Islam-Debatte: Theologe vermisst innermuslimischen Dialog

    Islam-Debatte bei "Lanz":Theologe: Vermisse innermuslimischen Dialog

    von Felix Rappsilber
    |

    DITIB-Aussteiger Murat Kayman kritisiert das Glaubensverständnis muslimischer Verbände. Der Theologe Mouhanad Khorchide fordert ein "innermuslimisches Nachschrauben".

    Markus Lanz vom 30. Mai 2024: Khola Hübsch, Markus Lanz, Mouhanad Khorchide, Murat Kayman, Ahmad Mansour
    Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 30. Mai 2024 in voller Länge.30.05.2024 | 75:19 min
    Eskalierende Pro-Palästina-Demonstrationen in Berlin oder islamistische Demonstrationen in Hamburg haben auch unter Muslimen in Deutschland zuletzt Debatten ausgelöst. Warum nimmt der Eindruck zu, dass sich immer weniger Muslime mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifizieren?
    Der Jurist Murat Kayman kritisierte am Donnerstagabend bei Markus Lanz islamische Glaubensverbände. Sie würden die Erzählung verbreiten, "dass Muslimisch-Sein in Deutschland nur dann funktioniert, wenn man sich gegen diese Gesellschaft positioniert".
    Die palästinensische Flagge weht bei einem Protestcamp an der Uni Bonn.
    An deutschen Hochschulen kommt es immer öfter zu pro-palästinensischen Demonstrationen. Dabei kommt es regelmäßig zu Spannungen mit Gegendemonstranten und der Polizei. 10.05.2024 | 1:46 min
    Kayman arbeitete drei Jahre lang als Justitiar für den größten deutschen Islamverband DITIB, bevor er 2017 ausstieg. DITIB steht immer wieder wegen seiner Abhängigkeit von der türkischen Regierung und fehlender Distanzierung von radikalen Islamisten in der Kritik. Das Problem gehe laut Kayman aber weit über deutsche Islamverbände hinaus.

    Es gibt keine positive Erzählung, wie eine Koexistenz mit Israel aus muslimischer Sicht aussehen kann, sondern es gibt immer wieder die Wiederholung dieser Befreiungswünsche.

    Murat Kayman, Jurist

     Ein Mann hebt seinen Finger (islamisches Symbol für die Einheit Gottes, sogenannter Tauhid-Finger) als Provokation am Rande der Demonstration auf dem Steindamm gegen Islamismus und Antisemitismus und für freiheitliche Werte und das Grundgesetz.
    Nachdem die islamistische Gruppe "Muslim interaktiv" bundesweit für Schlagzeilen sorgte, durfte sie wieder demonstrieren- unter strengen Sicherheitsmaßnahmen. 11.05.2024 | 1:49 min

    Khorchide: Muslime überlassen Vakuum

    Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide merkte an: "Ich vermisse einen innermuslimischen Dialog: Warum können wir nicht untereinander gesund streiten?"
    Fordere man selbstkritisch ein "innermuslimisches Nachschrauben", kritisiere die muslimische Gemeinschaft wiederum, dass diese Argumente von Rechten gegen den Islam instrumentalisiert werden könnten.

    Lieber reden wir nicht über problematische Zonen, innerislamisch, nur mit der Konsequenz: Wir überlassen ein Vakuum.

    Mouhanad Khorchide, Theologe

    Hübsch: Zu wenige geschützte Räume

    An Berliner Universitäten waren propalästinensische Demonstrationen eskaliert. Mit Blick darauf sagte die Journalistin Khola Maryam Hübsch: "Wir brauchen Räume, wo gesprochen werden kann, wo diskutiert werden kann. Und das muss an den Universitäten stattfinden."
    Eine Ursache für den "steigenden Antisemitismus, auch unter Muslimen", seien "viel zu wenige geschützte Räume". Den meisten Bildungseinrichtungen sei es "viel zu heikel", den Nahost-Konflikt zu thematisieren.
    Man habe versäumt, "im akademischen Bereich" offen über den Nahost-Konflikt zu sprechen. "Deswegen eskaliert das vielleicht auch gerade so, weil man eben Extremisten nicht mehr eingefangen bekommt", sagte Hübsch.
    Israel-Flagge spiegelt sich in Scheibe der FU Berlin
    Wegen des Krieges in Gaza ist die Stimmung auch an vielen deutschen Universitäten angespannt. Die FU Berlin will angehende Lehrer mit Kursen besser vorbereiten.28.05.2024 | 1:34 min

    Khorchide: Demonstranten wissen nicht, wo Palästina ist

    Mouhanad Khorchide sprach von einer "stellvertretenden Debatte". Es gehe bei diesen Demonstrationen "nicht um Nahost, sondern um uns hier". Khorchide habe mit jungen Demonstranten gesprochen:

    Die wussten nicht einmal, wo Palästina ist. Sie wussten nichts über die Geschichte. Die wussten nicht einmal, wofür oder wogegen sie demonstrieren.

    Mouhanad Khorchide, Theologe

    Ähnliches habe er erlebt, wenn für ein Kalifat und die Regeln der Scharia geworben wurde. Wenn Khorchide Demonstranten frage, was beides bedeute, sei die Antwort: "Keine Ahnung. Aber wichtig für mich ist etwas Eigenes."
    Ursachen für das Demonstrieren seien ein Gefühl der Diskriminierung, ein "Nicht-Ankommen in europäischen und westlichen Gesellschaften" und eine "Identitätssuche und Identitätsfindung in der Religion".
    Mehrere Menschen versammeln sich zu einer pro-palästinensischen Demonstration vor einer Universität. Sie tragen Plakate und die palästinensische Nationalflagge.
    Universitäten werden häufiger Schauplätze für bevorzugt pro-palästinensische Proteste. Doch zur Kritik an Israel gesellt sich auch Antisemitismus und die Verharmlosung der Hamas.24.11.2023 | 3:08 min

    Mansour: Muslime müssen Verantwortung übernehmen

    Extremismusforscher Ahmad Mansour warf die Frage auf: "Ist das ein Fehler der Mehrheitsgesellschaft? Ist das ein Fehler der Politik, die Haltung gezeigt hat, die 'Nie wieder' gesagt hat, oder ist das ein Problem bei uns?"
    Die empfundene Kränkung habe mit der Art und Weise zu tun, "wie wir groß geworden sind". Mansour plädierte dafür, "dass wir Verantwortung übernehmen", statt "immer die Mehrheitsgesellschaft, die Politik, den deutschen Staat verantwortlich zu machen für die Probleme, die wir haben".

    Mehr zu den Demonstrationen in Deutschland