Lernen aus Corona: Wie können wir respektvoller diskutieren?
Interview
Besser über Politik diskutieren:"Ernst gemeinte Offenheit ist Schlüssel"
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Mit Beginn der Corona-Pandemie wurden zunehmend Polarisierungen in den Debatten spürbar. Wie das 2020 entstand und was sich ändern lässt, erklärt Journalist Korbinian Frenzel.
Fünf Jahre nach der Pandemie steht unsere Gesellschaft vor neuen Herausforderungen. Extreme Positionen dominieren den Diskurs, Zwischentöne fehlen – Polarisierung prägt unser Miteinander.25.03.2025 | 43:43 min
ZDFheute: Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft auf vielerlei Weise beeinflusst. Würden Sie sagen, dass sie Polarisierungen verstärkt hat?
Korbinian Frenzel: Die Gesellschaft hat sich in dieser Zeit definitiv auseinanderdividiert. Das zeigte sich besonders an den Begriffen "Team Freiheit" versus "Team Sicherheit". Diese Gruppen waren nicht neu, sondern bauten auf bestehender Polarisierung auf. Menschen, die dem Staat gegenüber skeptisch waren, fühlten sich bestätigt, während andere, die vor Querdenkern und Aluhüten warnten, ebenfalls ihre Sorgen bestätigt sahen.
Quelle: Andy Lehmann
… ist Radiojournalist und Experte für Debatten. Beim Deutschlandfunk Kultur hat er das Format "Studio 9 der Tag mit…". Als Co-Autor des Buches "Defekte Debatten" analysiert er gemeinsam mit Julia Reuschenbach kritisch die Schwächen unserer Debattenkultur.
Fünf Jahre nach dem Ausbruch von Corona in Deutschland haben viele Menschen noch „Puls“, wenn sie an die Zeit zurückdenken, viele beschäftigt die Folgen der Pandemie bis heute.12.03.2025 | 43:39 min
ZDFheute: Warum hat die Pandemie so viele Emotionen ausgelöst?
Frenzel: Die Zeit hat stark polarisiert und emotionalisiert, weil es um Leben und Tod ging - also um die Frage, welches Verhalten ich zeige und welche Auswirkungen es auf die Gesundheit anderer hat.
Normalerweise können wir in Debatten auch mal Dinge einfach stehen lassen, aber das konnten sich viele in dieser Zeit nicht leisten.
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Diejenigen, die es anders sahen, fühlten sich durch die starke Forderung "Sorge dich um meine Gesundheit" massiv unter Druck gesetzt.
Heute vor fünf Jahren wurde der erste Corona-Fall in Deutschland bestätigt. Die damaligen Maßnahmen werfen bis heute Fragen auf. Was haben wir aus der Pandemie gelernt?27.01.2025 | 1:33 min
ZDFheute: Es gab immer wieder Vorwürfe, dass es ein Meinungsdiktat gab. Wie sehen Sie das?
Frenzel: Es gab kein Meinungsdiktat und keine Corona-Diktatur. Aber es gab eine Tonlage, die vielen das Gefühl vermittelte, es gäbe eine "richtige" Sichtweise und eine Minderheiten-Sichtweise, die oft nicht akzeptiert wurde.
Es war nachvollziehbar, dass Menschen, die eine andere Meinung hatten, sich nicht anerkannt fühlten. Das Missverständnis war, dass es nicht darum ging, Zustimmung zu bekommen, sondern das Recht, eine andere Meinung zu äußern. Das war in der Corona-Zeit oft ein Defizit.
Der “Querdenken”-Initiator Michael Ballweg steht wegen versuchten Betrugs in 9450 Fällen vor Gericht. Bis Ende April nächsten Jahres sind zunächst über 30 Verhandlungstage vor der Wirtschaftsstrafkammer angesetzt.02.10.2024 | 1:45 min
ZDFheute: Inwiefern ist es wichtig, auch andere Perspektiven und Meinungen zu hören?
Frenzel: Als Gesellschaft brauchen wir eine Verständigung auf ein gemeinsames "Wir".
Es ist das Salz der Demokratie, dass wir uns mit den Positionen und Perspektiven anderer auseinandersetzen.
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Wir müssen in den diskursiven Streit gehen, prüfen, was valide ist, uns vielleicht überzeugen lassen oder den anderen mit besseren Argumenten überzeugen. Das ist die Grundvoraussetzung für unser gesellschaftliches Zusammenleben.
Während der Corona-Pandemie gingen über 70 Milliarden Euro in zahlreichen Hilfsprogrammen an Unternehmen in Not – aber auch an Betrüger, die die schnelle Hilfe eiskalt ausnutzten.11.03.2025 | 15:03 min
ZDFheute: Welche Rolle spielen extremere Standpunkte in aktuellen gesellschaftlichen Debatten?
Frenzel: Wir erschweren Debatten, indem wir oft mit Maximalforderungen herangehen. In der Ukraine-Debatte zum Beispiel werden diejenigen, die für Waffenlieferungen sind, schnell als Kriegstreiber bezeichnet, während diejenigen, die eine pazifistischere Haltung einnehmen, als Putin-Knechte abgestempelt werden. Das führt dazu, dass sich viele, die unsicher sind, eher zurückhalten.
Die lautesten Stimmen, meist an den Rändern, werden am stärksten wahrgenommen, was den Eindruck einer polarisierten Debatte verstärkt. In Wahrheit gibt es viele Positionen in der Mitte.
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Korbinian Frenzel
Fünf Jahre ist der erste Corona-Lockdown mittlerweile her. Waren alle Entscheidungen damals richtig? Die Aufarbeitung der Pandemie ist noch längst nicht abgeschlossen.28.12.2024 | 11:33 min
Fünf Jahre nach der bisher verheerendsten Pandemie des 21. Jahrhunderts geht ein ZDF-Themenschwerpunkt der Frage nach, was aus der Corona-Pandemie für Lehren gezogen wurden und werden. In der Zeit vom 8. bis zum 21. März 2025 beschäftigen sich sowohl aktuelle Magazinsendungen als auch Doku-Formate mit dem Thema.
Wir bündeln alle Inhalte auf unserer Themenseite zum Coronavirus.
ZDFheute: Wie kommen wir wieder ins konstruktive Debattieren?
Frenzel: Was mich positiv stimmt, ist, dass viele Menschen unglücklich darüber sind, auch Journalisten und Politiker. Die Lösung ist einfach: Wir müssen einander besser zuhören, auf die Argumente der anderen eingehen, uns in Diskussionen überzeugen lassen und nicht nur die Menschen, sondern ihre Argumente kritisieren.
Eine ernst gemeinte Offenheit ist der Schlüssel zu einer besseren Debattenkultur.
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Korbinian Frenzel
Das Interview führte Rabea Rahmig.
Das Interview mit Korbinian Frenzel fand im Rahmen der Doku "Was darf man noch sagen? Wut und Wahrheit nach Corona" statt. Die Doku ist jederzeit in Web und App des ZDF verfügbar und am 25. März um 20:15 Uhr im ZDF zu sehen.