Sinnvoll oder nicht?:Was Bezahlkarten für Geflüchtete bringen
von Oliver Klein
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Millionen Geflüchtete sollen bald kein Bargeld mehr bekommen, sondern Bezahlkarten. Was ist konkret geplant - und lässt sich so Migration eindämmen? ZDFheute mit Antworten.
Die Bezahlkarte kommt - künftig erhalten Asylbewerber wohl überall eine Karte statt Bargeld, um beispielsweise Lebensmittel zu kaufen. Das Ziel: Weniger Pullfaktoren und damit die Migration nach Deutschland senken. Auch die Verwaltung soll vereinfacht werden. Kann das funktionieren? Welche Modelle gibt es bisher, was ist für die Zukunft geplant - und was halten Experten von den Bezahlkarten? ZDFheute mit einem Überblick.
Was plant die Politik?
Noch gibt es keinen klaren Fahrplan. Bund und Länder hatten sich Ende 2023 grundsätzlich geeinigt, Bezahlkarten einzuführen statt Geflüchteten Bargeld auszuzahlen. Dahinter steht die Annahme, dass Migrantinnen und Migranten dann nicht mehr ihre Schleuser bezahlen oder ihre Familien im Ausland finanziell unterstützen können, erklärt Migrationsforscherin Petra Bendel vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen/Nürnberg.
Ende Januar endet die Frist, bis zu der konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen sollten. Eine Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers soll am Mittwoch über die weiteren Schritte beraten. Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass die Bezahlkarte im Juni fertig sein und eingeführt werden solle. Zwölf von 16 Bundesländern hätten bereits ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet, was mit der Bezahlkarte möglich sein soll und was nicht.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund unterstützt die Pläne: Aus kommunaler Sicht seien Bezahlkarten "ein sehr guter weiterer Baustein", um Migration zu begrenzen und Integration zu steuern, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Andre Berghegger, am Dienstag dem ARD-Morgenmagazin.
Wo gibt es bereits Bezahlkarten in Deutschland?
Einige Kommunen sind bereits vorgeprescht und haben eigene Bezahlkarten-Modelle eingeführt oder planen das demnächst, beispielsweise der Landkreis Greiz in Thüringen. Dort bekommen Geflüchtete schon den Großteil ihrer Leistungen auf eine Karte überwiesen, mit der sie regional einkaufen können. Abhebungen oder Überweisungen sind nicht möglich.
Ein ähnliches Projekt wie in Greiz läuft derzeit schon im Landkreis Eichsfeld in Thüringen, weitere Kreise in Thüringen wollen sich anschießen. Die Karten sollen für Auslandsüberweisungen gesperrt werden und nur innerhalb des Landkreises funktionieren. Auch Sachsen-Anhalt und Bayern planen zeitnah ähnliche Guthaben-Karten für Asylbewerber, Bayern will im Frühling mit Pilotprojekten starten.
Im grün regierten Hannover gibt es bereits die sogenannte "SocialCard", die auf einer herkömmlichen Visa-Debitkarte basiert und praktisch keinerlei Einschränkungen vorsieht. Bei diesem System schreibt die Stadt die Sozialleistungen per Überweisung monatlich auf der Karte gut. Das Ziel sei es, "geflüchteten Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu bargeldloser Bezahlung zu ermöglichen", heißt es auf Nachfrage von ZDFheute von der Stadt. Ein ähnliches System ist in Hamburg im Gespräch.
Einschätzungen von Prof. Petra Bendel (Politikwissenschaftlerin Universität Erlangen-Nürnberg) zum Asylkompromiss der EU-Kommission20.12.2023 | 11:38 min
Wie wurde das Greizer Modell aufgenommen?
Im Großen und Ganzen sei die Umstellung akzeptiert worden, erklärte bereits Mitte Januar Dagmar Pöhland vom Verband für Behinderte Greiz, der auch Flüchtlinge berät und betreut: "Die Leute sind froh, dass sie überhaupt eine Leistung kriegen." Wer wirklich auf der Flucht sei, dem sei das egal.
Aber: Seitdem die Bezahlkarten statt Bargeld ausgegeben werden, hätten sich "die Abreisen von Asylsuchenden aus dem Landkreis Greiz verstetigt", heißt es aus dem Landratsamt. 15 Betroffene, die bisher ihre monatliche Unterstützung abholten, hätten sich einfach nicht mehr gemeldet. Da "scheidet sich die Spreu vom Weizen", so Landrätin Martina Schweinsburg (CDU) im ZDF.
Der Flüchtlingsrat übte hingegen Kritik: Geflüchtete könnten zwar in Supermärkten zahlen, beim Friseur, in kleineren Geschäften oder beim Erwerb eines Deutschlandtickets gebe es aber Probleme.
Können Bezahlkarten Migration eindämmen?
Die von ZDFheute befragten Migrations-Expertinnen und -Experten sind sich einig: Die Einführung von Bezahlkarten wird Migration nach Deutschland nicht wesentlich reduzieren.
Aus der Forschung wissen wir, dass Sozialleistungen keinen entscheidenden Pull-Faktor darstellen.
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Hans Vorländer, Chef des Sachverständigenrats für Integration und Migration
Geflüchtete hätten andere Prioritäten, so Vorländer: "Sie suchen einen Ort, an dem sie sicher sind, Arbeit finden und idealerweise schon jemanden kennen. Bezahlkarten können Migration nach Deutschland deshalb nicht grundsätzlich beeinflussen."
Ähnlich sieht es der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück: Menschen würden auf der Suche nach Schutz lange, riskante und teure Wege auf sich nehmen. Da sei es kaum nachzuvollziehen, warum ein winziges Element der Asylpolitik wie die Geldkarte einen Beitrag dazu leisten soll, dass Menschen eine Migration nicht unternehmen.
Die Migrationsforscherin Petra Bendel bezweifelt bereits die Grundannahme, dass viele Asylsuchende in großem Stil Bargeld an ihre Familien ins Ausland überweisen: "Die Höhe der staatlichen Leistungen ist ja mitnichten so hoch, dass die Personen noch sehr viel Geld sparen könnten", erklärt die Professorin.
Was bringen Bezahlkarten dann überhaupt?
Eine Bezahlkarte könnte durchaus Vorteile haben, so Vorländer. Als Beispiel nennt er die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber. Wichtig sei dabei jedoch ein bundesweit einheitlicher Ansatz, um einen weiteren administrativen Flickenteppich zu vermeiden.
Ob sich eine Bezahlkarte lohnt, hänge davon ab, wie das System am Ende ausgestaltet ist, mahnt Oltmer: Geht es um die Vereinfachung der Verwaltung - wie etwa in Hannover - sei der Aufwand für die Umstellung relativ gering. Wenn die Karten aber diverse Funktionseinschränkungen haben sollen, um Geflüchtete abzuschrecken, sei der Aufwand ungleich höher, das Projekt viel teurer. Da könne man aus der Erfahrung lernen, so der Migrationsforscher: Seit den 1980er Jahren seien Sachleistungsmodelle immer wieder ausprobiert worden. Sie hätten sich dann aber fast immer als zu teuer und arbeitsaufwändig herausgestellt.
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