Bundeswehr-Personal: Wie Scholz den Ernst der Lage verkennt
Analyse
Eine "überschaubare Aufgabe"?:Scholz redet Bundeswehr-Personalproblem klein
von Nils Metzger
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Bundeskanzler Scholz sieht in der Wehrpflicht-Debatte und bei den Personalproblemen der Bundeswehr "überschaubare Aufgaben". Damit verkennt er den Ernst der Lage. Ein Überblick.
Die Bundeswehr will bis 2031 die Zahl der Soldatinnen und Soldaten deutlich aufstocken - wie groß ist die Aufgabe? (Archivbild)
Quelle: dpa
Kommt die Wehrpflicht zurück, oder findet die Bundeswehr andere Wege, ihre Personalprobleme zu lösen? Soldatenvertreter und Militärexperten warnen seit Langem, dass die prekäre Personallage die Bemühungen bei der sicherheitspolitischen "Zeitenwende" bedroht. Gegenwärtig prüft das Verteidigungsministerium verschiedene Wehrpflicht-Modelle und will Ende Mai Lösungen präsentieren.
Große Aufgaben, bei der es um Deutschlands Sicherheit geht. Bei einer Pressekonferenz in Schweden am Dienstag schien Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Ausmaß jedoch herunterspielen zu wollen:
Eine Wehrpflichtigen-Armee, wie Deutschland sie über Jahrzehnte hatte, "würde nicht mehr funktionieren", so Scholz. Damals habe es etwa viel mehr Kasernen und Infrastruktur gegeben. "All das wird heute weder benötigt noch ist das der Plan, den irgendjemand verfolgt."
Schwedens Armee mit rund 24.000 aktiven Soldaten und Soldatinnen ist durch den Nato-Beitritt Teil des Verteidigungsbündnisses - ein Modell für Deutschland?19.03.2024 | 2:10 min
Scholz-Grätsche gegen seinen Parteifreund Pistorius
Im Verteidigungsministerium wird man damit nicht glücklich gewesen sein, dass der Kanzler das laufende Verfahren von der Seitenlinie kommentiert und seinem Parteifreund, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), den Wind aus den Segeln nimmt.
Zumal die Bundeswehr in der Vergangenheit mehr für kaum lösbare denn "überschaubare" Aufgaben bekannt war. Mit dem Lösen von "überschaubaren" Aufgaben qualifiziert man sich wohl auch nicht automatisch für höhere Ämter, könnte man Scholz' Grätsche gegen den in der Bevölkerung beliebteren Pistorius deuten.
In der Bundeswehr selbst wurde die Aussage des Kanzlers mit Kopfschütteln aufgenommen. Dort weiß man genau um die prekäre Lage bei der Personalplanung, ganz zu schweigen von der maroden und teils nur lückenhaft vorhandenen militärischen Infrastruktur. "Sicherheit einfach Nebensache beim Kanzler", beklagt sich ein Offizier auf der Plattform X.
Die Bundeswehr habe in vielen Bereichen wie Personal, Finanzen und Material mit "enormen Problemen" zu kämpfen, so André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes.08.04.2024 | 3:29 min
Wie angespannt ist die Personallage bei der Bundeswehr?
Offiziell hat die Bundeswehr das Ziel ausgegeben, bis 2031 von derzeit rund 182.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten anzuwachsen. Eine Differenz von kaum 20.000 scheint in der Tat überschaubar, jedoch benötigt die Bundeswehr jedes Jahr rund 25.000 Einstellungen, um auch ihre Abgänge zu kompensieren. Rund 43.000 Bewerbungen auf soldatische Laufbahnen erhielt die Bundeswehr 2023, 18.800 wurden tatsächlich eingestellt, also weniger als für den Aufwuchs nötig.
Die hohe Fluktuation liegt auch an der hohen Zahl der sogenannten "Soldaten auf Zeit" (SaZ), die sich für eine begrenzte Zahl an Jahren verpflichten. Ihnen gegenüber steht die kleinere Zahl der Berufssoldaten, die deutlich länger in der Bundeswehr verbleiben.
Aktive Soldaten in Deutschland
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"Ausgehend von aktuell rund 57.300 Berufssoldatinnen und -Soldaten werden bis zum Jahr 2030 erwartbar rund 15.100 Berufssoldatinnen und -Soldaten aus dem Dienst der Bundeswehr ausscheiden", teilt das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) ZDFheute mit.
Hinzu kommen die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr, derzeit rund 81.000. Dort erwartet das BMVg bis 2030 rund 12.500 Abgänge.
Es soll mehr in die Bundeswehr investiert werden, auch auf Kosten anderer Bereiche. Aber: die Schuldenbreme soll bleiben. Das zeigt das aktuelle ZDF-Politbarometer. 17.05.2024 | 1:32 min
Was sagen Experten zum Bundeswehr-Personalproblem?
Einer der besten Kenner der Bundeswehr-Personalgewinnung ist Martin Elbe, Professor und Projektleiter für Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Im vergangenen Jahr hat er eine umfangreiche Studie zu Bundeswehr-Bewerbern veröffentlicht. Im Interview mit ZDFheute sagt Elbe:
Immer mehr Schulen laden Soldaten ein, um als Experten über Sicherheitspolitik zu sprechen. Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht dies kritisch. 22.04.2024 | 2:05 min
"Seit 2020 haben wir ein Absinken des Personalstandes, wollen stattdessen aber eigentlich aufbauen", sagt Elbe. Um den Trend umzukehren und die 203.000 Soldaten zu erreichen, "müssen wir deutlich was machen".
Die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) berichtete in dieser Woche über drei Wehrpflicht-Modelle, die aktuell im Fokus der Überlegungen des Ministeriums stünden:
Auswahlpflicht: Alle Männer eines Jahrgangs könnten bei Erreichen der Volljährigkeit verpflichtet werden, einen Fragebogen zu Eignung und Motivation ausfüllen. Je nach Bedarf würden geeignete Kandidaten für eine Musterung herangezogen. Minister Pistorius hatte sich positiv über dieses etwa in Schweden praktizierte Modell geäußert.
Freiwilligen Wehrdienst ausbauen: Schon jetzt können interessierte Männer und Frauen einen freiwilligen Wehrdienst ableisten. Doch die Nachfrage reicht bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Ob attraktivere Angebote oder mehr Werbung das ändern können, bezweifelt laut "NZZ" intern auch das Ministerium.
Allgemeine Dienstpflicht: Männer wie Frauen müssten für eine begrenzte Zeit in der Bundeswehr dienen, oder alternativ Zivildienst leisten. Hierfür wären großer administrativer Aufwand und eine Grundgesetzänderung nötig. Wirtschaftsverbände haben Kritik geäußert, dass so eine Dienstpflicht ihren Fachkräftemangel verschärfen würde.
Experte für Debatte über Abschaffung des "Soldaten auf Zeit"
Der Bundeswehr-Soziologe Elbe bringt einen weiteren Vorschlag ins Spiel: die Abschaffung des "Soldaten auf Zeit".
"Die Frage ist, ob das noch sinnvoll ist, oder nicht ein Zopf, über dessen Abschneiden wir langsam mal nachdenken sollten. Das führt zu einem ständigen hohen Personalumschlag und einem erheblichen Bedarf an Neurekrutierung", sagt Elbe.
Schon jetzt setze die Bundeswehr bereits Maßnahmen zur flexibleren Einstellung um. Aber: "Die Dauer und Transparenz des Bewerbungsprozesses sind immer wieder ein Problem. Wenn es zu lange dauert, dann brechen Bewerber den Prozess von sich aus ab", sagt Elbe. Das sei aber kein Bundeswehr-spezifisches Problem.
Boris Pistorius gilt momentan als einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Aber welcher Mensch steckt eigentlich hinter dem Politiker und Verteidigungsminister?23.04.2024 | 43:55 min
Soldaten sollen länger bei der Truppe bleiben
Was bereits gelingt, ist vorhandene Soldaten länger an die Bundeswehr zu binden, was man auch an einem steigenden Durchschnittsalter sieht. In den vergangenen Jahren stieg es von 29,7 auf aktuell 33,8 Jahre an, teilt das BMVg mit. In den Einsatzverbänden, die tatsächlich in mögliche Kriegseinsätze geschickt würden, liege das Durchschnittsalter jedoch deutlich niedriger.
Neben Material und Finanzierung ist das Personal also eine weitere große Herausforderung für Deutschland Kriegstüchtigkeit. Was Kanzler Scholz für eine "überschaubare Aufgabe" hält, darüber zerbrechen sich die Experten in der Bundeswehr nun weiter die Köpfe.
Der Frauenanteil in der Bundeswehr liegt bei etwa 13 Prozent. Aus Sicht der Wehrbeauftragten ist das viel zu wenig. "Die Bundeswehr verfehlt damit ihre Ziele", kritisiert Eva Högl.