Kleine Einkommen benachteiligt?:FDP kritisiert ZEW-Studie zu Wahlprogrammen
von Nils Metzger
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Laut einer ZEW-Studie wirkt sich das FDP-Wahlprogramm negativ auf kleine Einkommen aus. Die FDP unterstellt den Autoren methodische Fehler. Die Argumente und was dahinter steckt.
Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann stellt das FDP-Wahlprogramm vor. Was sind die Inhalte? (Archivbild)18.12.2024 | 1:28 min
In jedem Wahlkampf geben Verbände und Institute Stellungnahmen und Empfehlungen zu den Wahlprogrammen heraus. Nur wenige erreichen dabei so eine große mediale Reichweite wie diese: Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim errechnete wie schon bei vergangenen Wahlen, wie sich die Pläne der Parteien auf das verfügbare Einkommen auswirken.
Ihr Ergebnis: Bei der FDP müssten Menschen mit den kleinsten Einkommen sogar mit Einbußen rechnen. Dafür wird die Partei seit Tagen in den sozialen Medien kritisiert. Die FDP selbst fühlt sich jedoch falsch dargestellt. In einem ZDFheute vorliegenden Brief an das ZEW kritisiert der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann "Fehler in Berechnungen" und "irreführende Ergebnisse".
Ein schwerer Vorwurf an das als renommiert geltende Forschungsinstitut und seine Wissenschaftler.
Was sagt die Studie?
Im Fokus steht die Einkommensveränderung bei den Ärmsten - Personen mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von weniger als 10.000 Euro. Laut ZEW würden sie bei Umsetzung der untersuchten FDP-Vorhaben mit weniger dastehen: ein Minus von 289 Euro verglichen mit den aktuellen Regelungen, wohingegen jene in absoluten Zahlen am meisten profitieren, die die höchsten Einkommen haben.
Veränderung des verfügbaren Einkommens
ZDFheute Infografik
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Untersucht hat das ZEW laut eigenen Angaben nicht die kompletten Parteiprogramme, sondern eine Reihe von Maßnahmen zu Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Vermögenssteuer, Bürgergeld, Mindestlohn und Klimageld. "Die Ergebnisse gelten somit nicht für die Wahlprogramme als Ganzes, weil viele der Pläne nicht auf einzelne Haushalte herunterzubrechen sind oder zu vage formuliert wurden", schreibt das ZEW.
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Welche Kritik gibt es?
Buschmann kritisiert, die ZEW-Studie habe fälschlich angenommen, die FDP plane, das Wohngeld abzuschaffen. Diese angenommene Streichung ist ursächlich für die negativen Werte bei den kleinsten Einkommen. "Die FDP fordert jedoch weder im Wahlprogramm noch an anderer Stelle die Abschaffung des Wohngelds. Vielmehr fordern wir die Bündelung steuerfinanzierter Sozialleistungen in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle", schreibt Buschmann.
Außerdem griffen die ZEW-Berechnungen zu kurz, weil nicht berücksichtigt werde, dass das FDP-Programm "Wirtschaftswachstum in Deutschland deutlich und nachhaltig anheben und mehr Menschen in Arbeit bzw. in bessere Beschäftigung bringen" könne.
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Berechnungen des Bunds der Steuerzahler würden zeigen, dass "kleine und mittlere Einkommen relativ am meisten von den Steuerplänen der FDP profitierten", schreibt Buschmann. Auch in den sozialen Medien verwies Buschmann auf Zahlen des als wirtschaftsliberal geltenden Bunds der Steuerzahler - obgleich die dort gezeigten kleinen Einkommen erst bei 30.000 Euro beginnen.
Post von Marco Buschmann
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Auf Nachfrage, ob die Partei auch für niedrigere Einkommen mit den ZEW-Berechnungen vergleichbare absolute Zahlen zur Verfügung stellen könne, erhielt ZDFheute keine Auskunft.
Der Beschwerdebrief der FDP war laut ZEW nicht die einzige kritische Rückmeldung. Auch AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel kritisierte die Studie in einem RTL-Interview. "Die Zahlen sind falsch. Sie müssen sehen, dass Institute politisch angesteuert sind. ZEW ist allgemein bekannt vor allem unter Wirtschaftsleuten - es ist sehr SPD-lastig."
"Aus der Linken kamen fachliche Rückfragen danach, warum wir einige Teile des Programms nicht berücksichtigt hätten", teilte eine ZEW-Sprecherin mit. Die seien jedoch auf einem Parteitag nach dem Redaktionsschluss der Studie beschlossen worden.
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Was sagen die Studienautoren am ZEW?
Das ZEW hält trotz Kritik an seinen Berechnungen fest:
Das liege daran, dass in der gewählten Modellierung Wohnkosten zwar nicht als separates Wohngeld, aber als gebündelte Leistung abgedeckt würden. "Wohnkosten der Haushalte werden über die Kosten der Unterkunft in einem erweiterten SGB-II-System berücksichtigt", so das ZEW.
"Kritik an der Studie ist natürlich legitim. Wir weisen selbst darauf hin, dass wir mit Annahmen arbeiten müssen", so das ZEW. Im FDP-Programm sei nicht ausgeführt, wie die Zusammenlegung der Sozialleistungen umgesetzt werden solle. Auch bei den anderen Parteien hätte man an verschiedenen Punkten mit derartigen Annahmen gearbeitet.
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von Robert Meyer
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Zudem untersuche man bei allen Parteien nur die kurzfristige Wirkung der Programme. Mögliche Folgewirkungen wie das von der FDP monierte Gehaltsplus durch Wirtschaftswachstum berücksichtige man bei keiner Partei.
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Welche Strategie verfolgen die Parteien?
Dass die FDP die Zahlen des ZEW nicht so stehen lassen will, zeigt Buschmanns Brief. Berechnungen und Ergebnisse von ZEW und Bund der Steuerzahler sind aber so grundverschieden, dass sie kaum verglichen oder gegeneinander verifiziert werden können. "Kaum jemand außerhalb der Fachleute wird beurteilen können, ob das korrekt ist", sagt Marcus Maurer, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Mainz. Er forscht zu politischer und medialer Kommunikation in Wahlkämpfen.
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Als Strategie gegen die Verbreitung unliebsamer Zahlen sei es darum schon erstmal ausreichend, Zweifel zu säen. "Am Ende ist das dann eine Frage der Glaubwürdigkeit: Je nachdem, welcher Partei man nahesteht, wird man dem ein oder anderen glauben." Mehr Klarheit sei dabei auch gar nicht unbedingt im Interesse der Parteien, beschreibt Maurer:
Eine ungefähre Forderung nach einem "gerechten Steuersystem" sei für sie viel besser als genaue Berechnungen, wer wieviel gewinnt oder verliert, so Maurer. "Außerdem geben die Parteien natürlich auch allgemein ungern die Kontrolle über ihre Kommunikation aus der Hand."
Eine zusätzliche Herausforderung für die Wahlkampf-Kommunikation: Viral einschlagen tun meist nicht lange Studien mit komplexen Annahmen und Anmerkungen - sondern Auszüge, knappe Screenshots einzelner Zahlen. "Solche Verkürzungen sind immer recht unglücklich. Die Parteien möchten ihre Politik erklären und am Ende wird alles auf ein paar Zahlen reduziert", sagt Maurer.
Die FDP-Fraktion sieht die Vorschläge der Union für eine schärfere Migrationspolitik positiv - und will noch einen Schritt weitergehen. Alle News im Wahlkampf-Ticker.
Liveblog
Quelle: dpa
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