Deutsche Einheit: Wendegewinner über DDR und AfD

    DDR, Deutsche Einheit und AfD:Unternehmer: Wende war "wahnsinnige Befreiung"

    von Anne Stadtfeld
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    Sabine von Köppen und Mathias Lohraff leiten ein Kabeltrommel-Werk in Schwerin. Für sie war die Wende eine Befreiung. Dass viele im Osten AfD wählten, macht sie fassungslos.

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    Seit 155 Jahren werden im Familienbetrieb der August Hildebrandt GmbH in Schwerin Holzkabeltrommeln hergestellt. Die DDR- und Wende-Zeit sei eine wechselvolle gewesen, stellen die Geschäftsführer Sabine von Köppen und ihr Bruder Mathias Lohraff fest:

    Das Unternehmen ist damals zu DDR-Zeiten 1972 verstaatlicht worden.

    Ostdeutsches Unternehmen: Verstaatlicht, reprivatisiert, Marktführer

    Ihr Vater, der bis dahin Eigentümer war, sei Betriebsleiter geworden. "Weil er sich geweigert hatte in die SED einzutreten", so Sabine von Köppen, "ist er entlassen worden". Nach der Wende die Chance: "Wir waren eines der ersten Unternehmen, die reprivatisiert worden sind." Für die Familie sei die Wende "eine wahnsinnige Befreiung" gewesen.
    Ihr Vater kam in seinen Betrieb zurück und "traf auf die Leute, die ihn entlassen hatten". Eine schwere Situation, aber die Familie gab nicht auf.

    Wir haben angefangen zu expandieren. Unser Vater damals kannte den Markt noch sehr gut und kannte die alten Kunden.

    Das Unternehmen hat mittlerweile 220 Mitarbeiter, neun Standorte in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Tunesien, ist in seiner Branche Marktführer in Europa mit einem Jahresumsatz von 90 Millionen Euro.

    Neue Investititonen für die Energiewende

    Gerade investiert der Betrieb 10 Millionen Euro für einen weiteren Standort in Schwerin. Dort werden riesige Stahlkabeltrommeln hergestellt, zum Beispiel für Daten-, Solar- oder Hochspannungskabel, alles nötig für die Energiewende.
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    Auch Nachhaltigkeit liege dem Unternehmen am Herzen. In Zusammenarbeit mit dem größten deutschen Netzbetreiber bauten sie ein Mehrwegsystem von Stahltrommeln auf, so die Geschäftsführer.

    Wir haben von 0 auf 100 wieder angefangen. Wir hatten keine großen finanziellen Mittel.

    Mathias Lohraff

    Expansion: Westdeutsche zunächst skeptisch

    Lohraff, der den Betrieb vor 20 Jahren mit seiner Schwester übernommen hat erinnert sich: Der volkseigene Betrieb der DDR hatte viel Schrott hinterlassen. Der Maschinenpark sei marode gewesen. Sie hätten ganz klein angefangen und dann Stück für Stück alles entwickelt.
    Dann folgte die Expansion nach Westdeutschland. Standorte in Hannover und Mönchengladbach sind zum Beispiel übernommen und aufgebaut worden. Die Geschwister finden:

    Darauf können wir echt stolz sein.

    Viele Westdeutsche hätten sie mit "Unglauben" beäugt, so Sabine von Köppen. Es hätte zunächst viele Diskussionen gegeben, aber "wir hatten sehr viele Fürsprecher."
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    Weil ich glaube, dass das Plattitüden zum Teil sind und wir eigentlich mal genau hingucken müssten, was wir in den letzten 30 Jahren hier im Osten geschaffen haben.

    Sabine von Köppen

    Die gesamte Infrastruktur und neue Straßen seien gebaut worden. "Dann schau ich aktuell nach Nordrhein-Westfalen auf die Straßen und da kann man schon deutliche Unterschiede sehen."
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    Mathias Lohraff

    AfD-Wähler ruft Sabine von Köppen auf, "wirklich mal genau zu gucken, wer diese Partei ist, was sie vertritt und welche Parolen ausgegeben werden." Sie glaube nicht, dass die meisten Wähler das vertreten, obwohl sie die AfD wählten.
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    Das kannst du meines Erachtens nur hinkriegen, wenn viel gereist wird. Reisen bildet und baut auch Grenzen und Hemmungen ab.

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    Anne Stadtfeld ist Reporterin im ZDF-Studio Mecklenburg-Vorpommern.

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