KZ-Überlebender Fürst: "Erfolg der AfD war ein Schock"

KZ-Überlebender Naftali Fürst:"Der Erfolg der AfD war ein Schock für mich"

von Beate Frenkel und Michael Haselrieder
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Naftali Fürst ist Ehrengast bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald. Er fragt sich, ob Deutschland wirklich aus seiner Geschichte gelernt hat.

Naftali Fürst
Wird nicht müde, seine Geschichte zu erzählen: KZ-Überlebender Naftali Fürst
Quelle: ZDF

Naftali Fürst war 12 Jahre alt, als er am 11. April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde. Der 92-Jährige ist einer der letzten Überlebenden des Nazi-Terrors und lebt in Israel.

... wurde im Sommer 1937 in den Wäldern oberhalb von Weimar errichtet. Mit dem Lager sollten politische Gegner bekämpft, Juden, Sinti und Roma verfolgt sowie Homosexuelle, Wohnungslose, Zeugen Jehovas und Vorbestrafte, dauerhaft aus dem deutschen "Volkskörper" ausgeschlossen werden, wie die Nazis es formulierten.

Nach Kriegsbeginn wurden Menschen aus ganz Europa nach Buchenwald verschleppt. Das erste, was sie zu Gesicht bekamen, war die zynische Inschrift am Eingang des Lagertors "Jedem das Seine". Der inhaftierte Bauhauskünstler Franz Ehrlich gestaltete die Schrift im von den Nazis verpönten Bauhausstil - ein unbemerkt gebliebener persönlicher Protest.

Fast 280.000 Menschen waren in dem KZ und seinen 139 Außenlagern zwischen 1937 und 1945 inhaftiert, darunter zeitweise auch der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer oder der spätere Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz. Die SS zwang die Gefangenen zur Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie. Über 56.000 Menschen starben an Folter, medizinischen Experimenten und Auszehrung. In einer eigens errichteten Tötungsanlage wurden über 8.000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen.

Am 11. April 1945 befreiten die US-Amerikaner das Lager. (Quellen: KNA, Gedenkstätte Buchenwald)

Lange schien ihm eine Rückkehr nach Deutschland unvorstellbar. "60 Jahre habe ich nicht deutsch gesprochen", sagt er. "Das war mein Schwur nach dem Krieg." Dann kam er doch, weil er sah, dass er sich das Land verändert hatte. Immer wieder ist er in den vergangenen 20 Jahren nach Deutschland gereist, um jungen Menschen seine Geschichte zu erzählen und um die Erinnerung wach zu halten an den Holocaust. Anfangs voller Optimismus. Und heute? "Es ist leider nicht gelungen", lautet sein ernüchtertes Fazit.
Menschen gehen durch die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald
Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit.06.04.2025 | 1:57 min

Hass-Parolen und antisemitische Karikaturen bereiten Sorgen

In Thüringen wird die AfD vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft. Im Landtag ist sie inzwischen stärkste Kraft. Im Bundestag gerade zur zweitstärksten Partei gewählt.

Der Erfolg der AfD war ein Schock für mich.

Holocaust-Überlebender Naftali Fürst

Naftali Fürst fragt sich, warum die Partei so groß werden konnte. Er ist seit vielen Jahren als Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD) engagiert. Auch die Vorfälle in der KZ-Gedenkstätte beunruhigen ihn: Schmierereien, Hass-Parolen und Karikaturen, die ihn an die antisemitische Hetze im "Stürmer", dem Kampfblatt der Nazis erinnerten. "Das war auch eine Überraschung für mich, sagt Naftali Fürst, "weil ich habe geglaubt, dass Deutschland daraus gelernt hat, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist.
Blumenkränze liegen anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald und Mittelbau-Dora auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald in Thüringen am 06.04.2025
80 Jahre nach der Befreiung des KZ Buchenwald und in Zeiten des Rechtspopulismus mahnen die letzten Zeitzeugen: Das Gedenken an den Holocaust muss aufrecht erhalten werden.06.04.2025 | 3:02 min

Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald als Zwölfjähriger

Naftali Fürst wurde in der Slowakei geboren. 1944 wird er mit seinem knapp zwei Jahre älteren Bruder Shmuel und den Eltern im letzten Transport nach Auschwitz verschleppt. "Damals haben wir gedacht, wir gehen in den sicheren Tod", erinnert sich der 92-Jährige.

Wir haben die Flammen von den Kaminen gesehen, ganz rot. Wir haben große Angst gehabt.

Naftali Fürst

Zusammen mit seinem Bruder und vielen anderen Häftlingen trieben die Nazis den Zwölfjährigen auf einen Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald. "Wer zurückblieb, wurde erschossen. Mein Bruder und ich sind immer zusammengegangen", erzählt Naftali Fürst. "Ich weiß nicht, woher wir die Kraft hatten, aber damals haben wir gezeigt, dass wir leben wollen."
Bildmontage: Zerschlagene Glasscheibe mit zerbrochenem Davidstern vor Holocaust-Mahnmal in Berlin
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der Hamas auf Israel, hat sich die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland verdoppelt. Wie gehen Holocaust-Überlebende damit um?23.01.2025 | 43:30 min

Ein Leben von Nazi-Regime bis Gaza-Krieg

Naftali Fürst hat zwei Fotos, die ihn unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald zeigen. Für ihn ist es ein Wunder, dass er und sein Bruder überlebt haben. Nach der Befreiung ging Fürst nach Israel, weil er darauf vertraute, dort in Sicherheit leben zu können. Dieses Vertrauen ist seit dem 7. Oktober 2023 schwer erschüttert, sagt er. Der Angriff der Hamas-Terroristen sei für ihn der schlimmste Tag seit dem Holocaust gewesen.
Seine Enkelin Mika, ihr Mann und der zweijährige Urenkel wohnten in einem Kibbuz unmittelbar am Gazastreifen. Die Nachricht, dass sie das Massaker in einem Schutzraum nur knapp überlebt haben, erreichte Naftali Fürst erst viele Stunden später: "Es war einer der glücklichsten Momente meines Lebens. Ich habe die Schoa überstanden und eine weitere Tragödie und Freude dieser Art zu erleben, das werden wir alle unser ganzes Leben nicht vergessen."
Schwarz Weiß Bild von Kindern hinter Zaun
Die Todesfabrik Auschwitz - täglich starben Tausende Juden. Was die Opfer erlebten und die Täter antrieb, zeigen erschütternde Zeugnisse.28.01.2020 | 88:46 min

Fürst hadert mit Israels Regierung

Noch immer befinden sich Geiseln in den Händen der Hamas. Der Holocaust-Überlebende hadert mit seiner Regierung, mit der Situation im eigenen Land. Aber: "In den letzten Jahren, wo ich den Antisemitismus in ganz Europa, in der ganzen Welt sehe, der gegen uns gerichtet ist, sage ich:

Nirgendwo sind Juden erwünscht. Daher sage ich: Uns bleibt keine Wahl. Trotz alledem ist der Ort für die Juden, für meine Familie, nur Israel.

Naftali Fürst

Solange er noch die Kraft hat, wird er wieder nach Deutschland kommen und seine Geschichte erzählen. Und hoffen, dass sie gehört wird.
Eklat: Boehm "nicht ausgeladen"
"Herr Boehm ist ein absolut respektabler, internationaler Philosoph", sagt Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald. Doch man wolle die Gedenk-Veranstaltung nicht "instrumentalisieren".04.04.2025 | 8:21 min

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Quelle: dpa

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