Juso-Chef Türmer: "Sind sehr enttäuscht von Olaf Scholz“

    Interview

    Juso-Chef Türmer über Kanzler:"Sind sehr enttäuscht von Olaf Scholz“

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    Philipp Türmer sieht die Frage der Kanzlerkandidatur in der SPD als offen an. Hält der Chef der Jugendorganisation ausgerechnet den "roten Sheriff" für eine Alternative?

    Juso-Chef Philipp Türmer
    Philipp Türmer ist seit knapp einem Jahr Vorsitzender der Jusos.
    Quelle: Imago

    Für Bundeskanzler Olaf Scholz ist es eine schmachvolle Debatte. Dass in einer Partei schon während der ersten Amtszeit eines Kanzlers zumindest hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert wird, ob der Amtsinhaber auch der richtige Kandidat für die nächste Legislatur sei, ist äußerst unüblich.
    Doch Scholz' Beliebtheit hat nicht nur beim Wahlvolk arg gelitten - auch innerhalb der eigenen Partei gibt es substanzielle Kritik an seinem Kurs. So hatten SPD-Politiker jüngst etwa in einem offenen Brief die Verschärfungen in der Migrationspolitik kritisiert und ein "Eintreten für Würde" eingefordert. Im ZDFheute-Interview erklärt Juso-Chef Philipp Türmer seine Sicht.
    ZDFheute: Den offenen Brief, den auch Sie unterschrieben haben, sehe er als Bestätigung seines Kurses, ließ Olaf Scholz ausrichten. Hat er den Brief richtig verstanden?
    Philipp Türmer: Auf gar keinen Fall. Ich glaube, es war auch ein Witz. Allerdings ein sehr schlechter Witz. Wir kritisieren ja gerade, dass die SPD sich nicht ausreichend dafür einsetzt, das Recht auf Asyl zu verteidigen, gerade dann, wenn es von rechts besonders unter Druck gerät.
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    ZDFheute: Die Kritik, wonach der Kanzler zunehmend in einer eigenen Welt mit sehr eigener Wahrnehmung lebt - bestätigt sich das hier?
    Türmer: Wir sind sehr enttäuscht von der SPD und auch der Rolle von Olaf Scholz in dieser Bundesregierung. Wir Jusos sind 2021 wie verrückt gerannt in diesem Wahlkampf, aber wir haben uns was anderes erhofft. Dass diese Bundesregierung wirksam gegen die Wohnungsnot vorgeht, die junge Menschen besonders betrifft oder dafür sorgt, dass endlich die Reallöhne steigen. Auch davon sind junge Menschen ganz besonders betroffen. Deswegen ist die Enttäuschung sehr groß.

    Ich sage es ehrlich, viele Jusos wissen gar nicht mehr, ob sie noch in den Wahlkampf ziehen.

    Philipp Türmer, Parteivorsitzender Jusos

    Da erreichen mich jeden Tag Nachrichten. Deswegen haben wir Olaf Scholz auch zu unserem Bundeskongress eingeladen, um da mit ihm in die harte Diskussion zu gehen.

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    ZDFheute: Ob Sie wieder kämpfen, hängt wohl auch vom Kandidaten ab. Ist das bei der SPD noch offen?
    Türmer: Wir entscheiden das auf unserem Parteitag im nächsten Juni und bis dahin ist es offen.

    Philipp Türmer
    Quelle: picture alliance / photothek


    ...geboren 1996, ist seit November 2023 Vorsitzender der Jusos. Er stammt aus dem hessischen Offenbach am Main und arbeitet nach seinem ersten juristischen Staatsexamen an seiner Doktorarbeit an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

    ZDFheute: Aber das, was Sie inhaltlich an Scholz gerade noch einmal sehr explizit kritisiert haben - steht Boris Pistorius Ihnen da näher?
    Türmer: Insbesondere haben wir an Boris Pistorius kritisiert, dass er sich in der Vergangenheit für den Pflichtdienst eingesetzt hat. Weil wir überhaupt nicht sehen, dass es zeitgemäß ist, junge Menschen zum freiwilligen Engagement zu zwingen, vor allen Dingen nicht dann, wenn wir jedes Jahr mehr freiwillige BewerberInnen für ein freiwilliges soziales Jahr als Plätze haben.
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    ZDFheute: Aber ich habe Sie schon richtig verstanden, dass Pistorius, der ja einst als "roter Sheriff" bezeichnet wurde, trotzdem eine denkbare Variante für Sie ist?
    Türmer: Also, die öffentliche Debatte und seine Beliebtheitswerte zeigen, dass viele über ihn nachdenken und offensichtlich ihn für einen möglichen Kandidaten halten.
    ZDFheute: Und Sie als Jusos würden sich auch nicht abgeschreckt davon fühlen, dass er eher zum rechten Parteiflügel zählt als zum linken?
    Türmer: Olaf Scholz ist ja nun auch nicht dafür bekannt, seit Jahren dem linken Parteiflügel angehört zu haben. Er kommt auch aus dem rechten Parteiflügel der SPD.

    Wir legen uns zum jetzigen Zeitpunkt als Jusos nicht fest, aber sagen ganz deutlich, dass wir uns eine SPD wünschen, die mit klarem linken Profil in die nächste Bundestagswahl geht.

    Philipp Türmer

    Und wir erwarten von dem Kandidaten oder der Kandidatin, dass er oder sie glaubhaft dieses Versprechen auch als Person widerspiegelt.
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    ZDFheute: Aber für ein linkes Profil steht Boris Pistorius ja nun wirklich nicht.
    Türmer: Steht Olaf Scholz für einen dezidiert linken Kurs? Ich hätte mir an vielen Stellen in dieser Ampel gewünscht, dass die SPD sich stärker durchsetzt, aber ich werde heute weder meine Unterstützung für Olaf Scholz noch für Boris Pistorius hier kundgeben.

    Ich kann mir auch viele andere geeignete Kandidatinnen und Kandidaten in der SPD vorstellen. Ich finde es auch komisch, dass immer nur über Männer geredet wird.

    Philipp Türmer

    ZDFheute: Gibt es eine Frau, die geeignet wäre?
    Türmer: Ich glaube schon.
    ZDFheute: Welche?
    Türmer: Wie gesagt, darüber reden wir dann im Frühsommer nächsten Jahres, spätestens.
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    ZDFheute: Sie haben Boris Pistorius' Beliebtheitswerte angesprochen. Er ist ja nicht nur SPD-intern, sondern insgesamt mit Abstand beliebtester Politiker des Landes. Daher umgekehrt gefragt: Wäre es nicht fahrlässig, auf diese Popularität zu verzichten?
    Türmer: Es geht bei einer Kandidatur nicht nur um Beliebtheit. Natürlich geht es auch um Beliebtheit, aber es geht eben auch darum, dass das Profil des Kandidaten oder der Kandidatin gut zur Partei passt. Das ist ganz entscheidend.

    Ein Kandidat oder eine Kandidatin, die hohe Beliebtheitswerte beispielsweise unter Menschen genießt, die sich aber trotzdem niemals vorstellen könnten, SPD zu wählen, bringt dann auch recht wenig.

    Philipp Türmer

    Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondent Daniel Pontzen.

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