Israel legt neue Dokumente vor, die Verstrickungen des UNRWA mit der Hamas beweisen sollen. Die Informations-Offensive fällt in eine Zeit, in der der internationale Druck wächst.
Ginge es nach Israels Regierung, müssten die Vereinten Nationen die Arbeit ihres Palästinenser-Hilfswerks UNRWA im Gazastreifen sofort einstellen. Seit Jahren stehen das Hilfswerk und seine Mitarbeiter aus israelischer Sicht unter Terrorverdacht. Diese Haltung sieht Israel durch neue Erkenntnisse bestätigt. "Das UNRWA ist Teil des Problems", sagt Ron Prosor, israelischer Botschafter in Berlin, am Donnerstag bei einem Pressegespräch.
Dabei gehe es "nicht nur um die Hamas-Mitgliedschaft von 2.135 Mitarbeitern und damit 17 Prozent aller bei dem Hilfswerk Beschäftigten". Vielmehr missbrauche die Hamas die "gesamte Infrastruktur" des UN-Hilfswerks für ihre Zwecke, etwa als "Waffenlager, Kommandozentralen, Raketenabschuss-Vorrichtungen oder Tunnelzugänge in, nahe oder unter UNRWA-Einrichtungen". Zudem seien etwa vier Prozent der Mitarbeiter aktive Kämpfer. Das Hilfswerk, so der erneuerte Vorwurf, sei im Gazastreifen so nachhaltig in Terrorstrukturen der Hamas verwickelt, dass Abhilfe dort nicht mehr möglich sei. Unabhängig lässt sich das nicht überprüfen.
Israel will Hamas-Verstrickungen von UNRWA-Mitarbeitern belegen
Als Beleg präsentiert die Botschaft Klarnamen, Ausweis-Daten und Fotos von UNRWA-Mitarbeitern, die nach Erkenntnis israelischer Sicherheitsdienste Doppelrollen gespielt haben sollen: Mindestens 18 Schulleiter des UNRWA sollen aktiv in militanten Strukturen tätig gewesen sein, genau wie andere Personen mit vordergründig zivilen Aufgaben im Hilfswerk, manche in führenden Positionen.
Als Beispiele nennt die Botschaft u.a. Männer, die zuständig gewesen seien für die Produktion von Waffen oder die Leitung bewaffneter Einheiten. Den Vorwurf, Israel habe über Jahre die Anstellung von UNRWA-Mitarbeitern anhand von Personal-Listen überprüft und abgesegnet, weist die Botschaft zurück: Man sei lediglich nachträglich und lückenhaft über Einstellungen informiert worden, eine reguläre Sicherheitsüberprüfung von israelischer Seite habe nicht stattgefunden.
Vorwürfe gegen UNRWA reichen weit zurück
Israels Vorwurf gegen das UNRWA ist im Grundsatz nicht neu. Bereits Ende Januar hatte Israels Regierung Informationen über eine mutmaßliche direkte Beteiligung von 12 UNRWA-Mitarbeitern am Terrorakt vom 7. Oktober 2023 vorgelegt, was zu sofortigen Entlassungen führte und mehr als ein Dutzend UNRWA-Geldgeber, darunter Deutschland, zur Einstellung von Zahlungen bewegte. Andere Vorwürfe reichen weiter zurück: Seit Jahren habe Israel das UNRWA und Verantwortliche bei den Vereinten Nationen wiederholt auf Aktivitäten im Umfeld des UNRWA hingewiesen, die militanten Strukturen und Terrorvorbereitung dienten, geschehen sei jedoch nichts, beklagt Ron Prosor auch am Donnerstag in Berlin.
Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA (United Nations Relief and Work Agency for Palestine Refugees in the Near East) kümmert sich seit 1949 um Palästina-Flüchtlinge, die im Zuge des arabisch-israelischen Krieges 1948 ihre Heimat verloren hatten. Zu den Hilfeleistungen, die durch freiwillige Zahlungen der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen finanziert werden, zählen unter anderem die Versorgung mit medizinischen Gütern und Lebensmitteln, Hilfs- und Sozialdienste, Verbesserung der Infrastruktur und Bildung.
Das UNRWA ist seit Jahren Gegenstand von Kontroversen zwischen Israel und den Vereinten Nationen. Auslöser sind Beobachtungen des israelischen Geheimdienstes, die laut Ansicht der israelischen Regierung darauf hindeuten, dass die Hamas das UNRWA systematisch zum Aufbau militärischer Strukturen und zur Vorbereitung von Terrorakten genutzt hat. Das UNRWA sah diesen Verdacht bislang nicht pauschal bestätigt. 2022 reagierte das UNRWA mit der Einrichtung einer Expertenkommission auf den Vorwurf, Lehrmaterial an UNRWA-Schulen glorifiziere Terrorismus und toleriere Rassismus.
Zuletzt stand die UNRWA wegen schwerer Vorwürfe im Fokus: Mehrere Mitarbeitende wurden verdächtigt, in den Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verwickelt gewesen zu sein. Im August 2024 verkündete das UN-Hilfswerk dann die Entlassung von neun Mitarbeitern wegen einer möglichen Beteiligung am Hamas-Überfall.
Eine abschließende und unabhängige Untersuchung zu den meisten Vorwürfen von israelischer Seite liegt bislang nicht vor. Das UNRWA spielt im Gaza-Krieg eine Schlüsselrolle bei der Verteilung von Hilfsgütern im Gaza-Streifen. UNRWA und Israelische Regierung werfen sich gegenseitig vor, die Auslieferung von Hilfsgütern zu behindern oder nicht ausreichend zu unterstützen.
Beispiele aus den Jahren 2015, 2017 und 2022 sollen diese Behauptung stützen. Zu sehen sind Luftaufnahmen von UNRWA-Einrichtungen - darunter Schulen, eine Moschee, ein Bunker - in deren Umfeld die Hamas militärische Infrastruktur aufbaute: zum Beispiel Tunnel oder Raketenstartplätze. Mindestens 32 solcher Fälle hat Israel seit Beginn des Gaza-Krieges nach eigenen Angaben identifiziert, unter anderem eine Server-Zentrale der Hamas, in einem Tunnel unter dem UNRWA-Hauptquartier in Gaza, die direkt ans Stromnetz des Hilfswerks angeschlossen gewesen sein soll.
UN weisen Vorwürfe seit Jahren zurück
Dass Mitglieder der Hamas automatisch in Terrorakte, deren Vorbereitung oder Unterstützung verwickelt sind, weisen die Vereinten Nationen seit Jahren zurück. Die unabhängige Überprüfung der am Donnerstag vorgestellten Angaben ist für Medien derzeit kaum möglich. Auf Nachfrage von ZDFheute teilte das Auswärtige Amt mit:
Gerade weil UNRWA eine so wichtige Rolle erfüllt, müssen die schwerwiegenden Vorwürfe rasch aufgeklärt werden. Dazu laufen Untersuchungen. Von den Vereinten Nationen erwarten wir, dass sie rasch Ergebnisse der UN-internen Untersuchung vorlegen und entsprechende Konsequenzen ziehen.
„
Mitteilung des Auswärtigen Amts
Neue Mittelzusagen für das UNRWA in Gaza würden "im Lichte des Fortgangs der Untersuchungen und in Abstimmung mit anderen Geberländern" entschieden.
Unabhängige Untersuchung zu UN-Hilfswerk
Mehr Aufschluss könnte eine unabhängige Untersuchung liefern, die das UNRWA Anfang Februar in Auftrag gab. Geleitet von der französischen Ex-Außenministerin Catherine Colonna soll ein unabhängiger Ausschuss in Zusammenarbeit mit drei Menschenrechtsorganisationen aus Schweden, Norwegen und Dänemark herausfinden, ob das UNRWA Extremismus in den eigenen Reihen ausreichend bekämpft hat und welche Veränderungen ggf. notwendig sind.
Ein Zwischenbericht sprach am 19. März bereits von "kritischen Bereichen", die angegangen werden müssten. Weitere Details gaben die Vereinten Nationen noch nicht bekannt.
Druck auf Israel wächst
Israels Informations-Offensive fällt in eine Zeit, in der der internationale Druck wächst: Der UN-Sicherheitsrat hat erstmals eine Resolution verabschiedet, die eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen fordert. Deutschland und andere Länder organisieren Hilfslieferungen aus der Luft und über Wasser. Die Bedingungen für Hilfslieferungen werden grundsätzlich kritisiert.
Erst vorgestern appellierte der Olaf Scholz an Israel, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Mindestens 500 Lastwagen seien erforderlich, um Hilfsgüter in den abgeriegelten Küstenstreifen zu transportieren. Nach Angaben des UNRWA liegt der tägliche Schnitt aktuell bei lediglich 157 Lkw täglich. Israel wiederum reagiert mit dem Hinweis, dass das UNRWA die Verteilung von mehr Hilfe im Gazastreifen nicht ausreichend organisiere.
"UNRWA ist das Rückgrat der humanitären Hilfe im Gazastreifen", schreibt das Hilfswerk selbst erst am Donnerstag in einem Post auf X. "UNRWA ist das Rückgrat der Hamas im Gazastreifen und entbindet die Hamas von ihrer zivilen Verantwortung", kontert Israels Botschaft im Presse-Gespräch. Der Abschlussbericht des unabhängigen UNRWA-Ausschusses zu möglichen Verstrickungen von UNRWA in Hamas-Terrorstrukturen wird für den 20. April erwartet.
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