Debatte: Krankschreibung via Telefon abschaffen oder nicht?
Streitgespräch im moma-Duell:Krankschreibung via Telefon abschaffen?
von Philipp Dietrich
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Der Krankenstand im Land ist hoch, schon im August war der Wert von 2023 erreicht. Hat die Entwicklung etwas mit der telefonischen Krankschreibung zu tun? Ein Streitgespräch.
Ob die telefonische Krankschreibung abgeschafft werden sollte, diskutieren Kristine Lütke (FDP) und Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes.14.11.2024 | 11:31 min
Der Krankenstand in Deutschland hatte laut AOK bereits Ende August den Spitzenwert des gesamten vorigen Jahres erreicht. Ob diese Entwicklung auch an der Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung liegt, darüber diskutieren im moma-Duell FDP-Gesundheitspolitikerin Kristine Lütke und Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands. Die Krankschreibung per Telefon war während der Corona-Pandemie eingeführt und im Anschluss auf Dauer eingerichtet worden.
Für die FDP-Politikerin Kristine Lütke ist klar:
Es gibt tatsächlich eine Korrelation zwischen der Anzahl der Krankheitstage und dem Moment, an dem die telefonische Krankschreibung auch ermöglicht worden ist.
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Kristine Lütke, FDP
Entschiedener Widerspruch kommt von Hausärzteverbandschef Markus Beier: Es gebe "eben keine Korrelation" - in diesen schwierigen Zeiten sei es wichtig, bei den Fakten zu bleiben. Denn die Auswertung der Krankenkassen habe ergeben, dass Infekte, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und chronische Erkrankungen die Ursachen für den hohen Krankenstand seien.
FDP-Politikerin: Andere Akzente setzen
Der Krankenstand in Deutschland sei im Vergleich mit anderen Ländern schon immer ziemlich hoch gewesen, argumentiert die FDP-Politikerin weiter: "Ich glaube, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo unsere Wirtschaft so stark schwächelt, wo wir auch Schwierigkeiten haben, die Leute zu motivieren, im Arbeitsmarkt wirklich aktiv zu sein."
Hier müssten andere Akzente gesetzt werden. Sie befürworte "mobiles Arbeiten und flexible Arbeitszeiten", aber man müsse eben auch etwas tun gegen die "Bettkantenentscheidung", nicht zur Arbeit zu gehen.
Hausärzteverband: FDP schürt Misstrauenskultur
Er könne überhaupt nicht verstehen, "warum die FDP diese Misstrauenskultur gegen die Menschen schürt", sagt Beier. Es würden nur den Ärzten bekannte Patienten telefonisch krankgeschrieben. Dies sei zudem eine wichtige Entlastung für die Hausärzte.
Die Praxen werden geflutet und wir müssen entlastet werden.
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Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands
Missbrauch von Krankschreibungen sei immer möglich, auch im persönlichen Kontakt, räumt Beier ein. Es müsse aber um die "eigentlichen Ursachen gehen und das sind chronische und psychische Erkrankungen und die Belastung am Arbeitsplatz". Um die Bekämpfung der Ursachen würden sich die Arbeitgeber aber drücken, kritisiert der Arzt.
Medizinjournalist Dr. Christoph Specht im Gespräch09.10.2024 | 4:51 min
Lütke: Arbeitsbedingungen verbessern
Kristine Lütke, die als Pflegeunternehmerin in den Bundestag kam, argumentiert mit ihren eigenen Erfahrungen. Selbstverständlich seien die "allermeisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" wirklich rechtschaffend. Aber:
Es gibt die Bettkantenentscheidung, wo Menschen sich krankschreiben lassen, obwohl sie eigentlich noch arbeitsfähig wären.
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Kristine Lütke, FDP
Und da müsse angesetzt werden. Sie plädiert dafür, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Menschen müssten erkennen können, dass es sich lohne, Leistung zu bringen, und es gut sei, wenn man sich am Arbeitsplatz einbringe. Dem pflichtet Hausärztevertreter Beier bei:
Die Arbeitgeberverbände müssen vor ihrer eigenen Haustür kehren.
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Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands
Und nicht in der Infekt-Saison dafür sorgen wollen, dass die Praxen mit "objektiv leicht kranken" Menschen geflutet würden: "Das ist eine Gefährdung der ambulanten Versorgung", kritisiert Beier.
Beier: Videotelefonie ist keine Alternative
Dem von FDP-Politikerin Lütke angeführten Vorschlag, die telefonische Krankschreibung durch Videotelefonie zu ersetzen und damit Praxen zu entlasten, hält Beier für unrealistisch. Die Hausärzte würden Videotelefonie bereits anbieten, könnten damit aber nicht genügend Menschen erreichen. Diese stünden dann vor der Tür, "mit allen Problemen für die Praxen und für die Patienten".
Am Ende der Debatte richtet der Hausärzte-Verbandschef einen Appell an die Politik: "Schuster, bleib bei deinem Leisten, mach' deine Hausaufgaben, aber belaste nicht die Praxen und die Menschen mit der absurden Forderung", die telefonische Krankschreibung wieder abzuschaffen.
Diese sind seit dem 7. Dezember 2023 für Patientinnen und Patienten mit leichten Erkrankungen möglich.
Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) kann nun auch nach telefonischer Anamnese erfolgen.
Dies gilt für Erkrankungen, die keine schwere Symptomatik vorweisen. Ob das im konkreten Fall so ist, entscheiden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Es liegt im Ermessen der Ärztin oder des Arztes, ob die Feststellung der AU telefonisch erfolgen kann oder eine Untersuchung per Video oder unmittelbar persönlich nötig ist.
Bedingung ist, dass Patientinnen und Patienten in der Praxis bekannt sind.
Die erstmalige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann telefonisch höchstens bis zu fünf Kalendertage ausgestellt werden.
Die telefonische Krankschreibung stellt die Bedeutung eines direkten Arzt-Patienten-Kontaktes nicht in Frage. Standard bleibt die unmittelbar persönliche Untersuchung.
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