Erbe ausschlagen: Was geschieht mit dem aufgegebenen Haus?

    Tausende Fälle in Sachsen:Erbe im Osten: Warum viele es ausschlagen

    von Thomas Bärsch
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    Jedes Jahr lehnen Tausende Deutsche ihr Erbe ab. Vor allem im Osten. Warum? Und was geschieht dann mit den verwaisten Immobilien? Ein Beispiel aus Sachsen.

    Altes Haus
    Eine zunehmende Zahl von Menschen in Ostdeutschland schlagen Immobilien-Erbschaften aus. Viele Erben sind inzwischen weggezogen, zudem sind Häuser mit Schulden belastet, die die Kinder nicht übernehmen wollen oder können.19.02.2025 | 1:35 min
    Es ist kühl an diesem Morgen, an dem Nadja Schramm und Linda Pößneck das verlassene Haus in Gersdorf bei Chemnitz in Augenschein nehmen. Die beiden Mitarbeiterinnen beim Flächenmanagement Sachsen werden heute eintauchen in die private Welt der verstorbenen Hausbesitzerin. Ihre Erben wollen das Haus nicht haben. Damit gehört es dem Freistaat.
    Ein Erbe antreten geht nur ganz oder gar nicht. Man übernimmt die Werte, aber auch die Schulden der Verstorbenen. Wenn Nachkommen ein Erbe ausschlagen, dann meist, weil sie für die Schulden nicht aufkommen wollen.

    Zwischen Schatzkammer und Chaos

    Linda Pößneck und Nadja Schramm können in den Häusern theoretisch auf Schatzkammern stoßen oder auf chaotische Wohnungen, die schon zu Lebzeiten der Besitzer lange nicht mehr geputzt wurden. Hier in Gersdorf fällt zuerst ein Kleinwagen auf dem Hof ins Auge, etwa sechs Jahre alt und äußerlich ein Schmuckstück. Er gehört zur Erbmasse.
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    Drinnen erzählen die Stockwerke viel über die Familiensituation. Im Erdgeschoss lebte die Besitzerin. Sie starb im letzten Jahr, knapp über 60 Jahre alt. In den oberen Zimmern stapeln sich Leitz-Ordner mit Hunderten Dokumenten. An den Wänden Fußballkalender von 2016. Es sind die ehemaligen Kinderzimmer - vor neun Jahren also zum Büro umfunktioniert.
    Warum die Erben dieses Haus nicht wollen, ist unbekannt. "Oft ähneln sich die Gründe", berichtet Nadja Schramm. "Die Kinder der Verstorbenen sind weggezogen und haben weit im Westen eigene Familien gegründet. Die Familienbande sind dann auch nicht mehr so stark."

    Und will man dann eine Immobilie in der strukturschwachen sächsischen Provinz sanieren?

    Nadja Schramm, Flächenmanagement Sachsen

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    Immobilie oft Teil der Erbschaft

    Deutschlandweit gibt es bei den ausgeschlagenen Erbschaften ein enormes Ungleichgewicht. So flattern in Sachsen jährlich etwa 1.300 Fälle auf die Schreibtische des Flächenmanagements - das sind mehr als in NRW, nur dort leben viermal so viele Menschen wie hier.
    Etwa zu jeder fünften ausgeschlagenen Erbschaft in Sachsen gehört auch eine Immobilie, die irgendwie auf den Markt gebracht werden muss, was neue Probleme aufwirft.
    Denn viele Ostdeutsche kauften ihre Häuser in der Nachwende-Euphorie, hatten aber nach dem Währungswechsel von Ost- auf D-Mark kaum Geld auf der hohen Kante. Deswegen finanzierten die Banken den Löwenanteil - und das sehr gern, denn die Zinsen lagen damals bei heute unvorstellbaren zehn Prozent. Die Folge: Es ist nicht ungewöhnlich, dass bis heute - 35 Jahre später - noch Banken mit in den Grundbüchern stehen.
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    Suche nach Dokumenten und Wertsachen

    Oft melden sich trotzdem Anwohner aus der Nachbarschaft, die das Haus in Eigenleistung sanieren wollen", erklärt Martin Oberacher, Chef des Flächenmanagements Sachsen. "Oder sie reißen es ab, um das eigene Grundstück zu vergrößern."
    Für den Verkauf suchen Linda Pößneck und Nadja Schramm nun alles, das ihnen einen Überblick verschaffen kann. Jedes Dokument ist wichtig, jeder Kontoauszug, jede Abrechnung eines Strom- oder Wärmelieferanten.

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    Und sie suchen auch nach Wertsachen, die sich vor dem Verkauf noch versilbern lassen. Schließlich muss Sachsen effizient arbeiten. Doch oft machen sie die gleichen Erfahrungen und finden nichts: "Man sieht schon, dass hier noch jemand 'aufgeräumt' hat", erklärt Linda Pößneck, "obwohl die Erben eigentlich per Unterschrift das Gegenteil bestätigen." Eine Handhabe dagegen gibt es kaum.
    "Die Erben würden dann sagen, sie hätten den fehlenden Gegenstand schon vor dem Tod geschenkt bekommen, oder es sei eine Leihgabe gewesen", erklärt Pößneck schulterzuckend. "Es gibt da viele Ausreden."
    Am Ende des Tages fehlen immer noch wichtige Unterlagen, auch der KfZ-Brief des Kleinwagens auf dem Hof. Was gefunden wird, ist der Schlüssel. Innen wirkt das Auto gepflegt, starten lässt es sich nicht. Trotzdem - ein Fall für die Versteigerung.

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    Quelle: dpa

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