Interview
Deutscher Blick auf Frankreich:Enorme Herausforderung auch für Berlin und EU
von Daniel Pontzen
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Das Linksbündnis gewinnt die Wahl in Frankreich - und nicht Marine Le Pen. Berlin ist erleichtert. Doch auf den zweiten Blick gibt es auch Warnungen vor einem "Anti-Deutschen".
Überraschung in Frankreich: Bei der Parlamentswahl ist ein Sieg der extremen Rechten verhindert worden. Hinter dem Linksbündnis landet Präsident Macrons Mitte-Lager auf Platz zwei.08.07.2024 | 1:49 min
Es fühlte sich zunächst ein bisschen so an wie ein unerwarteter Konfettiregen. Die Berliner Beobachter hatten mit dem Schlimmstem gerechnet, doch als dann die tatsächlichen Zahlen aus Frankreich durchdrangen am Sonntagabend, machte sich erst einmal große Erleichterung breit.
Eine "sensationelle Wende" sah etwa Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Das sei ein "ermutigendes Wahlergebnis", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montagvormittag. Und auch der Regierungssprecher machte deutlich, dass man sich durchaus auf düstere Szenarien eingestellt hatte.
Dann allerdings kam das Aber.
Habeck sieht "enorme Herausforderung"
Denn als sich der gefühlte Konfettiregen gelegt hatte, wurde deutlich, dass das nun erzielte Ergebnis ebenfalls erhebliche Unsicherheiten mit sich bringt. Wenngleich der befürchtete Rechtsruck ausblieb, zeige sich nun "eine enorme Herausforderung", so Habeck - vor allem für Frankreich selbst, "aber auch für Europa, das sich ja gerade in der Phase der Neuaufstellung nach der Europawahl befindet. Und auch für das deutsch-französische Verhältnis."
Zwar ist das, was man in Berlin am meisten befürchtete hatte - eine Regierung angeführt von Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) - bis auf Weiteres abgewendet.
Zugleich aber führt die Sitzverteilung der künftigen Nationalversammlung zu einer mutmaßlich äußerst komplizierten Regierungsbildung - falls sie überhaupt gelingt. Denn am Verhandlungstisch sitzen - auch ohne Le Pen - sehr schwierige Partner.
Sitzverteilung in Frankreich
ZDFheute Infografik
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Mélenchon - ein "Anti-Deutscher"?
Jean-Luc Mélenchon, der Gründer der französischen Linkspartei, "ist ein Anti-Deutscher durch und durch", sagte etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), dem Tagesspiegel. Und präzisierte: Mélenchon "unterscheidet sich in seinen anti-deutschen und anti-europäischen Tiraden nicht substanziell von Frau Le Pen".
Bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) überwog dennoch zunächst ebenfalls die Erleichterung. Die drohende Zusammenarbeit sei abgewendet, sagte Scholz am Rande eines Termins in Nürnberg, er hoffe nun auf eine erfolgreiche Regierungsbildung.
Dies gehe nur zusammen mit Frankreich.
Der Wahlsieg des Linksbündnisses kam überraschend, für Frankreich und ganz Europa. Der erwartete Rechtsruck wurde abgewendet.08.07.2024 | 12:50 min
Scholz trifft Macron beim Nato-Gipfel
Beim Nato-Gipfel in Washington werde der Kanzler über diese "ungewöhnliche historische Konstellation" sicherlich "mit seinem Freund" Emmanuel Macron sprechen, sagte in Berlin Scholz' Regierungssprecher.
Dass Berlin dabei jedoch kaum konkrete Unterstützung leisten könne, machte der Wirtschaftsminister deutlich: "Wir können da nicht wirklich helfen", so Habeck. "Wir können die Gesprächskanäle nutzen, um vielleicht Hinweise zu geben." So werde man die vorhandenen Kontakte in die einzelnen Parteien nutzen, "um die Herausforderungen, die europäisch bewältigt werden müssen, noch einmal zu verdeutlichen".
Insbesondere was den Ukraine-Krieg angeht, senden Scholz und Macron sehr unterschiedliche Signale. Auch daran zeigt sich, wie belastet das deutsch-französische Verhältnis ist.26.05.2024 | 3:45 min
Ist Macrons Taktik doch aufgegangen?
Angesichts der geopolitischen Gemengelage - Stichwort Ukraine, Stichwort mögliche Trump-Wahl - hatte unter anderem Olaf Scholz die Entscheidung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Neuwahlen herbeizuführen, wenig erfreut zur Kenntnis genommen.
Ob der Kanzler nun jenen Kommentatoren zustimme, die finden, Macrons Rechnung sei doch aufgegangen, wurde der Regierungssprecher gefragt. "Da lesen Sie offenbar andere Zeitungen als ich", antwortete Steffen Hebestreit. "Ich glaube der Bundeskanzler bleibt bei seiner Position."
Klarheit hatte sich Macron gewünscht - neue Klarheit solle die vorzeitige Parlamentswahl bringen nach dem für ihn desaströsen Ergebnis bei der Europawahl. Stand heute, so scheint es, hat er ziemlich exakt das Gegenteil erreicht.
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