Deutschland: Israelis und Palästinenser berichten aus Berlin

    Ein Jahr nach dem 7. Oktober:"Es ist jetzt angesagt, Israelis zu hassen"

    Lisa Jandi, ZDF-Landesstudio Berlin
    von Lisa Jandi
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    Der Angriff der Hamas auf Israel ist ein Jahr her. Juden und Palästinenser in Deutschland sind verzweifelt. Anfeindungen hier und Ängste um Angehörige dort.

    Pro-Palästina-Demonstration in Berlin
    Der 7. Oktober war sowohl für Israelis als auch für Palästinenser ein Tag des Grauens. Antisemistismus und Rassismus nahmen zu und zeigten, wie wichtig Menschlichkeit ist - für beide Seiten.
    Quelle: dpa

    Wenn Shani Achiel an den 7. Oktober denkt, dann schaudert es ihr. Sie kommt aus Israel, Berlin ist ihre Wahlheimat, seit acht Jahren schon. Für Deutsche sei es schwer zu verstehen, wie es Israelis geht, sagt sie.

    Israel ist so klein. Jeder kennt jemanden, der getötet, vergewaltigt oder entführt wurde.

    Shani Achiel

    Israelis in Deutschland: Anfeindungen nehmen zu

    In Berlin-Kreuzberg betreibt Shani Achiel das Restaurant Yafo, einer dieser coolen, internationalen Orte, so typisch für Berlin. Israelis und Palästinenser arbeiten hier zusammen. Doch das letzte Jahr war hart:

    Ich habe das Gefühl, es ist jetzt angesagt, Israelis zu hassen. Sie zu boykottieren. Im Taxi wurde ich als Terroristin beschimpft und bespuckt.

    Shani Achiel

    "Tatort Israel - Die Schatten des 7. Oktober": Fotomontage: Auf einer Seite ist das Bild einer Straßenschlucht einer zerstörten Stadt mit Menschen, die über Trümmer steigen. Auf der anderen Seite ist ein Bild mit einem Soldaten und einer Soldatin, die an einer Gedenkstätte mit Gräbern stehen. In der Mitte sind beide Bilder durch zwei Israel-Fahnen getrennt.
    Am 7. Oktober 2023 stürmen Hamas-Killerkommandos vom Gazastreifen nach Israel, ermorden Zivilisten, verschleppen Geiseln und provozieren eine verheerende israelische Militäraktion.24.09.2024 | 44:07 min
    Im Restaurant gingen Reservierungen und Umsätze zurück, Mitarbeiter wurden angefeindet, weil sie für eine Israelin arbeiten. "Ich dachte immer, Antisemitismus gibt es nicht, Juden seien paranoid. Aber mit diesem Krieg spüre ich, dass ich falsch lag" sagt die 38-Jährige.
    Und das, wo sie doch selbst die israelische Politik verurteilt.

    Ich bin nicht Netanjahu, und ich will all das auch nicht.

    Shani Achiel

    Angehörige in Gaza: Immer in Angst um die Familie

    Nur ein paar S-Bahn Stationen entfernt, auch in Kreuzberg, ist Nidal Bulbul auf dem Weg in seinen Club. Er ist in Gaza aufgewachsen, hat dort für internationale Nachrichtenagenturen als Kameramann gearbeitet bis er bei einem Raketenangriff 2007 ein Bein verlor.

    Demonstrationen in Berlin zum Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel





    In Berlin hat er sich ein neues Leben aufgebaut, hat Familie, ist deutscher Staatsbürger. Doch seine Eltern, Geschwister und viele weitere Angehörige sind noch in Gaza.

    Ich habe insgesamt 123 Personen verloren. Familienmitglieder, Freunde, Journalisten, Nachbarn. Man hat nicht mehr die Zeit zu trauern, weil die nächste Person schon dran ist.

    Nidal Bulbul

    sich umarmende Menschen auf einer Gedenkstätte
    Seit den traumatischen Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben wir den Krieg beobachtet, Menschen in Israel und Gaza getroffen und ihre Schicksale begleitet. 26.09.2024 | 29:57 min
    Sein Elternhaus ist zerstört, acht Mal wurde seine Familie innerhalb des Gazastreifens vertrieben, aber sie leben.

    Ich muss mich selber jeden Morgen auf den Schmerz vorbereiten, dass ich nie wieder von meiner Familie höre.

    Nidal Bulbul

    Re: Flucht aus Gaza
    Hunderttausende Palästinenser*innen sind seit Ausbruch des Kriegs im Gazastreifen auf der Flucht, auch die Familie von Nidal Bulbul.19.09.2024 | 30:18 min
    Seit einem Jahr versucht Nidal Bulbul seine Angehörigen zu retten, rauszuholen. Er sammelt Spenden und versucht ihre Ausreise nach Ägypten zu organisieren, bislang erfolglos. "Wenn mich jemand fragt, wie geht es dir, deiner Familie, wie soll ich das beschreiben? Ein Jahr Bombardierung, Drohnen, Vertreibung, wenig Essen... wenn ich mit meiner Schwester telefoniere, versuche ich etwas Last von ihr zu nehmen. Es zerbricht mich."
    Verzweiflung und Enttäuschung von der Weltgemeinschaft, "dass so viele Kinder gestorben sind, das darf man 2024 nicht akzeptieren" sagt Nidal Bulbul.

    Ich habe Angst, dass dieser Horror uns nie wieder zusammenbringt und es nie wieder Frieden gibt.

    Nidal Bulbul

    Hamas - Macht durch Terror
    Sie will nicht nur morden - die ganze Welt soll ihren Terror auch sehen. Als die Hamas Israel am 7. Oktober überfällt, demonstriert sie ihre Macht durch Angst und Schrecken.25.09.2024 | 29:02 min

    Nach dem 7. Oktober: Gefangen im Alptraum

    Ein Jahr wie ein Alptraum, so empfindet es auch Jouanna Hassoun, Tochter palästinensischer Flüchtlinge, geboren im Libanon. "Ich hätte nie geglaubt, dass auf so einem kleinen Fleck Erde (gemeint ist der Gazastreifen) so lange ein Krieg toben kann. Und ich frage mich, wann das zu Ende ist." Und jetzt auch noch Krieg im Libanon.

    Ich habe Familie, Freunde im Libanon, ich habe dort den Bürgerkrieg miterlebt. Und ich habe das Gefühl, ich ersticke und platze jeden Moment.

    Jouanna Hassoun

    Tatort - Israel
    Überlebende und Hinterbliebene erinnern sich an den Tag, der ihr Leben und die Welt erschüttert hat.20.09.2024 | 43:30 min

    Empathie und Dialog statt Hass und Ideologie

    Gemeinsam mit Shai Hoffmann, einem deutschen Juden mit israelischen Wurzeln, besucht Jouanna Hassoun seit einem Jahr Schulen in ganz Deutschland, um über den Nahost-Konflikt zu sprechen, appellieren an Dialog und Empathie statt Hass und Ideologie.
    Sie beobachten, wie Antisemitismus und Rassismus zunehmen. "Wir wollen erst Recht ins Gespräch kommen und zeigen, schau mal, diese Generalisierung Juden gleich Israel oder Hamas gleich Palästinenser, das darf nicht sein" sagt Shai Hoffmann. Den Krieg können sie nicht stoppen, aber in Deutschland für Menschlichkeit und Mitgefühl werben - für beide Seiten.

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    :Der Nahost-Konflikt

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