FAQ
Grundgesetzänderung beschlossen:Bundestag: Schutzschirm fürs Verfassungsgericht
von Samuel Kirsch und Daniel Heymann
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Eine Neuregelung soll das Bundesverfassungsgericht besser gegen politische Vereinnahmung schützen. Das Gesetz stärkt die Resilienz des Gerichts - macht es aber nicht immun.
Es ist eines der wenigen Vorhaben, für das sich nach dem Bruch der Ampel noch eine Mehrheit organisieren ließ: das Bundesverfassungsgericht besser gegen mögliche politische Vereinnahmung zu schützen. Am Mittag hat der Bundestag die dafür erforderliche Grundgesetzänderung mit Stimmen von SPD, Union, Grünen, FDP und Linken beschlossen.
Zustimmung bei fast allen Parteien
Ex-Justizminister Marco Buschmann (FDP) erinnerte in der Bundestagsdebatte am Morgen an das Beispiel Polen, an dem sich zeige, wie schnell Verfassungsgerichte Vereinnahmungsversuchen durch Regierungsparteien ausgesetzt sein können. Er sagte:
Auch die demokratisch legitimierte Macht muss durch das Recht gemäßigt werden, denn sonst droht eine Tyrannei der Mehrheit.
Marco Buschmann, Ex-Justizminister
Deswegen hätten die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein starkes Bundesverfassungsgericht vorgesehen, so Buschmann.
Die Fraktionen, die hinter dem Beschluss stehen, begründen ihre Initiative auch damit, dass das seit 1951 bestehende Karlsruher Gericht im Laufe der Jahrzehnte erfolgreich und unabhängig gearbeitet habe. Es gehe darum, "die Dinge im Grundgesetz zu verankern, die dafür gedacht sind, dass sie sich auch in Zukunft nicht mehr ändern werden", so Andrea Lindholz (CSU).
Nur AfD und BSW stimmten gegen das Gesetz, sie halten einen erhöhten Schutz für unnötig, wittern teilweise gar Manipulation:
Sie wollen das Bundesverfassungsgericht einnorden, [...] sie wollen ihren undemokratischen Durchgriff auf das Personal des Bundesverfassungsgerichts in die Gesetze reinschreiben.
Stephan Brandner, AfD
Verankerung im Grundgesetz erhöht Schutz
Bislang sind Status, Struktur und Besetzung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen nicht im Grundgesetz, sondern in einem einfachen Gesetz geregelt. Das hat zur Folge, dass diese Regeln bislang auch mit einem einfachen Beschluss des Bundestags geändert werden können.
Indem sie nun ins Grundgesetz kommen, wird für künftige Änderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat erforderlich. Grundlegende Eingriffe, die an die Substanz des Bundesverfassungsgerichts gehen, werden damit erheblich erschwert.
Viele Einzelregelungen: Anzahl und Besetzung der Senate, Altersgrenze, Selbstorganisation
Im Grundgesetz verankert werden soll nach dem beschlossenen Gesetzentwurf der Aufbau des Bundesverfassungsgerichts aus zwei Senaten und die Anzahl von sechzehn Richterinnen und Richtern, um zu verhindern, dass zusätzliche - womöglich linientreu besetzte - Senate geschaffen werden.
Auch die Altersgrenze für die Verfassungsrichter (68 Jahre) soll künftig in der Verfassung selbst stehen. Diese Maßnahme geht auf Erfahrungen in Polen zurück. Dort hatte die bis 2023 von der rechtspopulistischen PiS-Partei geführte Regierung die Altersgrenze für Richterinnen und Richter herabgesetzt. So wurden zahlreiche Richterstellen frei und konnten nachbesetzt werden.
Ins Grundgesetz aufgenommen wird außerdem die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts, also das Recht, die Arbeitsabläufe selbstständig zu organisieren. Das soll beispielsweise verhindern, dass eine Regierungsmehrheit dem Gericht vorschreiben kann, Fälle strikt in der Reihenfolge des Eingangs zu bearbeiten, was die Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigen würde.
Modus für Blockade bei Richterwahl
Ein anderes Problem-Szenario geht die Neuregelung an: eine mögliche Blockade bei der Nachbesetzung von Richterstellen. Dazu kann es kommen, wenn eine Partei in Bundestag oder Bundesrat, die jeweils acht der sechzehn Richter wählen, über ein Drittel der Stimmen verfügt. Deswegen ist nun vorgesehen, dass in einer solchen Blockadesituation das jeweils andere Organ, also Bundestag oder Bundesrat, nach drei Monaten einspringen kann, um die Wahl durchzuführen. Nicht gelöst ist damit der Fall, in dem sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Blockade besteht.
Deswegen haben die Fraktionen in ihrer Regelung davon abgesehen, das Zwei-Drittel-Quorum für die Richterwahl selbst ins Grundgesetz aufzunehmen. Damit bleibt es möglich, mit einfacher Bundestagsmehrheit die Hürde für die Richterwahl herabzusetzen - ein zweischneidiges Schwert, denn das Zwei-Drittel-Erfordernis sorgt dafür, dass Verfassungsrichter parteiübergreifend akzeptiert werden. Andererseits könnte bei einer Doppelblockade sowohl in Bundestag als auch in Bundesrat das Senken der Zwei-Drittel-Hürde der einzige Weg sein, eine Blockade aufzulösen.
Dies zeigt: Die Änderungen, denen nun noch der Bundesrat zustimmen muss, stabilisieren das Verfassungsgericht zwar in seiner bestehenden Form. Absoluten Schutz für alle möglichen Szenarien können sie allerdings nicht bringen.
Samuel Kirsch und Daniel Heymann sind Redakteure in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
Quelle: dpa
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