Lebenslange Haft: Forderung nach längerer Mindesthaftdauer

    Was bedeutet lebenslange Haft?:Längere Mindesthaftdauer gefordert

    von Wilhelm Terporten und Birgit Franke
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    Die politische Debatte über die Anhebung der Mindestdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe ist nicht neu, nimmt momentan aber wieder an Fahrt auf. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

    Ein Stacheldrahtzaun ist in Stuttgart vor dem Gefängnisgebäude der Justizvollzugsanstalt Stammheim zu sehen.
    Straftäter, die eine lebenslange Haftstrafe erhalten haben, können unter Umständen nach 15 Jahren eine Entlassung auf Bewährung beantragen. (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Auch vor dem Hintergrund der Tat von Magdeburg werden die politischen Stimmen lauter, die Mindestdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe zu erhöhen. Politiker der Union sowie der AfD haben dabei unterschiedliche Argumente.

    Längere Haftdauer für mehr Abschreckung?

    Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Guenther Krings, meint, dass sich der Zeitraum von 15 Jahren im Strafrecht inzwischen seit Jahrzehnten etabliert habe. Man könne wohl auch nicht zwingend davon ausgehen, dass eine höhere Mindestverbüßungszeit eine größere Abschreckungswirkung entfalte.

    Allerdings ist die Lebenserwartung in Deutschland seit Beginn der 1980er-Jahre fast um ein Jahrzehnt gestiegen. Das spricht durchaus für eine Anhebung der Mindesthaftzeit über 15 Jahre hinaus.

    Guenther Krings, CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

    Im Gefängnishof stehen zwei Gefangene, zwei weitere sind davor in der Hocke. Alle rauchen und blicken in die Kamera.
    Leben hinter Stacheldraht. Manch ein Gefangener in den deutschen Justizvollzugsanstalten ist öfter und dadurch längere Zeit im Gefängnis als in Freiheit.15.07.2024 | 44:35 min
    Der Abgeordnete und Jurist Tobias Matthias Peterka (AfD) argumentiert: "Die Forderung, die Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe anzuheben, um so einen größeren Abschreckungseffekt zu erreichen, sollte definitiv diskutiert werden."
    Zwar wisse er nicht, ob ein Abschreckungseffekt "flächendeckend" erlangt werden könne. Dennoch sei die Anhebung der Mindestverbüßungsdauer unter dem Aspekt der Stärkung des sinkenden Vertrauens der Bürger in den Rechtsstaat wünschenswert, so Peterka.
    Die SPD lehnt eine Anhebung der Mindesthaftzeit ab. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer, Johannes Fechner, verweist dabei auf das Ausland:

    Der schreckliche Anschlag in New Orleans zeigt, dass höhere Strafen wie in den USA Täter nicht abschrecken.

    Johannes Fechner, parlamentarische Geschäftsführer der SPD

    Was bedeutet lebenslange Freiheitsstrafe?

    Grundsätzlich bedeutet lebenslange Freiheitsstrafe erst einmal tatsächlich lebenslang, stellt also eine unbefristete Sanktion dar und ist daher nicht an ein Enddatum gebunden. Der Verurteilte ist bis zu seinem Lebensende im Gefängnis, es sei denn, es erfolgt eine Haftentlassung auf Bewährung.
    Die lebenslange Freiheitsstrafe ist zwingend vorgesehen bei Mord und bei Völkermord. In Ausnahmefällen kann sie auch bei anderen schweren Straftaten verhängt werden.
    2023 saßen laut Statistischem Bundesamt 1.764 Menschen in Haft, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen.
    Eine inhaftierte Person lehnt sich aus einem vergittertem Fenster.
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    Möglichkeit einer Haftentlassung

    Das Bundesverfassungsgericht hat 1977 entschieden, dass jeder Inhaftierte grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, seine Freiheit wiederzuerlangen - sonst sei der Strafvollzug nicht menschenwürdig.

    Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden.

    Auszug aus: BVerfG, Urteil vom 21.06.1977, Aktenzeichen 1 BvL 14/76

    Wer in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt wird, kann frühestens nach 15 Jahren einen Antrag auf Entlassung stellen. Unter gewissen Voraussetzungen kann die Strafe nach Ablauf dieser Zeit zur Bewährung ausgesetzt werden - entscheidend sind unter anderem die Schwere der Schuld, das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, die Persönlichkeit des Täters und dessen Verhalten im Vollzug.
    Die tatsächliche Entlassung ist jedoch kein Automatismus. So wurde 2021 ein Häftling nach 58 Jahren auf Bewährung entlassen. Nach Angaben der Kriminologischen Zentralstelle betrug die Haftdauer bei Entlassenen, bei denen die lebenslange Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, für das Jahr 2023 im Durchschnitt 19,3 Jahre.
    Der Deutsche Yves S. kniet im Gefängnis Juan Antonio de la Vega auf seinem Bett und hält Handtücher in den Händen. Über dem Bett befindet sich ein Regal.
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    Strafrecht-Experte lehnt Forderung entschieden ab

    Matthias Jahn, Professor für Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt hält diesen Vorschlag - die Anhebung der Mindesthaftstrafe - für "eine Scheindiskussion angesichts der Realitäten der lebenslangen Freiheitsstrafe in Deutschland".
    Er erklärt: "Lebenslang bedeutet im Moment tatsächlich zwischen 18 und 22 Jahren Vollzug aufgrund der feststehenden Rechtsprechung. Das bedeutet, dass nur in seltensten Ausnahmefällen die Strafe tatsächlich bis zum Tode vollstreckt wird."

    Deshalb gibt es keine starke Abhängigkeit zwischen der durchschnittlichen Lebensdauer und der lebenslangen Freiheitsstrafe. Populismus ändert nichts an den Rechtstatsachen.

    Professor Matthias Jahn, Goethe-Universität Frankfurt

    Zwangseinweisung bei Schuldunfähigkeit

    Begeht der Täter schuldunfähig eine schwere Straftat, zum Beispiel aufgrund einer psychischen Erkrankung oder hohen Alkoholisierung, kann das Gericht keine Strafe verhängen Es kann jedoch eine Einweisung in ein psychiatrischen Krankenhaus anordnen. Auch diese Sanktion ist dann zeitlich nicht befristet, hat also kein festes Enddatum.
    Mangels Schuldfähigkeit ist dies jedoch keine Bestrafung, sondern dient dem Schutz der Gesellschaft und der Behandlung des Täters. Die Schuldunfähigkeit stellt dabei jedoch die absolute Ausnahme dar: Im Jahr 2021 waren von insgesamt 815.199 verurteilten Personen nur 1.147 schuldunfähig.
    Wilhelm Terporten ist Rechtsreferendar, Birgit Franke ist Redakteurin in der Redaktion Recht und Justiz

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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