Geflüchtete über deutsche Asyldebatte: "Wir bekommen Angst"
Geflüchtete in Deutschland :Asyldebatte: "Wir bekommen Angst"
von Lisa Jandi
|
Abschiebung und Abschottung - seit Solingen scheint es in der Politik fast nur noch um die Begrenzung von Migration zu gehen. Wie fühlen sich die, die zu uns geflüchtet sind?
Nach dem Attentat von Solingen sehen sich in Deutschland lebende Syrer und Afghanen zunehmend unter Generalverdacht gestellt.03.09.2024 | 2:55 min
Mehr als eine Million syrische und afghanische Schutzsuchende leben in Deutschland. Seit dem Attentat in Solingen und zuvor in Mannheim fühlen sie sich unter Generalverdacht gestellt. Wir haben mit Geflüchteten und mit Menschen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, über die aufgeheizte Stimmung gesprochen.
Mariam Al Muhammed, Laborantin, geflüchtet mit ihrer Familie aus Syrien
"Als ich von der Tat in Solingen gehört habe, ging es mir sehr schlecht. Wir sind hier, um ein sicheres und ruhiges Leben zu führen. Deutschland hat uns diese Chance gegeben. Warum nutzen wir diese Chance nicht? Warum töten wir diese Leute, die die Tür für uns geöffnet haben? Das finde ich schrecklich.
Quelle: ZDF
Mein Mann und ich, wir haben unseren Weg nicht so einfach gefunden, Sprache, Beruf, es gab viele Hindernisse, aber wir haben es geschafft. Wenn wir jetzt an unsere Zukunft denken, bekommen wir Angst, dass wir wegen dieser Leute, diesem kleinen Teil der Flüchtlinge, alle eine Strafe bekommen. Dass wir zurück müssen in unser Heimatland.
Nicht alle sind gleich. Es gibt Leute, die Asyl brauchen. Sie wollen hier sicher leben, ihre Berufe weiter ausüben und ein erfolgreicher Teil dieser Gesellschaft sein. Deswegen finde ich es hart, wenn wir sagen, nein, kein Asyl für Syrer oder Afghanen."
Hätte der Anschlag von Solingen verhindert werden können? Bereits wenige Tage nach der Tat befasste sich der NRW-Landtag mit den Konsequenzen.29.08.2024 | 1:37 min
Rami Adam, Koch im Restaurant "Kreuzberger Himmel", geflüchtet aus Syrien
"Ich habe hier einen Aufenthalt für drei Jahre und ich will in Deutschland bleiben, weil ich denke, das ist meine richtige Heimat, weil meine Kinder hier eine Zukunft haben.
Quelle: ZDF
Ich habe Angst, wenn es Leute gibt, die denken, wir sind alle gleich. Wir sind zu 100 Prozent nicht gleich. Wie alle Deutschen nicht gleich sind. Nicht alle Türken sind wie Erdogan, nicht alle syrischen Leute wie Baschar al-Assad. Wir sind hier ungefähr eine Million syrische Personen.
Geflüchtete nach Herkunftsland
ZDFheute Infografik
Ein Klick für den Datenschutz
Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
Ich bin jetzt wie die deutschen Leute. Flüchtling, ja. Ich komme aus Syrien, ja. Aber ich respektiere das Gesetz.
Ich habe Angst, zurück nach Syrien zu kommen, und ich habe auch Angst, dass diese Terroristen hier zwischen uns bleiben."
Andreas Tölke vom Verein "Be an Angel e.V."
"Abschottung und Rausschmeißen. Das sind im Moment die einzigen Modelle, die angeboten werden. Diese Modelle sind weder nachhaltig noch sinnvoll.
Quelle: ZDF
Seit neun Jahren beweisen wir mit dem Verein und mit dem Restaurant Kreuzberger Himmel, dass Integration funktioniert, und zwar für beide Seiten. Die Menschen, die hier ankommen, haben etwas davon, und wir als Deutsche haben etwas davon. Und das muss das Konzept sein. Schlüssige Konzepte, Integration und damit den Geflüchteten auch die Angst nehmen.
Menschen, die hierher geflüchtet sind, sind auf einmal verängstigt, dass sie wieder in die Heimatländer abgeschoben werden. Die sind vor Terror und Verfolgung geflohen. Die sind nicht dort weg, weil sie zu viel Tagesfreizeit hatten und dringend mal Deutschland kennenlernen wollten."
Das Berliner Restaurant "Kreuzberger Himmel" wurde von einer Flüchtlingsorganisation gegründet. Es setzt ein Zeichen der Hoffnung und des friedlichen Miteinanders.07.12.2023 | 5:18 min
Jawed Rahmani, Kellner im Restaurant "Kreuzberger Himmel", geflüchtet aus Afghanistan
"Solche Fälle machen das Leben für uns schwer. Wenn ich sage, ich komme aus Afghanistan, dann gucken mich die Leute schief an.
Quelle: ZDF
Ich bin aus Afghanistan weggelaufen, weil ich in Gefahr war. Wenn ich dahin zurückgehe, weiß ich genau, was mit mir passiert.
Ich habe versucht, mein Leben hier zu organisieren. Ich bin seit fast zehn Jahren in Deutschland und seit acht Jahren arbeite ich. Ich habe meine Ausbildung gemacht, ich habe meinen Abschluss gemacht und so weiter. Ich bezahle meine Steuern. Aber am Ende habe ich schuld, obwohl ich nichts gemacht habe.
Der eine hat schuld, er bekommt seine Strafe. Jetzt fliegt er wieder nach Afghanistan oder Iran oder Syrien. Das ist genau richtig, aber nicht die anderen."
Shahnaz Ali, Ehrenamtliche bei "Moabit hilft e.V.", geflüchtet aus Syrien
"Es ist sehr schlimm, was in Solingen passiert ist, sehr schlimm. Ich bin auch Muslimin. Das bedeutet nicht, dass ich auch so bin. Nein, ich glaube, das ist kein Islam.
Quelle: ZDF
Nicht nur die Deutschen haben Angst. Ich habe auch Angst, weil ich nicht weiß, ob mir auf der Straße etwas passiert oder meinem Kind."
Die internationale Gemeinschaft stellt 7,5 Milliarden Euro bereit, um syrische Flüchtlinge zu unterstützen. Deutschland sagte auf der Geberkonferenz in Brüssel eine Milliarde zu.28.05.2024 | 0:26 min
Diana Henniges, Verein "Moabit hilft e.V."
"Das Thema Asyl wird im Grunde genommen darauf reduziert, dass Menschen Verbrechen begehen, dass Menschen mit Migrationshintergrund eventuell eine Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen.
Quelle: ZDF
Komme ich jemals mit meiner Familie wieder zusammen? Darf ich jemals wieder arbeiten? Darf ich eine Wohnung anmieten? Darf ich einen Sprachkurs machen?
Und ich glaube, das können wir uns als Gesellschaft gar nicht leisten, weil viele dieser Menschen, die hier leben, ein Teil unserer Gesellschaft sind.
Wie kann Deutschland seinen humanitären Pflichten gerecht werden, ohne dabei die Kommunen zu überlasten? Müssen wir Migration begrenzen?24.11.2023 | 43:15 min
Ich finde es auch interessant, was man für Versprechungen macht. Wir haben ein Grundgesetz, an das wir uns halten müssen, es gibt ein Asylrecht, zu dem wir uns bekannt haben, es gibt die UN-Menschenrechtskonvention.
Quelle: Hannes Leitlein
"Man hat den Eindruck, dass es ein Stall aufgescheuchter Hühner ist. Es ist kein Politiker, der sich hinsetzt und sagt, so, jetzt überlegen wir mal, jetzt analysieren wir mal und dann entscheiden wir. Nichts davon. So sollte Politik ja sein im allerbesten Fall und nicht Emotionen, Emotionen, Emotionen, Wut, Angst, Leute fertig machen, degradieren, schlecht machen. So können ja keine Entscheidungen getroffen werden."
"Der mutmaßliche Attentäter von Solingen hätte abgeschoben werden müssen, wurde aber nicht abgeschoben. Da muss man da wohl reingucken, warum das nicht passiert ist. Das ist die Problemanalyse."
"Man sagt, Migration ist schuld an Wohnraummangel, an schlechten Schulen und so weiter. Das hat dann mit dem Problem des Islamismus oder der Messerangriffe nichts mehr zu tun. Natürlich ist es ein Problem, wenn Menschen mit Waffen andere Menschen angreifen. Natürlich ist es ein Problem, wenn Menschen einer Ideologie verfallen, die menschenfeindlich ist. Und das müsste man angehen. Tut man aber nicht."
"Wir haben in Deutschland eine Fülle an Problemen. Von Kita-Platzmangel, über Wohnraummangel, über schlechte Schulen. Der letzte Pisa-Test war eine Katastrophe. Und der eingeübte Reflex ist, die Migranten sind schuld, die Ausländer sind schuld."
Die Interviews führte Lisa Jandi, Reporterin im ZDF-Landesstudio Berlin.
Genießen Syrer in Deutschland einen Schutzstatus? Bisher war es meist so - aber jetzt urteilte ein Gericht anders. Es gebe keine "allgemeine Gefahr" für die Bevölkerung.