Pisa-Schock: Ist Hamburgs Sprachförderung der Königsweg?

    Interview

    Sprachförderkonzept für Kinder:Pisa-Schock: Hat Hamburg den Königsweg?

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    Bereits seit vielen Jahren hat Hamburg ein Sprachförderkonzept, mit dem Kinder besser deutsch lernen sollen. Bildungssenator Ties Rabe über Erfolge und Herausforderungen.

    Modellprojekt mit digital voll ausgestatteten Schulen
    Bildungssenator Ties Rabe (SPD) bei einem Schulbesuch.
    Quelle: dpa

    Der zweite Pisa-Schock stellte Deutschland Anfang Dezember ein verheerendes Zeugnis für die Bildung im Land aus. Als Ursache wurde zum einen schnell der Schulausfall aufgrund der Corona-Pandemie identifiziert. Außerdem ein möglicher Grund: Der wachsende Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, die nur unzureichend deutsch sprechen.

    Hansestadt mit speziellem Förderkonzept

    Der Stadtstaat Hamburg hat bereits seit fast zwei Jahrzehnten ein Konzept zur ganzheitlichen Sprachförderung. So werden etwa viereinhalbjährige Kinder auf ihre Sprachfertigkeiten hin getestet - dann wird entschieden, ob sie spezielle Förderung benötigen. Hamburg preist das Konzept als Erfolgsmodell.
    Und tatsächlich: Im IQB-Bildungstrend 2022 zeigte sich Hamburg deutlich verbessert, spielte in einigen Kategorien oben mit. Ein Verdienst des Sprachförderkonzepts?
    Fragen an den Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD).

    Schulsenator Ties Rabe
    Quelle: dpa

    Ties Rabe ist Hamburger SPD-Politiker und Jahrgang 1960. Seit dem Frühjahr 2011 ist er im Stadtstaat der Senator für Schule und Berufsausbildung. Seit 2015 ist er zudem Koordinator für Bildung und Wissenschaft der SPD-regierten Bundesländer. Rabe hat als Lehrer an einem Gymnasium und als Redaktionsleiter von lokalen Wochenblättern gearbeitet. 1992 trat er in die SPD ein.

    ZDFheute: Seit dem Schuljahr 2005/2006 gibt es in Hamburg ein umfassendes Sprachförderkonzept. Was macht für Sie dieses Konzept aus?
    Ties Rabe: In erster Linie die Sprachförderung in zusätzlicher Lernzeit bei einem diagnostiziertem Sprachförderbedarf. Alle Viereinhalbjährigen werden anderthalb Jahre vor Schulbeginn zuerst in die Kitas und danach in die Grundschulen eingeladen, wo unter anderem der sprachliche Entwicklungsstand überprüft wird.

    Wird dort ein ausgeprägter Sprachförderbedarf festgestellt, sind der Besuch einer Vorschulklasse und die Teilnahme an zusätzlichen Sprachfördermaßnahmen im Jahr vor der Einschulung verpflichtend.

    Weitere Maßnahmen sind der Herkunftssprachenunterricht, die Beschulung von neu Zugewanderten in Willkommensklassen sowie die Sprachbildung im Fachunterricht.
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    ZDFheute: Sie sind bereits seit 2011 Bildungssenator in Hamburg. Wie hat sich die Situation an den Schulen durch das Konzept verändert?
    Ties Rabe: Das Hamburger Sprachförderkonzept und die verpflichtende Vorstellung aller Viereinhalbjährigen sind seit dem Schuljahr 2005/2006 fest an Hamburgs Schulen verankert.

    Die konsequente Umsetzung bei jedem Hamburger Kind ist allen Eltern bekannt, niemand kann sich dem entziehen, weder der Vorstellung noch der verpflichtenden Sprachförderung, falls ein ausgeprägter Sprachförderbedarf festgestellt wurde.

    Der Erfolg, den die Hamburger Grundschulen damit haben, lässt sich unter anderem in den IQB-Ländervergleichen ablesen. Hier gehörten Hamburgs Schülerinnen und Schüler lange zu den Schlusslichtern, haben sich inzwischen auf Platz 6 der 16 Bundesländer vorgearbeitet.
    ZDFheute: Hamburg war damals bei der Einführung Vorreiter in Deutschland. Wie kam die Idee für das Konzept zustande?
    Ties Rabe: Hamburg hatte sich nach dem PISA-Schock von 2000 und ähnlichen empirischen Erhebungen, die erhebliche Defizite von Schülerinnen und Schülern in zentralen - insbesondere auch sprachlichen - Kompetenzbereichen nachwiesen, als erstes Bundesland ein umfassendes verbindliches Sprachförderkonzept gegeben. Das verbindet inhaltlich-konzeptionelle und strukturelle Vorgaben miteinander und ist bis heute in wesentlichen Punkten in Kraft.
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    ZDFheute: Wie viel kostet die Umsetzung des Konzepts etwa im Jahr? Und wie schaffen Sie es, genügend Lehrpersonal zu finden?
    Ties Rabe: Im Schuljahr 2022/2023 haben 280 staatliche allgemeinbildende Schulen insgesamt rund 18.000 Wochenarbeitszeitstunden und rund 390 Stellen an Zuweisungen für die Sprachförderung erhalten. Das entspricht ungefähr 40 Millionen Euro pro Jahr.
    Die Hamburger Vorschulklassen, in denen der vorschulische Teil der Sprachförderung stattfindet, erfreuen sich großer Beliebtheit bei den Hamburger Familien. So werden 80 Prozent der Kinder freiwillig angemeldet, 20 Prozent sind aufgrund des ausgeprägten Sprachförderbedarfs zur Teilnahme verpflichtet. Daher sind diese Arbeitsplätze attraktiv.
    ZDFheute: Bei welchen Kindern ist der Förderbedarf besonders groß?
    Ties Rabe: Die Ergebnisse der Viereinhalbjährigen-Vorstellungen werden jedes Jahr wissenschaftlich evaluiert. Dabei wird deutlich, dass vor allem Kinder aus Haushalten, in denen kein oder wenig Deutsch gesprochen wird und Kinder aus so genannten bildungsfernen Haushalten ausgeprägter Sprachförderbedarf haben.

    Seit der Corona-Pandemie hat sich dieser Trend noch einmal deutlich verschärft.

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    ZDFheute: Bei der IQB-Bildungsstudie schnitt Hamburg vergleichsweise gut ab. Was hat das Sprachförderkonzept damit zu tun?
    Ties Rabe: Da inzwischen über 50 Prozent der Kinder bei Einschulung einen Migrationshintergrund haben und bei einem Drittel aller Kinder zuhause kaum oder gar kein Deutsch gesprochen wird, ist die Aufgabe der Grundschulen, alle Basiskompetenzen zu vermitteln im Hinblick auf den Übergang in eine weiterführende Schule in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Kleine Klassen, gut qualifizierte Lehrkräfte und erhebliche Personalressourcen auch für die Sprachförderung sind der Schlüssel dafür.
    ZDFheute: Ist der "Hamburger Weg" der Sprachförderung eine Blaupause für andere Bundesländer?
    Ties Rabe: Die Wissenschaftler, die die IQB-Bildungsstudien verantworten, haben zwei Maßnahmen als erfolgsversprechend in den Fokus gerückt: Zum einen regelmäßige Lernstanderhebungen, um zu wissen, wer und wie am besten gefördert werden soll, und zum anderen eine durchgängige frühkindliche Bildung und Förderung.

    Beides macht Hamburg seit vielen Jahren.

    Die Fragen stellte David Metzmacher.

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