Lindner im ZDF-Sommerinterview zum Scheitern des Haushalts
Sommerinterview mit FDP-Chef:Lindner: "Das passiert mir kein zweites Mal"
von Stefanie Reulmann
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Finanzminister Lindner will ein erneutes Scheitern mit dem Haushalt vor dem Verfassungsgericht vermeiden. "Das passiert mir kein zweites Mal", sagt er im ZDF-Sommerinterview.
Finanzminister Lindner will den Haushalt 2025 überarbeiten, um nicht erneut vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern. "Das passiert mir kein zweites Mal", sagt er im ZDF.04.08.2024 | 20:45 min
Finanzminister Christian Lindner sieht im Bundeshaushalt für 2025 nach den jüngsten Gutachten noch eine Finanzierungslücke von rund fünf Milliarden Euro. Es gebe aber noch viel Zeit, eine tragfähige Lösung zu finden, betont der FDP-Vorsitzende im ZDF-Sommerinterview.
Bis Mitte des Monats werde er mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) beraten, danach gehe der Haushaltsentwurf in den Bundestag, wo er Ende November beschlossen werden solle.
Der FDP-Finanzpolitiker äußert sich zum Streit über den Haushalt für 2025 - und nennt eine Lücke von fünf Milliarden Euro. Es gebe noch viel Zeit, eine tragfähige Lösung zu finden.04.08.2024 | 2:39 min
Zweifel, ob Haushaltskompromiss verfassungsgemäß ist
Eigentlich hatten die drei Ampel-Spitzen Anfang Juli bereits verkündet, einen Kompromiss zum Haushalt gefunden zu haben. Es ging darum, eine Lücke von rund 30 Milliarden Euro zu stopfen. Doch Lindner hatte schon damals Zweifel an mehreren Vorhaben angemeldet und diese verfassungsrechtlich sowie wirtschaftlich prüfen lassen.
"Ich habe die politische Verantwortung für unsere Staatsfinanzen", so Lindner.
Lindner fordert Nachverhandlungen. Steht der mühsam erreichte Kompromiss in Frage? Wulf Schmiese in Berlin.01.08.2024 | 1:17 min
Was steckt hinter dem Haushaltsstreit?
Lindner hatte zuletzt neuen Gesprächsbedarf zum Haushalt angemeldet, auf dessen Grundzüge die Ampel-Koalition sich erst vor knapp einem Monat nach langem Streit verständigt hatte. Eigentlich sollte eine Finanzierungslücke im Haushalt des kommenden Jahres um insgesamt acht Milliarden Euro reduzieren werden. Konkret ging es dabei um zwei Vorhaben: Die Deutsche Bahn und die Autobahngesellschaft sollten Darlehen statt Zuschüsse erhalten. Zudem sollten rund fünf Milliarden Euro Restmittel aus der Zeit der Gaspreisbremse für den Haushalt verwendet werden, die derzeit bei der Förderbank KfW liegen.
Zwei Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums hatten erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Zweifel an den Vorhaben ergeben. Vor allem der Plan, die ungenutzten KfW-Mittel für Haushaltslöcher zu verwenden, ist demnach riskant. Erst im vergangenen Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Koalition einen Strich durch deren Haushalts-Rechnung gemacht - und dadurch Milliardenlöcher in die Finanzplanung gerissen.
SPD-Chefin Saskia Esken reagierte verärgert: Es sei wichtig, dass man in einer Koalition Kompromisse "nicht nur schließt, sondern am Ende auch trägt, und gemeinsam auch vorträgt". Die Art und Weise, "wie da agiert worden ist", gehe über die Grenzen dessen hinaus, "was man an persönlicher und parteilicher Profilierung ertragen muss in so einer Koalition", so Esken.
Wie kam es 2023 zu der Haushalts-Klatsche des Bundesverfassungsgerichts für die Ampel? Hier ein Überblick mit Antworten zu den wichtigsten Fragen:
Warum ist das Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Klatsche für die Ampel? Ein Überblick.
von Dominik Rzepka
FAQ
Lindner gegen Steuererhöhungen
Woher die Gelder kommen sollen, um die Lücke im Haushalt zu schließen, lässt Lindner offen - definiert aber klar eine rote Linie: "Steuererhöhungen für die arbeitende Mitte in unserem Land" - das trage die FDP nicht mit.
Stattdessen müsse im Rahmen der Schuldenbremse mehr für Bildung, für die Bundeswehr und die Sicherheit Deutschlands getan sowie Investitionen getätigt werden. Dass die deutsche Wirtschaft aktuell in der Krise ist, liege nicht an der Ampelpolitik, so Lindner:
Das Bruttoinlandsprodukt ist von April bis Juni um 0,1 Prozent gesunken. Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Unter anderem werden fehlende Investitionen als Grund genannt. 30.07.2024 | 0:21 min
Ein Grund für die aktuell schlechte Wirtschaftslage sei die Umstellung der Energieversorgung im Zuge des Ukraine-Krieges. Deutschland konnte nicht länger von günstigen fossilen Energieimporten aus Russland profitieren. Hinzu kam eine hohe Inflation. Lindner mahnt deshalb, Deutschland müsse seine Wettbewerbsfähigkeit wieder verbessern. Erste Schritte in Richtung einer Wirtschaftswende ist die Ampel mit ihrer Wachstumsinitiative gegangen. Doch auch die geht vielen Wirtschaftsunternehmen nicht weit genug.
Wie ist die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft?
"2014 war Deutschland auf Platz sechs der weltweiten Wettbewerbsfähigkeit - und in zehn Jahren, nicht in drei, sind wir Jahr für Jahr schlechter geworden", erklärt Lindner. Er bezieht sich dabei auf Zahlen der Schweizer Wirtschaftshochschule IMD: Im aktuellen "Competitiveness Ranking" ist Deutschland auf Platz 24 von 67 untersuchten Wirtschaftsstandorten abgerutscht. Die Wettbewerbsfähigkeit hat also dramatisch abgenommen, vor allem im Vergleich zu Staaten mit ähnlicher wirtschaftlicher Struktur: Unsere direkten Nachbarn Schweiz und Dänemark liegen in dem Ranking auf den Plätzen 2 und 3.
Laut einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) erwägen immer mehr Unternehmen in Deutschland, die Produktion einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern. Bei größeren und energieintensiven Unternehmen sei es mehr als jeder zweite Betrieb.
In Deutschland herrscht derzeit Konjunkturflaute, Europas größte Volkswirtschaft ist im zweiten Quartal überraschend geschrumpft, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Und es gibt auch keine Aussichten auf Besserung: Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der als wichtigster Frühindikator für die Wirtschaft gilt, war im Juli bereits den dritten Monat in Folge gesunken - ein schlechtes Omen für die Konjunkturentwicklung.
Als größtes Hindernis nennen die meisten Unternehmen in der DIHK-Umfrage hohe Energiepreise, die ausufernde Bürokratie, langsame Genehmigungsverfahren und fehlende Planbarkeit wegen der Energiepolitik. Die Autoindustrie warnt deshalb aktuell vor "schleichender Deindustrialisierung": "Wir haben ein gravierendes Standortproblem", sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Jobs in Deutschland könnten nur gehalten werden, wenn Energie billiger werde, Rohstoffe gesichert würden und Bürokratie abgebaut werde, so Müller. Stattdessen begebe sich die EU etwa mit dem Lieferkettengesetz auf Sonderwege und türme neue Bürokratie-Hürden auf.
Quelle: Mit Material von dpa, Reuters
Steigende Energiekosten, Bürokratie und hohe Netzentgelte – immer mehr Betriebe fühlen sich von den Bedingungen in Deutschland gebremst. 01.08.2024 | 1:59 min
Lindner: Zusammenarbeit in Ampel "gewöhnungsbedürftig"
Mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr geht der FDP-Chef im Sommerinterview auf Distanz zu den Ampel-Partnern. Die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen sei für Unterstützerinnen und Unterstützer der Liberalen "um das Freundlichste zu sagen: gewöhnungsbedürftig", sagt Lindner.
"Im nächsten Jahr werden die Karten völlig neu gemischt", betont er und kritisiert die CDU für ihre "Schlangenlinie in der Finanzpolitik" und SPD und Grüne für ihre Positionierung zugunsten von Steuererhöhungen.
Die Ampel streitet erneut über den Haushalt 2025. SPD-Chefin Esken wirft Finanzminister Lindner (FDP) vor, Gutachtenergebnisse zuerst an die Öffentlichkeit gebracht zu haben.05.08.2024 | 0:27 min
Die FDP gehe deshalb "eigenständig in die nächste Bundestagswahl", sagt er. Bürgerinnen und Bürgern sowie Betriebe sollen bei Steuern und Bürokratie entlastet werden, und die Partei wolle eine "andere Einwanderungs- und Sozialpolitik", sagt er.