Politologe über BSW: Wagenknecht "bestimmt im Grunde alles"
Interview
Politologe Höhne über das BSW:Wagenknecht "bestimmt im Grunde alles"
|
Bei den Koalitionsgesprächen in Thüringen fordert das BSW eine Einigung bei der umstrittenen Friedensfrage. Beide Seiten gehen ins Risiko, sagt Politologe Höhne im Interview.
Sieben Wochen nach der Landtagswahl in Thüringen sind die Chancen gestiegen, dass es zu Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, BSW und SPD kommt. Thüringens SPD gabe am Samstag wie zuvor die CDU den Weg für eine mögliche Brombeer-Koalition frei.21.10.2024 | 2:29 min
ZDFheute: In Thüringen will das BSW jetzt beim Thema Frieden nachverhandeln, offenbar auf Geheiß Wagenknechts. Was ist da los?
Benjamin Höhne: Es ist eine schwierige Gemengelage, die wir da zurzeit beobachten können. Vordergründig besteht ein Konflikt bei der außen- und sicherheitspolitischen Verortung, der möglichen Brombeer-Koalition, bei dem CDU und BSW irgendwie zusammenkommen müssen.
Für die CDU sind die transatlantische Bindung, die Unterstützung der Ukraine, die feste Mitgliedschaft in der Nato ganz wichtige Anliegen. Bei Frau Wagenknecht und ihrem BSW sehen wir, dass man doch eher russlandfreundlichere Töne anschlägt. Eigentlich passen beide Positionen nicht zusammen. Deshalb wird es am Ende, damit diese Koalitionskonstellation funktionieren kann, wahrscheinlich einen Formelkompromiss geben, der diesen Konflikt übertüncht.
In Thüringen sind die Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD beendet. Die CDU will Koalitionsverhandlungen aufnehmen, BSW verlangt Nachverhandlungen, SPD will sich beraten.19.10.2024 | 0:21 min
ZDFheute: Warum ist es für Wagenknecht so unabdingbar, dass das Friedensthema im Koalitionsvertrag der drei Ostländer steht?
Höhne: Naja, sie ist damit bei den jüngsten Landtagswahlen, auch im Kommunalwahlkampf und im Europawahlkampf angetreten. Sie gab ein großes Versprechen, dass sie für Frieden eintreten möchte, für Verhandlungen mit dem Kriegstreiber Putin, ohne aber richtig zu sagen, wie diese denn realisiert werden sollen. So hat sie eine Erwartungshaltung in der eigenen Wählerschaft geschürt, die sie am Ende kaum befriedigen kann. In diese nun nicht ganz einfache Situation hat sie sich sehenden Auges selbst hineingebracht.
In Sachsen haben die ersten Sondierungsgespräche zwischen CDU, SPD und dem BSW begonnen. Grundlage ist ein in Vorgesprächen entstandenes, gemeinsames Papier der Parteien.22.10.2024 | 0:16 min
ZDFheute: Warum reicht der Arm von Frau Wagenknecht bis nach Erfurt und Dresden?
Höhne: Entscheidungsautonomie auf der Landesebene, wie wir sie von den etablierten Parteien kennen, scheint nur bedingt möglich. Dies ist eine besondere Situation, die im Grunde auch nur schwer mit unserem Grundgesetz und seinem Gebot der innerparteilichen Demokratie vereinbar ist.
In Thüringen haben CDU und SPD mit dem BSW Sondierungsgespräche geführt. Doch politische Grabenkämpfe und Wagenknechts Forderungen in punkto Friedenspolitik machen es schwierig.20.10.2024 | 4:06 min
ZDFheute: Ist absehbar, dass sich eine BSW-Landtagsfraktion von Wagenknecht emanzipiert?
Höhne: Wenn ich die Situation in Sachsen und Thüringen vergleiche, scheint mir der Drang zu mehr Selbstständigkeit in Thüringen etwas ausgeprägter als in Sachsen. Formal wären alle Voraussetzungen für eine Emanzipation gegeben. Die BSW-Abgeordneten entscheiden sich am Ende eines Regierungsbildungsprozesses im Landtag für oder gegen eine Koalition mit der CDU und SPD. Dabei sind sie nicht an Vorgaben von außen gebunden, auch nicht aus Berlin.
Diese formale Kompetenz steht aber in einem Spannungsverhältnis zur Realität von Parteien als Mehrebenenorganisationen. Faktisch kommt es darauf an, wie eng die Bande zwischen Wagenknecht und den Akteurinnen auf der Landesebene sind.
Bei den Sondierungsverhandlungen in Thüringen sind sich CDU, BSW und SPD politisch nähergekommen. Doch ein Streitthema bleibt: der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. 18.10.2024 | 2:33 min
ZDFheute: Wie sicher kann sich Mario Voigt eigentlich sein, dass er Ministerpräsident wird?
Höhne: Mario Voigt muss mit einer gehörigen Portion Unsicherheit leben, wenn es zu einem Bündnis mit dem BSW kommt, weil Erfahrungen fehlen und politische Verlässlichkeit bei dieser neuen Parteiformation kaum gegeben ist. Das Risiko besteht, dass es zu Unzufriedenheit unter den WählerInnen des BSW kommt und das BSW in der Sonntagsfrage abrutscht, weil zentrale BSW-Versprechen nicht eingelöst wurden. Schließlich will Frau Wagenknecht vor allem bei der bevorstehenden Bundestagswahl auftrumpfen.
Nach diesem Worst-Case-Szenario könnte von heute auf morgen ein Hebel in der Führungsriege umgelegt werden, und man stiege aus einer Koalition mit der CDU und der SPD in Thüringen aus. Diese Gefahr ist da und bedeutet für Mario Voigt, auch wenn er als Ministerpräsident gewählt wurde, eine kontinuierliche Unwägbarkeit.
Thüringens CDU-Chef Mario Voigt sagt, es gebe einen "sehr vernünftigen Umgang zwischen SPD, BSW und auch der CDU". Anderslautende Aussagen seien "ein bisschen Getöse aus Berlin".20.10.2024 | 4:18 min
ZDFheute: Die SPD verhandelt als kleinster Partner ja auch mit, von dort hört man aber wenig?
Höhne: In der öffentlichen Debatte geht es aktuell vor allem um die Positionierung der CDU. Aber wird die SPD dieses Experiment ebenfalls mitgehen? Aus den Reihen der SPD gibt es Überläufer zum BSW, die eine Zusammenarbeit nicht unbedingt einfach machen müssen.
Das Interview führte ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Christiane Hübscher.
Quelle: ZDF
Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.