Bundeswehr: Wie die Bürokratie Freiwillige verprellt

Ausbildung von Ungedienten:Wie die Bundeswehr Freiwillige verprellt

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von Nils Metzger
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Die Bundeswehr wirbt um Fachkräfte ohne Militär-Erfahrung für die Reserve. Doch wer sich meldet, steht vor einem Bürokratie-Chaos, wird oft endlos hingehalten oder abgewiesen.

Rekruten des Logistikbataillons 171 üben auf dem Standortübungsplatz Burg den Zeltbau.
Bundeswehr-Rekruten bei der Ausbildung: Wer sich aber ohne militärische Vorerfahrung in der Reserve bewirbt, scheitert oft schon an der Bürokratie. Der Heimatschutz sorgt für Frust. (Symbolbild)
Quelle: dpa

Hannes B. möchte seinem Land dienen; besonders in der jetzigen Zeit. Der 30-jährige Projektleiter aus Aachen ist einer von Tausenden Bürgern ohne militärische Vorerfahrung, die sich für einen Dienst in der Reserve interessieren. Sie wollen als Quereinsteiger, sogenannte Ungediente, parallel zu Job oder Familie in der Bundeswehr Aufgaben übernehmen.

Monatelang keine neuen Informationen

"2021 habe ich bei der Flutkatastrophe in Stolberg geholfen, danach der Krieg in der Ukraine. Deshalb habe ich mich im Juli 2024 als Ungedienter bei der Bundeswehr beworben", berichtet B. "Ich will im Heimatschutz helfen." Um solche hochmotivierte Bürger hat die Bundeswehr im Netz und auf Veranstaltungen immer wieder geworben.
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"Ich habe viele Seiten Fragebögen ausgefüllt und eingeschickt - mit der Hoffnung, schnell starten zu können. Dann ist monatelang gar nichts passiert." Im Februar 2025 meldete sich das Landeskommando per E-Mail: "Derzeit können wir (…) leider keine konkreten Aussagen dazu machen, wie es mit der Ausbildung Ungedienter in Zukunft weitergehen wird." Ein Ausbildungsstart für B. sei wegen Umstrukturierungen frühestens 2026 möglich. "Und sie haben gefragt, ob ich dann überhaupt noch Interesse habe." B. ist fassungslos.

Kein privates Unternehmen könnte es sich leisten, Bewerber so hinzuhalten.

Hannes B.

Er habe keine Information, wann und wie es jetzt mit seiner Bewerbung weitergehe, sagt B. "Ich bereite mich weiter vor, mache viel Krafttraining. Aber ich habe auch schon daran gedacht, das an den Nagel zu hängen."
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Geeignete Fachkräfte werden abgelehnt

ZDF frontal konnte mit einer Reihe an Bewerbern sprechen, die ähnliche Erfahrungen wie Hannes B. gemacht haben. "Die Ausbildung für Ungediente findet derzeit leider nicht statt", heißt es pauschal in Antwortschreiben, die die Bundeswehr im Februar an Interessenten aus mehreren Bundesländern verschickte.
Ein Infrastrukturberater aus München berichtet, wie er gar über Jahre vertröstet wurde. Er möchte anonym bleiben. Im Dezember 2022 bewarb er sich für eine Ausbildung als Reserveoffizier, durchlief erfolgreich Assessment Center und eine über ein Jahr dauernde Sicherheitsüberprüfung. Die Bundeswehr bescheinigte ihm schriftlich eine Eignung. Trotzdem kam Monate später die Absage: "Bedauerlicherweise konnte eine zustimmende Entscheidung nicht getroffen werden", heißt es lapidar. Es habe mehr Bewerber als Übernahmemöglichkeiten gegeben. "Dabei kommt es vor, dass im Eignungsverfahren auch grundsätzlich geeignete Bewerber/-innen abgelehnt werden müssen."
Aufgeben wollte der Bewerber trotzdem nicht. Über Kontakte in der Truppe erfährt er vom Ausbildungsprogramm für Ungediente, bewirbt sich auch dort. "Ob ich 2026 wirklich anfangen kann, weiß ich nicht. Ich verlasse mich da auf mündliche Zusagen." Was ihn ärgert, ist der Eindruck, dass die Personalverwaltung der Bundeswehr kaum Interesse an seinen Fähigkeiten gezeigt habe: "Ich bin Infrastrukturberater von Beruf. Genau das würde ich gerne bei der Bundeswehr einbringen. Bei der Bewerbung wurde dann aber gar nicht danach gefragt, das war sehr oberflächlich."

Mit der Ausbildung im Heimatschutz bin ich dann für Objektschutz vorgesehen, um im Ernstfall Zufahrten zu bewachen - das ist eigentlich nicht das, was ich machen möchte oder meine Fähigkeiten aufgreift.

Bewerber

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Wie geht es weiter mit der Ungedienten-Ausbildung?

Sind das Einzelfälle? Die Bundesgeschäftsstelle des Reservistenverbands teilt ZDF frontal mit: "Wir können bestätigen, dass die Ausbildung Ungedienter pausiert wurde. Auch haben wir von Gerüchten gehört, dass die Zukunft der Ausbildung Ungedienter noch nicht feststeht. Wir wären über ein Ende dieses Erfolgsmodells natürlich enttäuscht", so ein Verbandssprecher in Berlin.
Hintergrund sind laufende Umstrukturierungen der gesamten Reserve; Mitte März soll eine neue Heimatschutzdivision aufgestellt werden. Die Ausbildung Ungedienter wird dem Heer zugeordnet, nicht mehr den Landeskommandos. Aus Bundeswehr-Kreisen erfährt ZDF frontal, dass es im Heer Unmut über die zusätzliche Aufgabe gebe, Ungediente ausbilden zu müssen. Für den zuletzt 20-tägigen Crashkurs müssen Ausbilder und Kapazitäten abgestellt werden.
Das Verteidigungsministerium hingegen weist die Vorwürfe zurück und stellt gegenüber ZDF frontal klar: Das Ungedienten-Projekt gehe weiter.

Auch im Jahr 2025 werden Module zur Ausbildung Ungedienter angeboten. Eine Einstellung dieser Ausbildung hat weder stattgefunden noch ist diese vorgesehen.

Bundesverteidigungsministerium

Reservistenverband sieht viel mehr Bedarf

Durch den Übergang der Verantwortung auf das Heer habe es "Abstimmung" bedurft, "die vorübergehend Zeit in Anspruch nimmt", so eine Ministeriumssprecherin. "Für das Jahr 2025 werden derzeit rund 500 Plätze angeboten."
Joachim Fallert ist als Landesvorsitzender des Reservistenverbands Baden-Württemberg direkt eingebunden in die Ausbildung von Ungedienten. "500 Ausbildungsplätze halte ich für viel zu gering. Das Potenzial ist viel größer und bei besserer Werbung und einem transparenten Bewerbungs- und Aufnahmeprozess würden wir eher 5.000 Plätze benötigen", sagt Fallert ZDF frontal.
Seine Wahrnehmung sei, dass sich auf offizieller Seite niemand wirklich für diese Ausbildung zuständig fühle. "Belegt wird das durch die Tatsache, dass es für 2026 noch keinerlei Ausbildungsplanung gibt", so Fallert.
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Zu viel Bürokratie im Bewerbungsprozess

Die von Bewerbern geäußerte Frustration erklärt das Ministerium auch mit unrealistischen Erwartungen der Bürger: Tauglichkeits- und Sicherheitsüberprüfung würden "möglicherweise subjektiv vielfach als zu bürokratisch gesehen und in Frage gestellt", schreibt das Ministerium. "Diese sind aber zur Zeit unabdingbare Voraussetzung für die Ausbildung (…)." Man sei dabei, Prozesse zu optimieren und schneller zu gestalten.
Fallert sieht erhebliches Optimierungspotenzial bei der Bundeswehr-Rekrutierung: "Da könnten an vielen Stellen durch Digitalisierung und Entbürokratisierung Freiräume geschaffen werden." Dass eine Sicherheitsüberprüfung so viele Monate dauere, habe nicht mit unabdingbaren Erfordernissen zu tun, sondern mit Personalmangel im zuständigen Bundesamt, so Fallert.
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Bei Bewerbern stößt die Erklärung des Ministeriums auf Unverständnis: Warum werbe die Bundeswehr öffentlich für Engagement, könne Interessenten dann aber oft gar nichts bieten? Ein Bewerber sagt ZDF frontal: "Die ganze Werbung für neue Reservisten ist herausgeworfenes Geld, wenn man vorher nicht die Kapazitäten aufbaut, um diese Interessenten auch aufnehmen zu können. Vor einigen Jahren mag das nicht so drängend gewesen sein, aber mit der aktuellen Bedrohungslage ist sowas gefährlich."
Bundeswehr-Werbung auf dem Fern-Bahnsteig
Bundeswehr-Werbung für den Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz.
Quelle: Imago

Ministerium: "Kapazitäten werden nicht ausgeschöpft"

Das Verteidigungsministerium betont, dass die Ausbildungsplätze für Ungediente "bisher in keinem Jahr voll ausgeschöpft" wurden. "Die Anzahl der Interessierten war und ist immer hoch, jedoch schrumpfte diese Zahl der Bewerbenden und letztlich Geeigneten stets so weit, dass die bereitgestellten Ausbildungskapazitäten nicht ausgeschöpft werden konnten", so das Ministerium.
Für sein Bundesland zeichnet Fallert ein anderes Bild:

Für Baden-Württemberg wurden die vorhandenen Ausbildungsplätze in jedem Jahr voll ausgeschöpft. Das ging jedoch nur, weil wir ab 2019 keinerlei Werbung mehr für diese Ausbildung gemacht haben. Hätten wir Werbung gemacht, hätten uns die Leute überrannt.

Joachim Fallert, Oberst der Reserve

Und die Rechtfertigung des Ministeriums wirft eine grundsätzlichere Frage auf: Warum hält eine Bundeswehr, die kriegstüchtig werden möchte, trotz Personalsorgen an so hohen Anforderungen fest?
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Reserve braucht dringend mehr Personal

Die Bundeswehr-Reserve ist auf neues Personal dingend angewiesen, um im Konfliktfall schnell Kräfte mobilisieren zu können. Auch in Friedenszeiten leisten beorderte Reservisten Dienst in der Truppe. Ihre Zahl soll von 44.000 auf etwa 60.000 steigen. Die anfänglich 6.000 Dienstposten der neuen Heimatschutzdivision sollen mittelfristig auf ein Vielfaches davon anwachsen. Und 25.000 Einstellungen pro Jahr braucht die Bundeswehr bereits, um die normalen Abgänge zu kompensieren. Motivierte Freiwillige, selbst ohne militärische Erfahrung, sind da eigentlich ein Geschenk.
Hinter vorgehaltener Hand äußern im Verteidigungsministerium manche die Hoffnung, dass sich die Personalprobleme und Verzögerungen bei der Ungedienten-Ausbildung durch eine möglicherweise bevorstehende Wehrpflicht eh in Luft auflösen.
Der Reservistenverband fordert dennoch, dass das "Erfolgsmodell Ausbildung Ungedienter" nach der aktuellen Umstrukturierung ausgebaut und weiter professionalisiert wird. Die Bundeswehr müsse schneller und unbürokratischer werden.

Wir als Reservistenverband sehen es natürlich kritisch, dass Interessierte Ungediente nun so lange vertröstet werden, denn wir brauchen schnellstmöglich mehr Reservistinnen und Reservisten, die sich im Heimatschutz engagieren, um die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen.

Reservistenverband

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