Interview
Neuer Familienbericht:Armutsrisiko für Alleinerziehende bleibt hoch
von Henriette de Maizière
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Auch der zehnte Familienbericht belegt: Alleinerziehende sind von Armut deutlich stärker betroffen als der Rest der Bevölkerung. Eine andere Familienpolitik könnte das ändern.
Familienbericht: Die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland ist gestiegen. Besonders armutsgefährdet sind alleinerziehende Frauen.15.01.2025 | 2:29 min
Alleinerziehend, getrennterziehend, Wechselmodell, Residenzmodell, Patchwork - Familie ist bunt. Laut dem zehnten Familienbericht vom Bundesfamilienministerium haben 2023 in Deutschland rund 1,69 Millionen Menschen gelebt, die allein- beziehungsweise getrennterziehend mit Kindern unter 18 Jahren sind. Das sind 20 Prozent aller Familien.
Betroffen sind rund 2,5 Millionen Kinder. Damit leben 17 Prozent aller Kinder in einem "Alleinerziehendenhaushalt".
- Ist ein etablierter Begriff für Eltern, die überwiegend oder vollständig allein für die Betreuung, Versorgung und Pflege eines oder mehrerer Kinder verantwortlich sind.
- Der Begriff erfährt aktuell eine Neudefinition, auch in Rechtsbereichen und in Statistiken, um der zunehmenden Verbreitung geteilter Betreuung gerecht zu werden.
- Der Begriff bezieht sich auf die Erziehung und Betreuung eines Kindes durch Elternteile, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Kind leben.
- Er erfasst alle getrennten Eltern, die sich prinzipiell an der Betreuung und Erziehung ihrer gemeinsamen Kinder beteiligen.
- Trennungsfamilien werden statistisch bisher nur unter dem Status "alleinerziehend" gelabelt.
- Das definiert, ob in einem Haushalt eines alleinlebenden Erwachsenen bzw. Elternteils ein Kind lebt.
Armutsrisiko bei Alleinerziehenden deutlich erhöht
Der Bericht belegt: Das Risiko für Armut von Alleinerziehenden ist deutlich erhöht. Das heißt, das finanzielle Armutsrisiko von alleinlebenden Frauen - und seltener Männern - mit Kindern liegt etwa dreimal höher als jenes von Frauen (und Männern) in Paarbeziehungen.
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Laut Bericht erreichen gerade viele geschiedene Frauen kein existenzsicherndes Erwerbseinkommen. Besonders hoch ist das Armutsrisiko von alleinerziehenden Frauen mit Kindern, die weder über einen Hochschul- noch einen Berufsabschluss verfügen. Und: Je kleiner das Kind, desto größer das Armutsrisiko.
Diese finanziell prekäre oder zumindest angespannte Situation führt wesentlich häufiger zur Inanspruchnahme von Transferleistungen. Im Osten nochmal mehr als im Westen Deutschlands.
Paus: Wirtschaftliche Selbstständigkeit wichtig
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) betonte, das erhöhte Armutsrisiko hänge massgeblich damit zusammen, wie Familien bereits vor eine Trennung organisiert gewesen seien. Ob Sorge- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich aufgeteilt waren.
"Von daher ist eine ökonomische Eigenständigkeit von Anfang an eine gute, wichtige Empfehlung", so Paus. Aber wenn es zu einer Trennung komme, dann sei es "wichtig, dass diese getrennt erziehenden Familien nicht alleine gelassen werden. Wir sollten darüber reden, dass es einen Mehrbedarf gibt, wenn sie in getrennten Haushalten leben." Paus betonte weiter:
Armut setzt sich häufig im Alter fort
Die durchschnittliche Arbeitszeit von Männern mit Kindern im Haushalt liegt deutlich über der von Frauen mit Kindern im Haushalt. Deshalb ist das Lebenserwerbseinkommen von Frauen auch deutlich geringer. Dies führt zu einer erhöhten Gefahr von Altersarmut.
Bemerkenswert dabei: Laut Bericht haben Männer, die mit ihren Kindern allein leben, eine geringere Wochenarbeitszeit als Männer in anderen Familienkonstellationen. Alleinerziehende Frauen arbeiten hingegen mehr als in der klassischen Familienkonstellation.
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So arbeiteten im Jahr 2021 alleinlebende Frauen mit Kindern rund 22 Stunden pro Woche. Im Vergleich arbeiteten verheiratete Frauen mit Kindern rund 26 Stunden. Dementsprechend wenig zahlen sie in die Rentenversorgung ein.
Auch gesundheitlich stehen Alleinerziehende schlechter da
Alleinerziehende und ihre Kinder sind nicht nur finanziell schlechter gestellt, sondern die Vulnerabilität macht sich auch in ihrer Gesundheit und ihrem allgemeinen Wohlbefinden bemerkbar. Sie sind deutlich häufiger von gesundheitlichen und psychischen Beeinträchtigungen betroffen. Alleinerziehende Mütter leiden häufiger unter Depressionen und Stress.
Professorin Michaela Kreyenfeld, die Vorsitzende der Familienberichtskommission, fordert von einer neuen Bundesregierung eine große Familienrechtsreform. Die Kommission gibt unter anderem die Empfehlung ab, die "Vielfalt von Familienformen in Recht, auch in Statistik besser abzubilden". Nur dann könnten diese einen sicheren Rechtsrahmen haben, um "geteilte Betreuung zu leben".
Doch neben den großen Veränderungen mahnt die Kommission, altbewährte Maßnahmen zu erhalten:
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Ökonomische Eigenständigkeit von Frauen stärken
Der neue Familienbericht versucht, daraus Handlungsoptionen abzuleiten. Entscheidend sei, ob im Vorfeld versucht werde, Frauen gleichermaßen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und Sorgearbeit egalitär zu verteilen. Oder ob für den Fall ungleicher Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit Ausgleichsmechanismen angeboten werden.
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Ehegattensplitting und mangelnde Betreuungsmöglichkeiten führen laut Bericht oft zur sogenannten Hausfrauen-Mutter, was sich im Falle einer Trennung dann allzu oft rächt.
Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis Ende der Grundschulzeit
Die Expertenkommission empfiehlt für alle Eltern mit Kindern ab dem Alter von einem Jahr bis zum Ende der Grundschulzeit einen Rechtsanspruch auf acht Stunden institutioneller Betreuung. Außerdem brauche es Betreuung an Randzeiten und am Wochenende.
Zudem empfiehlt die Kommission die Einführung eines Gutscheinmodells für haushaltsnahe Dienstleistungen für Haushalte mit besonderem Unterstützungsbedarf.
Henriette de Maizière ist Redakteurin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.
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