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Neuer Bundestag tritt zusammen:Warum Gysi als Alterspräsident umstritten ist
von Stefanie Reulmann
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Seit über 30 Jahren sitzt er im Deutschen Bundestag: Morgen darf Gregor Gysi als Alterspräsident die konstituierende Sitzung leiten. Das findet nicht nur Zustimmung.
Probesitzen im Bundestag: Gregor Gysi eröffnet morgen die 21. Legislaturperiode.
Quelle: dpa
Eigentlich könnte Gregor Gysi mit seinen 77 Jahren schon im wohlverdienten Ruhestand sein. Doch die Linke befand sich in einer schweren Krise, der Wiedereinzug in den Bundestag war in Gefahr. Da ließ sich Polit-Junkie Gysi nicht lange bitten und stieg erneut in den Ring.
Mehr als 30 Jahre im Bundestag
Dank einer mitreißenden Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek und der "Silberlocken"-Kampagne von Gysi, Ramelow und Bartsch erreicht die Linke ein Wahlergebnis von 8,8 Prozent. Gysi gewann sein Direktmandat im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick deutlich mit 41,8 Prozent der Stimmen. Nun sitzt er wieder im Bundestag, mittlerweile seit über 30 Jahren.
Die Debatten im Parlament hat er mit geprägt. Er redet mit ausgefeilter Rhetorik, ist schlagfertig und amüsant - aber auch ein Selbstdarsteller, der rechthaberisch und hart sein kann. Trotzdem wird er parteiübergreifend von vielen geschätzt. Legendär sind die Wortwechsel mit Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, der ihn stets an die Einhaltung der Redezeit erinnern musste. Egal wie lang sie war, für Gysi war sie immer zu kurz.
Alterspräsidentschaft als Karriere-Highlight
Morgen wird das erstmals anders sein. Als Alterspräsident wird Gysi die konstituierende Sitzung des Bundestages eröffnen und leiten. Zu diesem Anlass ist seine Redezeit unbegrenzt, was ihn schon am Abend der Bundestagswahl mit Vorfreude erfüllte:
Das bedeutet, dass ich die erste, letzte und einzige Rede in meinem Leben im Bundestag halte - ohne Redezeitbegrenzung.
Gregor Gysi, die Linke
Vorab zeigt er sich auf der Plattform X schon mal stolz beim Probesitzen auf dem Präsidentenstuhl.
Doch es gibt auch Kritik an dieser Personalie. Der Historiker Hubertus Knabe, der sich mit DDR-Geschichte und der Aufarbeitung der SED-Diktatur befasst, nennt es auf X einen "Treppenwitz der Geschichte", dass ausgerechnet Gysi den Bundestag eröffnen dürfe.
Post von Hubertus Knabe
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Frühe Mitgliedschaft in der SED
Wer ist Gregor Gysi eigentlich? Er wurde 1948 in Berlin geboren, ist in der DDR aufgewachsen, machte dort sein Abitur und nebenbei eine Ausbildung zum Facharbeiter für Rinderzucht. Im Anschluss studierte er Rechtswissenschaften und promovierte.
1967 trat Gysi in die SED ein, wurde 1989 letzter Parteivorsitzender der SED-PDS und zog ein Jahr später mit der SED-Nachfolgepartei PDS erstmals als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Der Wochenzeitung "Das Parlament" sagte er über diese Zeit:
Als ich 1990 in den Bundestag kam, wurde ich nicht respektiert, teilweise gehasst. Es gab zwar einige, die mir sachlich begegneten, aber Respekt habe ich mir erarbeitet - über Jahrzehnte hinweg.
Gregor Gysi, Linke
Berufliche und private Rückschläge
Lange Jahre war Gysi Partei- und Fraktionschef der PDS, kurzzeitig 2002 auch Wirtschaftssenator im rot-rot-grünen Senat von Klaus Wowereit in Berlin. Dort musste er nach sechs Monaten wegen der "Flugmeilen-Affäre" zurücktreten. Es wurde ruhig um ihn. Er kämpfte mit gesundheitlichen Problemen, hatte drei Herzinfarkte und eine Hirn-Operation.
Doch er kam zurück auf die politische Bühne. 2005 ebnete er den Weg für einen Zusammenschluss von PDS und der westdeutschen WASG, die 2007 gemeinsam die Partei DIE LINKE gründeten.
Gerüchte über Stasi-Kontakte
Als Ikone der Ost-Linken macht sich Gysi stets für die Gleichstellung von Ost und West stark, forderte gleiche Lebensverhältnisse und Rentenanpassungen. Er äußerte sich zuweilen europakritisch und russlandfreundlich, was ihm viel Kritik einbrachte.
Immer wieder sieht sich Gysi, der als Rechtsanwalt in der DDR auch Regimekritiker verteidigt hat, Vorwürfen ausgesetzt, er sei als IM für die Stasi tätig gewesen. Jedes Mal hat Gysi gegen die Behauptungen geklagt, jedes Mal erfolgreich. Immer wieder hat er öffentlich betont, der Stasi "niemals wissentlich und willentlich" zugearbeitet zu haben.
AfD-Kandidat durch Änderung der Geschäftsordnung verhindert
Nun wird er Alterspräsident des Deutschen Bundestages, für ihn ein Glanzpunkt in seiner Karriere. Zu verdanken hat er das einer 2017 beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung, nach der nicht mehr dem Ältesten an Lebensjahren, sondern dem Dienstältesten im Parlament die Rolle des Alterspräsidenten zukommt.
Begründet wurde es damit, dass ein Abgeordneter mit "ausreichender einschlägiger Erfahrung" die konstituierende Sitzung leiten solle. Hintergrund dieser Änderung war jedoch die Tatsache, dass die AfD 2017 erstmals ins Parlament einzog und mit dem Abgeordneten Wilhelm von Gottberg den Alterspräsidenten gestellt hätte. Das wurde so verhindert. Was die AfD auch heute, acht Jahre später, noch massiv ärgert.
Quelle: dpa
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