Asyldebatte: Was ein CSU-Bürgermeister anders macht
Flüchtlinge willkommen:Was ein CSU-Bürgermeister anders macht
von Jutta Sonnewald
|
Die Akzeptanz gegenüber Geflüchteten bröckelt. Viele Kommunen sind überlastet. Doch nicht überall spürt man Überforderung und Abwehrhaltung. Ein Beispiel aus Bayern.
Geflüchtete in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Bayern (Archiv)
Quelle: dpa
Richard Reischl bereitet gerade mit ehrenamtlichen Helfer*innen und engagierten Bürger*innen seines Ortes eine Aktion vor: Für den 29. März plant die Gemeinde Hebertshausen im Landkreis Dachau eine Lichterkette für eine tolerante, friedliche und demokratische Gesellschaft - gerade in dieser aufgeheizten Asyldebatte ein Signal der Zuversicht und der Solidarität.
Richard Reischl, Bürgermeister von Hebertshausen.
Quelle: privat
Viel mehr Flüchtlinge aufgenommen als sie müssten
Der CSU-Bürgermeister und sein 6.000-Seelen-Ort haben die letzten Jahre vier bis fünfmal mehr Flüchtlinge aufgenommen als sie eigentlich müssten. Alle zwei Wochen kam hier ein Bus an mit rund 50 neuen Schutzsuchenden, die später im Landkreis verteilt wurden.
Schon lange fällt es vielen Kommunen schwer, neue Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Container-Siedlungen schaffen zwar Raum, erschweren aber die Integration.10.09.2024 | 1:43 min
In Hebertshausen lebten letztes Jahr etwa 230 Menschen, vor allem aus Afrika, Syrien und Afghanistan. Klar, auch hier gab es Nöte bei der Unterbringung und die Sorge, ob das zu schaffen sei. Doch Richard Reischl und seine Bürgerinnen und Bürger wehren sich gegen eine 'das-Boot-ist-voll-Rhetorik'.
Stattdessen haben Reischl und sein Helferkreis fast alle Flüchtlinge in Arbeit gebracht - beim Bauhof, beim Autolackierer, beim Landwirt.
Es gibt bei uns eine große Akzeptanz gegenüber Geflüchteten, weil das Argument wegfällt 'die liegen uns ja nur auf der Tasche'.
„
Richard Reischl, Bürgermeister (CSU)
Fachkräftemangel mit Geflüchteten behoben
Für Thomas Polz und seinen Sohn Simon ist die Zuwanderung existentiell. Händeringend haben sie Fachkräfte für ihre Bäckerei gesucht. Jetzt beschäftigen sie 90 Menschen aus 14 Nationen.
Einer von ihnen ist Aliou Diallo. Er kam vor 11 Jahren aus dem Senegal und macht eine Ausbildung zum Bäcker. In seiner Heimat sei er Fischer gewesen, so Diallo, daher mache ihm das frühe Aufstehen nichts aus.
Angestellte der Bäckerei Polz: Sie sind Kurden, Eritreaer, kommen aus dem Kosovo, Kasachstan, Sierra Leone, Senegal und aus Landkreis Dachau.
Quelle: Thomas Polz
Thomas und Simon Polz nehmen in Kauf, wenn es anfangs mit der Sprache hapert. Wie man eine Brezn drehe, das hätten sie schon nach einer Woche drauf, so die beiden.
Ohne Aliou Diallo und die anderen würde es uns gar nicht geben.
„
Simon Polz, Bäcker in Hebertshausen
Beschäftigungsquote von Geflüchteten steigt
Erwerbstätigkeit sei der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, so Yulia Kosyakova, Migrationsforscherin am Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB).
Ein irakischer Geflüchteter arbeitet seit einem halben Jahr als ungelernte Pflegekraft in Deutschland. 2024 drohte ihm die Abschiebung. Sein Asylantrag wurde abgelehnt.18.04.2024 | 3:02 min
2024 waren 590.600 Menschen aus den klassischen Asylherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt - rund 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit steigender Aufenthaltsdauer steige auch die Beschäftigungsquote, so Kosyakova:
So sind zum Beispiel nach sechs Jahren über 50 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert, nach acht Jahren erreicht die Beschäftigungsquote knapp 70 Prozent.
„
Yulia Kosyakova, Migrationsforscherin
Das sei höher als in den meisten anderen EU-Ländern und zukunftsweisend. Deutschland brauche für den Arbeitsmarkt laut Berechnungen des IAB jährlich rund 400.000 Zugewanderte.
Zwischen 2015 und 2017 flüchteten viele Menschen aus Syrien nach Deutschland. Eine Rückkehrwelle hätte große Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt.11.12.2024 | 1:26 min
Forderung nach Lockerung der Arbeitsverbote
Die größten Hürden seien Bürokratie und Arbeitsverbote, klagt Bürgermeister Richard Reischl und fordert auch von seiner Partei, der CSU, weniger Polemik und Stimmungsmache, stattdessen konstruktive Lösungsansätze.
Im Herbst 2022 hat die Bundesregierung das Chance-Aufenthaltsrecht beschlossen (§ 104c AufenthG). Das Ziel: die Chance für Ausländer erhöhen, in Deutschland zu arbeiten. Es handelt sich dabei um eine Aufenthaltserlaubnis, die gut integrierten, langjährig in Deutschland lebenden ausländischen Personen, die aktuell einen Duldungsstatus haben, eine Bleibeperspektive eröffnen soll. Nach 18 Monaten können die begünstigen Personen aus diesem rechtmäßigen Aufenthalt heraus ein dauerhaftes Bleiberecht beantragen.
In Deutschland Lebende können das Chancen-Aufenthaltsrechts beantragen, wenn Sie: • sich aktuell in einem Duldungsstatus befinden, • sich am 31. Oktober 2022 seit mindestens 5 Jahren in Deutschland ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aufgehalten haben, • sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, • nicht straffällig geworden sind (ausgenommen sind Verurteilungen zu einer geringen Strafe), • nicht wiederholt falsche Angaben bei Behörden gemacht haben und dadurch aktuell Ihre Abschiebung verhindern.
Das Chancen-Aufenthaltsrecht ist eine temporäre, 18 Monate gültige Aufenthaltserlaubnis. Während dieser Zeit halten sich die Anspruchsberechtigten erlaubt im Bundesgebiet auf und können nicht abgeschoben werden. Aus dem Chancen-Aufenthaltsrecht heraus kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG beantragt werden (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und jungen Volljährigen) oder nach § 25b AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration). Quelle: Ministerium für Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration in NRW
In Hebertshausen hilft der engagierte Unterstützerkreis Flüchtlingen bei Sprach-, Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung und bei Behördengängen. Bürgermeister Reischl ist mit seinen BürgerInnen stets offen und transparent im Dialog, wer kommt und wer wo bleibt.
Keine Überfremdung, keine Überforderung
Lieber würde er Container auf einer Wiese aufbauen als Schulturnhallen für die Unterbringung von Asylsuchenden zu belegen, so Reischl:
Wir wollen nicht, dass Vorurteile geschürt werden, weil die Menschen das Gefühl haben, ihnen wird etwas weggenommen.
„
Richard Reischl, Bürgermeister Hebertshausen
Richard Reischl ist hat es geschafft, dass es in Hebertshausen ein gutes Miteinander gibt zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen. Die Menschen fühlen sich weder überfremdet noch überfordert.
Nach acht Jahren in Deutschland haben laut Agentur für Arbeit 68 Prozent der Geflüchteten einen Job. Doch wird ein Asylantrag abgelehnt, schützt die Arbeit nicht vor Abschiebung. 18.04.2024 | 1:37 min
Die Kriminalität sei in den letzten Jahren sogar gesunken, so Reischl. Die AfD spiele hier kaum eine Rolle.
Reischl: Chancen sehen in der Migration
In den letzten Monaten kamen keine Busse mehr mit Asylsuchenden in Hebertshausen an. Das könnte daran liegen, dass insgesamt weniger Menschen nach Deutschland kamen. Die Zahl der Asylanträge ist um ein Drittel gesunken.
Fast zwei Drittel der Geflüchteten aus 2015 haben einen Job. Was ist dran an dem Vorwurf, dass die Mehrheit der Geflüchteten gar nicht arbeiten will? 31.05.2024 | 15:07 min
In Hebersthausen leben derzeit 67 Flüchtlinge aus den klassischen Herkunftsländern und 138 Ukrainer. Wie lange sie in Hebertshausen bleiben ist unklar.
Doch Richard Reischl ist nicht bange. Im Gegenteil: er sieht die Schicksale der Menschen, auch die Herausforderung der Integration, aber vor allem eins: die Chancen.
Jutta Sonnewald ist Redakteurin im ZDF-Landesstudio Bayern.