Antisemitismus: Jüdischer Student verklagt FU Berlin

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    Antisemitismus:Jüdischer Student verklagt FU Berlin

    von Beate Frenkel, Michael Haselrieder
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    Vier Monate, nachdem er brutal angegriffen wurde, verklagt der jüdische Student Lahav Shapira die Freie Universität Berlin. Sie habe versäumt, Judenhass etwas entgegenzusetzen.

    Freie Universität Berlin
    Freie Universität Berlin
    Quelle: dpa

    Sein Gesicht ist noch immer ein wenig geschwollen. "Gesundheitlich geht es mir zwar schon besser. Allerdings habe ich noch zwei Metalleinsätze unter der Haut, die später entfernt werden müssen", sagt Lahav Shapira im Interview mit ZDF frontal. Anfang Februar war der 31-Jährige von einem propalästinensischen Studienkollegen vor einer Bar in Berlin brutal zusammengeschlagen worden. Der Täter hatte ihn offenbar erkannt und angegriffen, weil sich Shapira an der Uni mit Israel solidarisiert hatte.

    "Umfeld der Unsicherheit" an FU Berlin

    Anfang dieser Woche hat Lahav Shapira beim Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Freie Universität (FU) eingereicht. Er macht sie für den Angriff mitverantwortlich: "Es geht darum, dass die Uni die antisemitische Stimmung, die auch zu dem Angriff geführt hat, viel zu lange toleriert hat."

    Die Uni hat nach dem Hochschulgesetz die Pflicht, für ein diskriminierungsfreies Umfeld zu sorgen. Und das hat sie nicht getan.

    Lahav Shapira

    In der 16-seitigen Klageschrift, die ZDF frontal exklusiv vorliegt, heißt es: Die Uni habe "keine adäquaten Maßnahmen ergriffen, um die antisemitische Diskriminierung gegen den Kläger, aber auch andere jüdische Studierende zu verhindern oder diese strukturell zu beseitigen. Vielmehr konnte sich ein Umfeld der Unsicherheit entwickeln". Die Freie Universität Berlin habe zugelassen, "dass antisemitische Sprache sich zu Taten konkretisiert hat".
    Lahav Shapira
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    Auf Anfrage von ZDF frontal teilt die Pressestelle der FU Berlin mit: "Die von Ihnen erwähnte Klage liegt der Freien Universität Berlin noch nicht vor. Zu laufenden rechtlichen Vorgängen äußert sich die Freie Universität nicht."

    Anwältin: "Propalästinensische Hegemonie" in der Uni

    Shapiras Anwältin Kristin Pietrzyk listet in der Klage propalästinensische Besetzungen, Demonstrationen und Veranstaltungen auf, die seit dem 7. Oktober 2023 - dem Überfall der Hamas auf Israel - an der Freien Universität stattgefunden haben. "Die Versäumnisse der Uni haben es ermöglicht, dass sich eine propalästinensische Hegemonie in der Uni etabliert. Diese hat in Teilen deutlich antisemitische Züge", sagt Pietrzyk im Gespräch mit ZDF frontal.
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    Lahav Shapira ist in Israel geboren und kam als Kind nach Deutschland. Sein Großvater hat den Holocaust überlebt. Gemeinsam mit anderen Studenten protestiert Shapira Mitte Dezember 2023 gegen eine Hörsaal-Besetzung durch propalästinensische Studenten. Danach bekommen sie Drohungen per WhatsApp. "Es wird versucht, uns einzuschüchtern und uns als Zielscheibe zu markieren", erzählt er im Januar in einem Interview mit frontal. Drei Wochen später wird Shapira von einem Kommilitonen brutal zusammengeschlagen. Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, gebrochener Nase und gebrochenem Jochbein kommt er ins Krankenhaus, muss operiert werden.

    Student mit Security an FU unterwegs

    Lahav Shapira wird schon seit 2010 von der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt unterstützt. Damals war er als 17-Jähriger in seiner Heimatstadt Laucha von einem Neonazi als "Judenschwein" beschimpft und angegriffen worden. "Es ist leider kein Einzelfall, dass Betroffene von antisemitischer oder auch rassistisch motivierter Gewalt mehrfach angegriffen werden", sagt Zissi Sauermann von der Mobilen Opferberatung.
    Die Mobile Opferberatung ist Mitglied im Dachverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). "Dieser Fall zeigt leider auch beispielhaft, wie notwendig eine gesicherte und langfristige Finanzierung für die spezialisierten Gewaltopferberatungsstellen im Kontext von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsterrorismus ist", betont Heike Kleffner vom VBRG. Umso dramatischer sei es, dass in der aktuellen Debatte um den Bundeshaushalt 2025 die Budgetkürzungen auch die Arbeit der Opferberatungsstellen bedrohten.
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    Lahav Shapira ist mittlerweile wieder an die Uni zurückgekehrt. Doch aus Angst vor weiteren Angriffen wird er von einem Security-Mann begleitet. In der Klage heißt es, er habe "einen privaten Sicherheitsdienst beauftragen müssen, der seine Sicherheit auf dem Hochschulgelände gewährleistet". Shapira behält sich vor, in einem nächsten Schritt Schadenersatz von der Uni zu fordern.

    Shapira: Klage einzige Option

    "Die Uni muss endlich ihrer Pflicht nachkommen, um antisemitischen Tendenzen vorzubeugen, und uns jüdische Studierende schützen", sagt Lahav Shapira. Die Klage sei für ihn die einzige Option gewesen, dem Nachdruck zu verleihen. "Denn eigentlich möchte ich mich wieder auf mein Studium konzentrieren."

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