff 1982 in seinem Wendepapier die SPD vorführte und Bundeskanzler Helmut Schmidt nötigte, die Koalition nicht fortsetzen zu können. Damals allerdings konnte die FDP mit der Union weiterregieren. Das Lambsdorff-Papier hatte genau das zum Ziel.
Macht Lindner wirklich den Lambsdorff?
Weil Lindner aber in die Opposition fiele und dann keine Bühnen mehr hätte als Minister, rätseln seine Noch-Koalitionäre: Macht er wirklich den Lambsdorff? In beiden Grundsatzpapieren wird gegen "strukturelle Wachstumsschwäche" durch zu hohe Schulden und zu viel Staat gewettert. Mit Steuersenkungsmaßnahmen reißt Lindner Löcher in den bisherigen Haushaltsentwurf, die er durch härtere Sozialpolitik oder laschere Klimaschutzziele wieder stopft. Schwerlich werden SPD und Grüne all dem zustimmen.
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Genau das, vermuten manche in der Regierung, sei Lindners Ziel: Den Preis für den Haushalt - und damit für sein Verbleiben in der Ampel - unbezahlbar hoch anzusetzen. Damit er hinterher sagen kann, was er schon 2017 gesagt hat: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Für den kurzen Wahlkampf bis März wolle er dann als der Ampel-Töter mutmaßlich so weit punkten, dass die FDP es wieder in den Bundestag schafft.
US-Wahlergebnis könnte Einfluss haben
Partei vor Land, Egoismus anstatt Altruismus - das werde aber Anti-Werbung sein, so wollen andere ihm den Absprung ausreden. Nun sind Dreier-Runden geplant, also direkte Gespräche zwischen Scholz, Habeck und Lindner mit konkreten Fragen: Wie können wir die Wachstumsinitiative beschleunigen? Von den 49 Punkten sind erst ein Dutzend umgesetzt. Wo gibt's Kompromisse, etwa beim Lieferkettengesetz? Mittwochabend soll planungsmäßig der Koalitionsausschuss tagen.
Da schon könnte es Hoffnung geben, wenn auch "gruselige Hoffnung", wie es jemand aus der Ampel nennt: Sollte aus den USA die Nachricht kommen, dass Donald Trump Präsident wird, könnte es schwerer werden für Lindner auszusteigen. Dann müsse Deutschland zusammenhalten - allen voran seine Regierung.
Wulf Schmiese ist stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios.
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