Corona-Maßnahmen: Kubicki greift Lauterbach frontal an

    Wie zerrüttet ist die Koalition?:Corona: Kubicki greift Lauterbach frontal an

    von Dominik Rzepka und Britta Spiekermann
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    Kubicki fordert offen den Rücktritt des Gesundheitsministers. Lauterbach habe während Corona gelogen und die Regierung schwer beschädigt. Ein neuer Tiefpunkt der Ampel.

    Wolfgang Kubicki
    FDP-Politiker Wolfgang Kubicki: "Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung schweren Schaden zugefügt."
    Quelle: dpa

    Dass Politiker streiten, oft auch heftig und hart - das ist nicht ungewöhnlich. Die Art und Weise aber, wie FDP-Politiker Wolfgang Kubicki jetzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angreift, hat eine neue Dimension. Ein besonderer Tiefpunkt in der - zuletzt nicht an Tiefpunkten armen- Ampel-Koalition.
    Kubicki betreibt dieser Tage seine ganz persönliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie. 47 Absätze lang ist der Text, den er auf seiner Webseite hochgeladen hat, nachdem er die sogenannten RKI-Files gelesen hat, also die Corona-Protokolle des Krisenstabs des Robert Koch-Instituts. Sein Text gerät zu einer Abrechnung mit Karl Lauterbach. Kubicki schreibt:

    Einem Bundesminister, der die Wahrheit biegt und Grenzen der Wahrheit überschreitet, um ein persönliches politisches Ziel zu erreichen, dabei auch schwerste Grundrechtseingriffe billigend in Kauf nimmt, kann ich keine parlamentarische Zustimmung mehr geben.

    Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident

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    Das sind Kubickis Vorwürfe an Lauterbach

    Das RKI habe die Corona-Risikobewertung von "sehr hoch" auf "hoch" senken wollen, so Kubicki. Das aber sei laut Notiz vom 25. Februar 2022 vom Gesundheitsministerium abgelehnt worden. Der Vorwurf: Lauterbach habe die Corona-Angst schüren wollen. Wollte er so die anstehende Entscheidung des Bundestags zur Impfpflicht beeinflussen?
    Kubicki schreibt: "Dass politische Entscheidungen von einer solchen Tragweite derart aus einem Ministerium beeinflusst werden, halte ich für einen Skandal." Dann wird er noch deutlicher:

    Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handeln genährt.

    Wolfgang Kubicki, FDP

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    Neuer Tiefpunkt der Koalition

    Die gegenseitige Verachtung der Ampel-Partner, davon kann man inzwischen ausgehen, scheint sich nun zu entladen. Jetzt, da Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wieder in Haushaltsberatungen stecken.
    Im November 2021, als die Ampel ihren Koalitionsvertrag präsentierte, sagte Lindner noch über Scholz: "In den Verhandlungen haben wir als Liberale Olaf Scholz neu kennengelernt." Jetzt kennt man sich offenbar so gut, dass man sich nichts mehr vormachen kann, auch nicht öffentlich.
    Die Kraft der Ampel, sich zusammenzureißen, ist aufgebraucht. Scholz hatte zwar sichtlich erleichtert den jüngsten Haushaltsentwurf als "Gesamtkunstwerk" bezeichnet, doch Lindner zertrümmerte diesen wieder mit einem in Auftrag gegebenen Gutachten.
    Finanzminister
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    Dissens auch zwischen Scholz und Lindner

    Da reichte es dem Kanzler offenbar. "Es bleibt ein Mysterium, wie das eigentlich klare Votum des juristischen Gutachtens vorübergehend grundfalsch aufgefasst werden konnte", sagte Scholz "Zeit online". Das Ergebnis des juristischen Gutachtens sei eindeutig: "Das geht".
    Eigentlich galt das Verhältnis von Scholz und Lindner als gut, als so gut, dass die Grünen neidisch um mehr Unterstützung in der Ampel baten. Kanzler und Finanzminister, die sich selbst wohl am meisten schätzen, begegneten sich auf dieser Ebene. Jetzt greifen sie in die tiefste Schublade ihrer Beziehung. Sie sprechen sich gegenseitig ab, Ahnung von der Sache zu haben.

    Lauterbach will Kubicki nicht kommentieren

    Noch weiter geht der Vorwurf Kubickis an Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister untergrabe die Demokratie und müsse persönliche Konsequenzen ziehen. Auf ZDFheute-Anfrage an das Büro Kubicki, ob er heute noch ein Interview gebe, kommt prompt ein "leider nein".
    Und Lauterbach äußert sich nur schriftlich:

    Es gibt in den RKI-Protokollen nichts zu verbergen. Daher habe ich die Veröffentlichung der Protokolle angewiesen.

    Karl Lauterbach, SPD

    Das RKI habe während der Pandemie Empfehlungen abgegeben, die politische Verantwortung liege aber beim Ministerium, so Lauterbach. Zu den Vorwürfen Kubickis sagt der Minister kein Wort. Man hat sich offenbar nichts mehr zu sagen.
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    Britta Spiekermann und Dominik Rzepka sind Korrespondenten im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

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