AfD-Erfolge: Appell von Holocaust-Überlebendem bei "Lanz"

    Leon Weintraub bei "Lanz":AfD-Erfolge: Appell von Holocaust-Überlebendem

    von Pierre Winkler
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    Als Auschwitz-Überlebender berichtet Leon Weintraub, wie Hass "geraden Weges in die Gaskammer" führen könne. Im Umgang mit Rechtsextremisten heute hat er eine klare Forderung.

    Markus Lanz vom 30. Januar 2024: Markus Lanz, Leon Weintraub, Nadine Lindner, Harald Jähner
    Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 30. Januar 2024.31.01.2024 | 75:46 min
    Mit 18 Jahren kam Leon Weintraub ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, wo seine Mutter ermordet wurde. Er überlebte mit viel Glück, anschließend noch drei weitere Lager.
    Heute, mit 98, sei es immer noch nicht einfach, über sein Schicksal zu sprechen, sagte Weintraub am Dienstagabend bei "Markus Lanz". Aber: Er sei "überzeugt, dass es nützlich ist, darüber zu sprechen, die Wahrheit über den Alltag unter den Nazis zu berichten".
    Und vor allem davon zu erzählen, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

    Es fängt an mit Abneigung gegen andere, von oben herabschauen auf andere, missachten anderer. Und das führt geraden Weges in die Gaskammer.

    Leon Weintraub, Auschwitz-Überlebender

    Weintraub sieht rechtsradikale "Hydra mit tausend Köpfen"

    Heute sehe er eine "immer stärker wachsende Hydra mit tausend Köpfen, von Rechtsradikalen, die wieder die Schlagworte der NSDAP, die Ideologie von Hitler, Goebbels und Rosenberg aufgreifen".
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    Der in Lodz geborene Weintraub beklagte, dass es "in meinem Geburtsland Polen junge Menschen gibt, die durch die Straßen marschieren in naziähnlichen Uniformen, mit Nazi-Slogans, mit dem 'HH'-Gruß, Hitlers Geburtstag feiern".
    Und das in einem Land, "wo es kaum eine Familie gibt, die nicht unter den Nazis gelitten hat".
    Anders als in Polen sah der Autor Harald Jähner die Situation in Deutschland. Hier kritisierte er den Umgang mit Anhängern der AfD, deren "Angst vor einer ungeregelten Migration" man "in gewisser Weise rational nachvollziehen" könne.
    Wenn daraus Gewaltfantasien entstünden sei das "natürlich abscheulich", aber "diese Leute immer pauschal als Nazis zu bezeichnen", führe dazu, "dass die Gesellschaft immer mehr desensibilisiert".

    Journalistin Lindner: AfD weiß, was sie tut

    Die Journalistin Nadine Lindner entgegnete, es müsse schon jedem klar sein, was für eine Partei die AfD sei. Etwa wenn sich AfD-Politiker mit dem Rechtsradikalen Martin Sellner träfen: "Die entscheiden sich dazu, auch wenn das keine Parteiveranstaltung war, sich mit Herrn Sellner in einer Potsdamer Villa zusammenzusetzen und seine Konzepte dort zu diskutieren."
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    Weintraub wandte mit Blick auf AfD-Vertreter ein: "Darum, finde ich, sollte man buchstäblich die Äußerungen, die sie von sich geben, auf Plakaten den Leuten vor Augen führen." Dabei dachte er etwa an den ehemaligen AfD-Chef Alexander Gauland:

    Dieser Ausspruch von diesem sogenannten 'Fliegenschiss in der Weltgeschichte', mit dem sie den Holocaust bezeichnet haben. Und die glauben, es ist jetzt wieder die Zeit gekommen, wo man frei und ohne Strafe zu befürchten, offen wieder Juden als Freiwild sehen kann und die wieder auf Juden hetzen.

    Leon Weintraub, Auschwitz-Überlebender

    Wozu ungezügelter Hass auf Juden führen könne, berichtete Weintraub anhand seiner Geschichte. Er habe "von September 1939 bis zur Befreiung um den 20. April 1945, mit einer einzigen, ich wiederhole, einer einzigen Ausnahme an Hunger buchstäblich gelitten".

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    Als er nach Auschwitz verschleppt wurde, habe im Zug eine "Todesstille" geherrscht. Als er ausgestiegen und nach vorne getreten sei, "kam der berühmte Daumen: rechts Tod, links Leben auf Aufschub".
    Seine Mutter habe dabei seine Tante an der Hand gehalten, "die sofort den Finger nach rechts bekommen hat, und sie hat Mama mitgezogen". Beide seien "sofort vergast worden am nächsten Tag".
    Weintraub selbst wurde zur Zwangsarbeit selektiert und konnte später fliehen, als er sich einem Gefangenentransport aus Auschwitz hinaus anschloss.
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