RKI-Protokolle: Was steht in den entschwärzten Dokumenten?
Sitzungen des Corona-Krisenstabs:Was zeigen die entschwärzten RKI-Protokolle?
von Nils Metzger
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Das Robert Koch-Institut hat Protokolle seines Corona-Krisenstabs entschwärzt. Die Dokumente belegen so manches Behörden-Chaos; für Verschwörungsglauben bieten sie kaum Grundlage.
Das Robert Koch-Institut in Berlin: Was steht in den Protokollen des Corona-Krisenstabs? (Archivbild)
Quelle: picture alliance/imageBROKER
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat am Donnerstag die Zusage von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) umgesetzt und die Protokolle seines Krisenstabs aus dem ersten Jahr der Corona-Pandemie weitgehend ungeschwärzt ins Netz gestellt.
Die neu öffentlich gewordenen Protokollstellen weisen auf keine neuen politischen Skandale hin, sondern verstärken das bislang bekannte Bild. Im RKI wurde von Anfang an kontrovers und wissenschaftlich fundiert über das neue Virus und Maßnahmen dagegen diskutiert.
Wer hat die Risikobewertung für Mitte März veranlasst?
Besonders im Fokus stand eine geschwärzte Stelle vom 16. März 2020, bei der es um die Veröffentlichung einer neuen Risikobewertung ging. Mutmaßungen, Politiker wie der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hätten diese wissenschaftliche Einschätzung des RKI gesteuert, verbreiteten sich schnell.
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Kurz darauf stellte das RKI klar, dass es sich bei der Person um einen RKI-Mitarbeiter handele. Nun belegt auch das entschwärzte Protokoll, dass dahinter der damalige RKI-Vizechef Lars Schaade stand:
RKI und Ministerium im Ausnahmezustand
Was die entschwärzten Stellen auch zeigen: wie herausfordernd und teilweise auch überfordernd die Lage insbesondere in den ersten Pandemiewochen für die zentralen Behörden bis hoch zum Bundesgesundheitsministerium (BMG) war.
Da reihen sich alarmierende Wasserstandsmeldungen über zuneige gehende medizinische Vorräte, überlastete Bürgertelefone und Probleme bei der Einführung neuer digitaler Meldesysteme aneinander.
"BMG möchte von RKI Empfehlungen zu Einsparungen von [Mund-Nasen-Schutz]: bei welchen Erkrankten und unter welchen Umständen ist dies möglich, Antwort ans BMG bis morgen ist erwünscht", heißt es etwa in einer entschwärzten Stelle vom 18. Februar. Oder am 2. März 2020 zur Lage im Hotspot Heinsberg:
Teils griff das Ministerium tatsächlich in die Arbeit des ihm unterstellten RKI ein, etwa am 3. Juni 2020: "Es war geplant, den Lagebericht am Wochenende auszusetzen, BMG [geschwärzt] hat allerdings Widerspruch eingelegt. Es könnte sein, dass befürchtet wird, dass die Bevölkerung dies als ein Signal der Entwarnung deutet."
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Was wusste das RKI über die Impfstoffwirkung?
Manche der entschwärzten Stellen zu Impfstoffen und anderen Themen taugen nur zum Skandal, wenn man sie missversteht. "Impfstoffwirkung ist noch nicht bekannt", heißt es etwa im Protokoll vom 8. Januar 2021 - dabei war der erste Impfstoff schon am 21. Dezember 2020 zugelassen worden.
Der vermeintliche Widerspruch erklärt sich, da es an dieser Protokollstelle nicht um die grundsätzliche Wirkung eines Impfstoffs geht, sondern ausschließlich um Geimpfte, die sich doch infizieren. Für diese Personengruppe lagen damals noch nicht ausreichend Daten aus den Zulassungsstudien vor.
Entsprechend schwer tat sich das RKI laut Protokoll damit, eine vom BMG geforderte Empfehlung zu Quarantäne-Regeln für diese Geimpften zu formulieren. "Wir müssen noch Erfahrungen mit Geimpften sammeln", heißt es wenige Zeilen weiter.
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RKI hatte immer wieder Probleme bei der Kommunikation
Was sich auch durch die entschwärzten Protokolle zieht, sind Probleme bei all den unterschiedlichen Publikationen, Ämtern und Behörden auf einheitliche Definitionen und Zahlen zu achten. Dass es mit Blick auf Kernzahlen und Handlungsempfehlungen teils Widersprüche gab zwischen dem, was in Papieren formuliert und von Politikern anschließend gesagt wurde, konnten auch die RKI-Mitarbeiter oft "nicht auflösen".
Als eine "Spiegel"-Recherche über diese Inkonsistenzen der RKI-Einschätzungen Anfang Mai 2020 berichtete, diskutierte der RKI-Krisenstab anschließend lange über die Folgen. "Grundsätzlich ist bekannt, dass wir besonders in einigen Bereichen nicht die Ressourcen haben, die wir benötigen", heißt es da.
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Wurden selbst banale Informationen vorenthalten?
Viele der zunächst geschwärzten Passagen enthielten Informationen zu Infektionsgeschehen in einzelnen Bundesländern, Landkreisen oder dem Ausland. Dabei werden auch konkrete Gruppen benannt, etwa Religionsgemeinschaften oder Altenheime. Mit dem Schutz dieser Personenkreise wurde die Schwärzung von den RKI-Anwälten gegenüber dem ursprünglich auf Freigabe klagenden "Multipolar Magazin" oft begründet.
Nun zeigt sich, dass diese Begründung nicht vorgeschoben war, um brisantere Informationen zu verbergen - an Hunderten Stellen verbergen sich hinter den Schwärzungen lediglich detaillierte Beschreibungen des Infektionsgeschehens, wie man es auch in der damaligen Presse nachlesen könnte. Das wirft jedoch die Frage auf, weshalb selbst solche öffentlich zugänglichen Informationen überhaupt geschwärzt werden mussten.
Diese Begründung klang spektakulär - die Schwärzung verbarg jedoch lediglich die Information, dass Frankreich in einer öffentlich einsehbaren Online-Karte "einzelne Regionen an der Atlantikküste anders klassifiziert".
Dass Behörden in solchen IFG-Verfahren Dokumente möglichst umfassend schwärzen, ist ein bekanntes Problem. Hier hat sich das RKI damit keinen Gefallen getan und Verschwörungsgeraune weiter befeuert.
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Welche Stellen bleiben weiterhin geschwärzt?
Auch weiterhin sind einzelne Stellen in den Protokollen geschwärzt. Aus dem Kontext ergibt sich jedoch, dass es sich dabei meist um Namen von internen und externen Mitarbeitenden unterhalb der Leitungsebene handelt.
Auch Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen wie Impfstoff-Herstellern bleiben verborgen. Die vollständigen Protokolle können Sie unter diesem Link finden.
Die veröffentlichten Dokumente umfassen weiterhin lediglich den Anfangszeitraum der Pandemie von Januar 2020 bis April 2021. Das RKI kündigte jedoch an, auch die restlichen Protokolle bis Juli 2023 nach einer Prüfung zugänglich zu machen. Auch das Kanzleramt wurde im Mai dazu verurteilt, Corona-Dokumente zugänglich zu machen, hier betrifft es den Expertenrat der Bundesregierung.
Wegweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin: Das Kanzleramt muss Protokolle des Corona-Expertenrats offenlegen. Darin geht es vor allem um die Wirksamkeit der Impfstoffe.