Wie können wir wirklich Bürokratie abbauen?

Weniger Regeln, mehr Realität:Wie können wir wirklich Bürokratie abbauen?

ZDFheute Update - Jan Schneider
von Jan Schneider
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Bonpflicht, Lieferkettengesetz, Statistik - die Liste an bürokratischen Lasten für Unternehmen ist lang. Drei Experten erklären, was jetzt wirklich helfen würde.

Normenkontrollrat zu Bürokratie
Bürokratieabbau fordern alle - aber wie kann er gelingen?
Quelle: dpa

Es ist alles viel zu kompliziert: In Umfragen wird auf den vorderen Plätzen häufig die ausufernde Bürokratie in Deutschland als größtes Manko für die Wirtschaftskraft des Landes genannt. Es überrascht also nicht, dass sich die kommende schwarz-rote Regierung auch den Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben hat. In den Koalitionsverhandlungen wurde ein nationales "Sofortprogramm für den Bürokratierückbau" vereinbart.
Doch bisher sind diese Pläne vage und auch die letzten vier Bürokratieentlastunggesetze haben noch nicht die erhoffte Wirkung entfaltet. ZDFheute hat drei Expert*innen gefragt, was die wichtigsten Schritte beim Bürokratieabbau wären. Die Antworten fallen unterschiedlich aus.
Hannah Lena Weber sitzt vor ihrem am Schreibtisch und hebt fragend die Hände
In deutschen Behörden herrschen "Bürokratismus" und "Kontrollwahn", warnen Kritiker. Das führe für Staat und Verwaltung zu einem dramatischen Vertrauensverlust in der Bevölkerung.08.04.2025 | 8:58 min

Rainer Kambeck: "Jetzt braucht es radikale Signale"

Rainer Kambeck vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht sich für einen deutlich entschlosseneren Bürokratieabbau aus.

Leider ist die Stimmung in der Wirtschaft in Bezug auf die Bürokratiebelastungen inzwischen so schlecht, dass erst einmal nur radikalere Ansätze einen Stimmungswandel erzeugen könnten.

Rainer Kambeck, Deutscher Industrie- und Handelskammertag

Ein solcher Befreiungsschlag müsse sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene erfolgen.

Dr. Rainer Kambeck
Quelle: DIHK

... ist Bereichsleiter Wirtschafts- und Finanzpolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Ein besonders starkes Signal wäre aus Kambecks Sicht die komplette Streichung der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD). Auch das europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) sowie das nationale Pendant sollten deutlich entschlackt oder gestrichen werden. In der Praxis gehe es darum, Verfahren wirklich zu vereinfachen: "Erst vereinfachen, dann digitalisieren", lautet Kambecks Credo.
IHK-Unternehmensbarometer
Die Wirtschaft erwartet von der neuen Bundesregierung unter anderem drastische Einschnitte bei der Bürokratie sowie spürbare Entlastungen bei Abgaben und Stromkosten. Das zeigt eine aktuelle Unternehmensumfrage der DIHK.25.02.2025 | 1:33 min
Er begrüßt daher, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren - etwa für Industrieanlagen oder bei der Exportkontrolle - beschleunigt werden sollen. Insbesondere Stichtagsregelungen und Genehmigungsfiktionen könnten Verfahren stark entlasten. Auch Maßnahmen wie die Abschaffung der Bonpflicht oder der Statistikpflichten für Unternehmen seien nicht nur praxisnah, sondern hätten eine wichtige Signalwirkung.
Genehmigungswas? Die Fachbegriffe des Bürokratieabbaus werden hier im Glossar erklärt:












Die größten Einsparpotenziale sieht Kambeck in der vollständigen Streichung belastender Regulierungen sowie im konsequenten Abbau "überflüssiger Statistikpflichten". Zudem müsse sich die Bundesregierung in Brüssel stärker für mittelstandsfreundliche Vereinfachungen einsetzen. Die EU-Kommission habe zwar Entwürfe für sogenannte Omnibusgesetze vorgelegt - viele Unternehmen forderten jedoch weitergehende Schritte, inklusive der vollständigen Abschaffung mancher Richtlinien.
Stempfel auf einem Schreibtisch
Bürokratie ist zu langsam, zu ineffizient, zu teuer. Doch für Wirtschaft und Staat ist die Verwaltung unverzichtbar. Wieviel Bürokratie braucht die moderne Gesellschaft?23.09.2021 | 56:54 min
Sein Fazit: Die im Koalitionsvertrag angekündigte Zielsetzung, die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent und den Erfüllungsaufwand insgesamt um 10 Milliarden Euro zu senken, sei richtig. "Das sind gute Vorgaben, weil man die neue Bundesregierung an diesen - bei allen Problemen der exakten Messung - konkreten Zielen messen kann.

Jetzt müssen aber auch die Maßnahmen durchgesetzt werden.

Rainer Kambeck, Deutscher Industrie- und Handelskammertag

Oliver Falck: "Mut zur Vereinfachung statt Symbolpolitik"

Oliver Falck vom Ifo-Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien sieht in der von CDU/CSU und SPD angekündigten "echten Staatsreform" eine große Chance - wenn sie denn konsequent angegangen wird. Versprochen werde Vieles: eine digitalisierte, vernetzte Verwaltung, moderne Führung, ein reformiertes Dienstrecht und deutlicher Bürokratierückbau. Doch Falck warnt:

Erinnern wir uns an das 2017 in Kraft getretene Online-Zugangsgesetz: Nachdem diese Frist weitgehend erfolglos verstrichen war, hat man sich besser keine neuen Fristen gesetzt.

Oliver Falck, Ifo-Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien

Prof. Dr. Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien
Quelle: ifo Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien

... ist Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien. Er war federführend an einer Studie beteiligt, die die jährlichen Kosten der Bürokratie für Deutschland auf bis zu 146 Milliarden Euro beziffert.

Ein Kernproblem liegt laut Falck in der fehlenden Kompatibilität der föderalen IT-Systeme und dem mangelnden Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, ihre Daten zu teilen. Es brauche deshalb nicht nur Technik, sondern einen "Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung". Dieser müsse durch ein modernes Dienstrecht angestoßen werden, das Anreize für effizienteres Arbeiten schafft.

Dazu wird es zeitweise zwei Parallelwelten brauchen: Personal im alten System und Personal im neuen System. Die Spannungen wird man aushalten müssen.

Oliver Falck, Ifo-Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien

Bürokratieabbau heißt für Falck nicht nur, Verfahren zu vereinfachen, sondern auch Leistungen abzuschaffen - ein Schritt, der in der Realität häufig auf massiven Widerstand stößt. Er erinnert an die Rücknahme der Agrardiesel-Subventionen nach Bauernprotesten: "Die Proteste gegen diesen überfälligen Schritt, mit dem man sich viel Bürokratie ersparen könnte, waren so laut, dass es die Rücknahme der Abschaffung bis in den Koalitionsvertrag geschafft hat."
Hessen, Frankfurt/Main: Eine Mitarbeiterin einer Behörde greift an einem Regal nach einer Akte.
Hohe Energiekosten, Abgaben, der Fachkräftemangel und zu viel Bürokratie belasten viele mittelständische Unternehmen. Darüber war man sich beim "Zukunftstag Mittelstand" einig.09.04.2025 | 0:22 min
Falck plädiert für eine stärkere Rückbesinnung auf Marktkräfte: Weniger staatliche Ge- und Verbote, mehr Vertrauen in unternehmerisches Handeln. Denn manches, so sein Fazit, "wird mehr, nicht weniger, Bürokratie erzeugen - etwa die geplante Steuerbegünstigung von Überstunden."
Sein Appell: Statt gut gemeinter Symbolpolitik brauche es Mut zur Vereinfachung, klare Zuständigkeiten, digitale Standards - und Politiker, die den Widerstand gegen Veränderungen auch aushalten.
Aufgeschlagener Aktenordner
Eigentlich wollte die Ampel die Bürokratie abbauen. Doch viele Unternehmen beklagen nach wie vor zu hohe Belastungen.25.02.2024

Gisela Färber: Zu viele "Gesetze, die keiner umsetzen kann"

Gisela Färber von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer zeichnet ein ernüchterndes Bild vom Stand des Bürokratieabbaus in Deutschland. Aus ihrer Sicht liegt das Kernproblem nicht nur im Übermaß an Vorschriften, sondern in der systematischen Vernachlässigung der Umsetzbarkeit neuer Gesetze.

... ist Professorin i.R. an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war vormals Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat (NRK), einem unabhängigen Gremium, das die Bundesregierung bei der Bürokratiekostenmessung unterstützt. Der NKR hat konkrete Ziele formuliert, um die Bürokratiekosten in den kommenden Jahren signifikant zu senken.

Färber war auch Mitglied des Normenkontrollrats Baden-Württemberg und hat sich dort mit Fragen des Bürokratieabbaus und der besseren Rechtsetzung beschäftigt.

Färber nennt als Beispiel überkomplexe Bauvorgaben, die Genehmigungsverfahren auf Jahre hinaus verzögern: "So eine Baugenehmigung dauert bis zu drei Jahre - weil die zuständigen Behörden überhaupt nicht in der Lage sind, die Komplexität der damit verbundenen Vorschriften praktisch runterzuarbeiten." Ursache dafür sei oft, dass Gesetze "ohne Rücksicht auf diese interaktiven Wirkungen im Vollzug" gemacht würden.
Ein besonders gravierender Fehler sei, dass Ministerien beim Gesetze-Schreiben häufig keine Vorstellung davon hätten, wie ihre Vorschläge in der Praxis vollzogen werden. Dabei wäre es die Aufgabe der Ministerien, den sogenannten Erfüllungsaufwand - also den Aufwand, den neue Gesetze verursachen - realistisch zu kalkulieren. Diese Pflicht werde jedoch häufig umgangen.

In Baden-Württemberg haben die Ministerien so lange gemauert, bis sie es nicht mehr machen mussten.

Gisela Färber, Expertin für Verwaltungsaufgaben

Prof. Malmendier bei ZDFheute live.
Berichtspflichten seien eine große Hürde für Unternehmen, so die Wirtschaftsweise Prof. Malmendier. Der FDP-Vorschlag eines bürokratiefreien Jahres überzeuge in seiner Radikalität.07.02.2025 | 10:19 min
Als erste Gegenmaßnahme nennt Färber sogenannte Praxischecks. Diese sollen Gesetze bereits vor Inkrafttreten auf ihre Umsetzbarkeit hin prüfen. Sie fordert zudem eine grundlegende Vereinfachung von Verfahren und eine Rückbesinnung auf praktikable Regelwerke, anstatt nur auf Digitalisierung und Zentralisierung zu setzen, was allein keine Effizienz verspricht.

Viele meinen, man müsse 'einfach' nur digitalisieren. Das ist naiv zu glauben, dass schlechte Gesetze durch Digitalisierung 'gute Regeln' werden.

Gisela Färber, Expertin für Verwaltungsaufgaben

Auch ein systematischer Leistungsvergleich zwischen Bundesländern - etwa zur Dauer von Genehmigungsverfahren - könnte laut Färber positive Wettbewerbseffekte bringen. Doch gegen diesen Transparenzansatz wehrten sich viele Länder. "Die deutschen Länder wollen das nicht - wahrscheinlich weil keiner der Schlechteste sein will."
Färbers Fazit: Die besten Lösungen für Bürokratieabbau bestehen nicht in pauschalen Vorgaben oder populistischen Vereinfachungsversprechen, sondern in struktureller Reform der Gesetzgebung. Gesetze müssten mit Blick auf die Praxis gemacht werden - klar, nachvollziehbar und umsetzbar.

Wenn man Gesetze macht, die funktionieren, würde das auch bei den Kommunen Aufwand und Geld sparen.

Gisela Färber, Expertin für Verwaltungsaufgaben

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Quelle: dpa

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