Wer besonders anfällig für islamistische Radikalisierung ist
Interview
Mannheim, Solingen, München:Wer ist anfällig für Islamismus?
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Der Islamismus gewinne junge Männer, die perspektivlos und auf der Suche nach Selbstbehauptung sind, sagt Islam-Experte Khorchide im ZDF. Religiös würden sie jedoch nicht erreicht.
Sehen Sie hier das Interview mit Islamexperte Mouhanad Khorchide in voller Länge.08.09.2024 | 6:43 min
Was bringt insbesondere junge Menschen dazu, sich dieser Ideologie anzuschließen? Professor Mouhanad Khorchide arbeitet selbst intensiv mit radikalisierten jungen Menschen in deutschen und österreichischen Gefängnissen. Im Interview mit dem ZDF heute journal gibt der Soziologe Antworten auf wichtige Fragen.
Sehen Sie das Gespräch oben im Video in voller Länge oder lesen Sie es unten in Auszügen.
Im Gespräch mit dem ZDF heute journal erklärt Khorchide ...
... wer für islamistische Radikalisierung anfällig ist
Es gebe "kein klares Muster", macht der Islam-Experte direkt zu Beginn klar.
Aber meist handelt es sich um junge Männer, die perspektivlos sind, die auf der Suche nach Selbstbehauptung sind, die fühlen sich ohnmächtig.
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Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Theologie
Man dürfe zwei Dimensionen nicht außer Acht lassen: 1) psychologisch: Meist handele es sich um psychisch labile Menschen oder Menschen mit Traumaerfahrungen in der Kindheit, in ihrer Sozialisation. 2) ideologisch: Auch eine ideologische und religiöse Dimension spiele eine Rolle.
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... inwiefern Religion eine Rolle bei der Radikalisierung spielt
Religion an sich oder der Glaube spielten im ersten Schritt erst einmal keine große Rolle, so Khorchide. Junge Menschen würden vor allem über die Sozialen Medien erreicht. Dort gebe es Erzählungen "über die Ungerechtigkeiten des Westens". "Es gibt ein großes Narrativ über Diskriminierung", berichtet Khorchide.
Quelle: dpa
... ist Professor für Islamische Theologie. An der Universität Münster bildet er Imame aus und bietet einen Kurs gegen Islamismus an. Er begleitet er seit Monaten Islamisten, die in deutschen und österreichischen Gefängnissen sitzen. Sie sind zwischen 16 und 24 Jahre alt.
"In der Forschung sprechen wir von religiösem Analphabetismus, also junge Menschen, die sich zwar radikalisieren, aber selber sehr wenig in der Lage sind, ihre Religiosität oder ihre Religion zu reflektieren", führt der Islam-Experte weiter aus.
Nicht alle, die von Diskriminierung sprechen, haben selber solche Erfahrungen gemacht, aber sie identifizieren sich mit der Erzählung über Diskriminierung, über die Erzählung über den vermeintlich bösen Westen.
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Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Theologie
So würden die jungen Menschen vor allem "emotional erreicht, weniger religiös".
... wie die jungen Menschen angesprochen werden
Viele junge Menschen seien auf der Suche nach Identität, macht Khorchide klar. Einige plagten Identitätskrisen. "Sprich die Frage, wer sind wir? Wenn sie irgendwo in der Türkei sind, in der arabischen Welt, sind sie dort Ausländer, sie gehören nach Deutschland oder nach Europa. Wenn sie hier in Deutschland sind, hinterfragt man, gehören die zu uns, gehören sie nicht zu uns, geht nach Hause. Wo ist dieses Zuhause?"
In den religiösen Angeboten finden die Jugendlichen schließlich ein Zuhause, sagt der Experte. Dort würden sie bedingungslos angenommen. In den Sozialen Medien seien junge Menschen leicht erreichbar, unabhängig von Moscheen. Das erkläre, warum Menschen, die sich radikalisieren, immer jünger werden.
Radikalisierung laufe nicht wie früher über Salafisten, die zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterscheiden. Die Sprache sei emotionaler.
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... was der Unterschied zwischen politischem Islam und der Terrororganisation Islamischer Staat ist
Der Unterschied sei, dass der islamische Staat "viel progressiver seine Propaganda vermittelt und ganz klar sagt, wir sind für Gewalt". Der politische Islam versuche, "auf legalem Weg die Gesellschaft zu unterwandern, anders als IS, die das über Gewalt tun", so Khorchide. "Die anderen sagen: wir sind gegen Gewalt."
Aber beide polarisieren, für beide ist der Westen sozusagen das Feindbild und das zieht junge Menschen an.
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Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Theologie
"Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir auf beiden Seiten nicht pauschale Aussagen machen - hier die bösen Muslime oder dort die im bösen Westen", bilanziert der Experte. Junge Menschen gingen weniger in die Moscheen, sie recherchieren in den Sozialen Medien. Dort fehlten vernünftige Angebote.
Moschee-Gemeinden und in der Jugendarbeit müssten Alternativangebote für einen weltoffenen Islam geboten werden.
Das Interview führte ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, zusammengefasst hat es ZDF-Redakteurin Katharina Schuster.
Quelle: dpa
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