Crack und Heroin: Wieso mehr Menschen wegen Drogen sterben

    Gedenktag für Verstorbene:Wieso mehr Menschen wegen Drogen sterben

    von Julian Schmidt-Farrent, München
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    Crack, Fentanyl, Kokain: Immer mehr Menschen sterben beim Konsum. Welche Rolle Afghanistan für den deutschen Heroinmarkt spielt - und wie ein Nasenspray helfen könnte.

    Spritze
    Im letzten Jahr sind so viele Menschen in Deutschland an Drogen gestorben wie nie zuvor. Am internationalen Gedenktag wird an sie erinnert und über Hilfsmöglichkeiten gesprochen.21.07.2024 | 1:32 min
    Nicht in die Spritzen treten, warnt Thekla Andresen und starrt auf den Boden. Innerhalb von wenigen Sekunden pickt sie eine Handvoll abgebrochener Nadeln neben einer Parkbank auf. Einmal die Woche geht die 43-Jährige auf die Pirsch im Münchner Nußbaumpark: Die Drogenszene ist wenige Meter von der Innenstadt entfernt - und das ist kein Zufall.
    "Wenn ich hier umkippe sind Leute da, die es sehen. Und dann wird mir geholfen", erklärt Andresen, schwarzer Zopf und schwarzer Hoodie. Andresen war jahrelang süchtig nach Heroin, heute substituiert sie. Viele ihrer Freunde von früher sind dagegen tot. Nur zum Gedenktag der verstorbenen Drogenkonsumierenden lässt sie die negativen Gedanken zu, erzählt Andresen. Die Trauer, aber auch die Wut.
    2.227 Menschen sind im vergangenen Jahr wegen Drogen gestorben - so viele wie nie. Und Forschende fürchten: Es wird schlimmer. Denn der deutsche Drogenmarkt verändert sich.
    Burkhard Blienert
    Laut dem Bundesdrogenbeauftragen Blienert sind 2023 in Deutschland 2.227 Menschen wegen Drogenkonsums verstorben, zehn Prozent mehr als noch im Vorjahr – ein trauriger Rekord. 29.05.2024 | 1:34 min

    Crack: Mehr Tote durch Amphetamine

    Nach Heroin sind Kokain und Crack die Haupttodesursache in der Statistik, Tendenz steigend. Aus Kokain gefertigt und in einer Pfeife geraucht, führt Crack immer mehr zu Verelendung, erklärt Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences. Früher sei Crack ein Phänomen in den Metropolen gewesen, heute ist es schon in kleineren Großstädten wie Paderborn verfügbar.

    Prof. Heino Stöver
    … ist einer der bekanntesten Experten zur deutschen Drogenpolitik. Seit 2009 leitet er das Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences und untersucht unter anderem die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte. Daneben berät Stöver weltweit Institutionen und NGOs beim Aufbau der Drogenhilfe.

    Der neue Mischkonsum ist lebensgefährlich: Viele spritzen inzwischen Heroin und rauchen Crack oder trinken Alkohol. Das ist laut Stöver auch eine Folge des Wandels auf dem Drogenmarkt - und der Terrorherrschaft der Taliban in Afghanistan.
    ZDF-Reporter Bernd Mosebach in Mecklenburg-Vorpommern
    In Altentreptow ist eine 13-Jährige mutmaßlich nach Einnahme einer Ecstasy-Pille gestorben. Die Polizei hat vier Tatverdächtige im Alter zwischen 16 und 37 Jahren festgenommen. 27.06.2023 | 2:02 min
    Afghanistans Exportschlager war Heroin, nun drosseln die Taliban die Produktion. Die Folge: Das Heroin in Deutschland wird immer unreiner und teurer, erklärt Suchtexperte Stöver. Und diese Heroin-Lücke könnte in den kommenden Jahren eine noch gefährlichere Droge füllen: Fentanyl.

    Fentanyl: Sorge vor dem Heroin-Ersatz

    Das synthetische Opioid ist zigfach stärker als Heroin, selbst erfahrene Konsumierende können sich leicht verschätzen - vor allem, wenn sie die Droge über Spritzen konsumieren. Andresen macht das Sorgen. Schon vor Jahren hätten in München die vergleichsweise schwächeren Fentanyl-Pflaster die Runde gemacht. Und schon damals starben Menschen.
    Alufolie mit Drogen
    Alle sieben Minuten stirbt in Amerika jemand an einer Überdosis Fentanyl. Wie weit sind wir von US-amerikanischen Verhältnissen entfernt? Wir sprechen mit Franziska Schneider.05.03.2024 | 5:08 min
    Sie läuft weiter durch den Münchner Park, als ein junger Mann mit strammen Schritten auf sie zukommt. Er ist hager und wirkt berauscht, hält einen Hund mit Maulkorb an der Leine. Andresen unterhält sich mit ihm. Sie sei ja selbst einmal so gewesen, erzählt sie. "Ich hätte auch nicht gewollt, dass man mich außen vorlässt." Sie hört dem hageren Mann zu. Mehr kann sie gerade nicht tun.
    Nur: Die Politik könnte das, glaubt Andresen. Aber dafür müssten sich die Verantwortlichen ihre Fehler eingestehen. "Dann ändern sie lieber nichts - was meine Wut verschlimmert." Andresen ist Mitglied bei JES, einem Netzwerk von und für Konsumierende. Seit Jahren fordern sie und viele Expert*innen vor allem eines: Drogenkonsumräume. Und seit Jahren sperrt sich Bayern, wie eine Handvoll weiterer Bundesländer. Aber wieso?

    Naloxon: Gegengift bei Drogen-Überdosis

    "Es gibt in Städten mit Konsumräumen sehr niedrige Todeszahlen", erklärt Suchtwissenschaftler Stöver. Die Menschen konsumieren dort unter Aufsicht statt in einer Tiefgarage oder einem Hinterhof. Bei einer Überdosis kann das Personal reagieren - und Leben retten.
    Bayern lehnt die Einrichtungen weiterhin ab. Genauso lehnt das Gesundheitsministerium ein Interview ab und erklärt seine Haltung schriftlich:

    Hauptargument ist der Widerspruch, dass der Besitz und Erwerb von bestimmten Drogen strafrechtlich zu verfolgen ist, deren Konsum aber in solchen Einrichtungen staatlicherseits toleriert würde.

    Bayerisches Gesundheitsministerium

    Andere Bundesländer führen seit Jahren Konsumräume. Der Freistaat setzt auf Nasensprays mit Naloxon - eine Art Gegengift, dass sich Konsumierende bei einer Überdosis verabreichen können. Auch Andresen hat das Spray in ihrem Rucksack. Sie ist sicher: Naloxon hilft, aber es hält nicht die wachsenden Todeszahlen auf. Und es bringt ihre Freunde nicht mehr zurück.
    Eine Clique von 25 Menschen waren sie mal, erzählt Andresen. Nun sind sie noch zu dritt. Viele starben an Langzeitfolgen ihres Konsums - in der Statistik eine der häufigsten Todesursache im Zusammenhang mit Drogen. All ihre Freunde war Menschen mit einem ganz normalen Tagesablauf. Sie waren Lageristen im Theater oder Bürokräfte, erzählt Andresen. "Für die Gesellschaft waren es - salopp gesagt - einfach nur Junkies."
    Julian Schmidt-Farrent ist Reporter im ZDF-Landesstudio Bayern.

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    Quelle: ZDF

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