Union für Abschaffung:Bürgergeld: Zu wenig Anreiz zum Arbeiten?
von Tanja Pölitz
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Das Bürgergeld stieg mithilfe der Union. Jetzt will sie es wieder abschaffen und eine „Neue Grundsicherung“ einführen. Die wichtigsten Zahlen im Überblick.
Ist das Bürgergeld sozial gerecht oder oder ein Signal in die falsche Richtung? 17.12.2024 | 9:20 min
In Deutschland wird auch über fehlende Arbeitsmoral diskutiert. Von "Kündigungen ins Bürgergeld" ist die Rede, seit der Regelsatz 2023 auf 502 Euro und erneut 2024 auf 563 Euro erhöht wurde. Zweimal um zwölf Prozent - damit stieg das Bürgergeld stärker als die Durchschnittslöhne. Da habe doch mancher Bürgergeldempfänger mehr als Arbeitnehmer - auch Politiker der CDU und CSU um Kanzlerkandidat Friedrich Merz behaupten das immer wieder.
Eine Studie des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit ergab aber, dass sich Arbeit in Deutschland immer mehr lohne als Nichtstun - sofern ergänzende Leistungen wie Wohngeld oder der Kinderzuschlag berücksichtigt werden. Allerdings muss man dafür weiter zum Amt. Genug Anreiz zum Arbeiten?
Wiederholt wird behauptet: Der Lohnabstand sei nicht mehr ausreichend. Seit seiner Einführung 2015 ist der Mindestlohn um 46 Prozent von 8,50 auf aktuell 12,41 Euro gestiegen - um 46 Prozent.Im selben Zeitraum stieg das Bürgergeld von 399 auf 563 Euro - um 41 Prozent.
Die Stimmung ist schlecht. Steigende Preise belasten die Geldbörsen, Geringverdiener kommen kaum über die Runden. Gleichzeitig wird das Bürgergeld immer mehr zum Streitpunkt.24.03.2024 | 30:08 min
Bürgergeldempfänger: Gefühlt werden es immer mehr
Während Politiker in Talkshows suggerieren, es gebe immer mehr Bürgergeldempfänger, sinken die Zahlen seit Hartz IV aber - von sieben Millionen im Jahr 2006 auf 5,2 Millionen in 2022.
Ohne den Krieg in der Ukraine lägen sie heute wohl niedriger als beim Tiefststand 2022. Doch Rezession und weniger offene Stellen lassen auch die Bürgergeldzahlen langsam wieder ansteigen. Enzo Weber vom IAB betont:
Sozial gerecht oder ein Signal in die falsche Richtung?
Derzeit beziehen 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Dazu gehören auch 1,5 Millionen Kinder. 25 Prozent sind in Weiter- oder Ausbildung und 20 Prozent sind Aufstocker - sie arbeiten, verdienen aber nicht genug.
Am Ende könnten 1,7 Millionen Bürgergeldempfänger arbeiten gehen, rechnet die Union vor: Würden davon 100.000 tatsächlich arbeiten gehen, brächte das drei Milliarden Euro ein.
Deutsche Unternehmen klagen über fehlende Arbeitskräfte. Gleichzeitig gibt es Millionen Arbeitslose. Wollen diese Menschen nicht arbeiten oder können sie es nicht?01.05.2024 | 53:36 min
Doch das könnte zur Herausforderung werden. Denn viele Bürgergeldempfänger haben keinen Berufsabschluss, sind langzeitarbeitslos oder alleinerziehend, was ihre Vermittlung erschwert. Bis auf Sanktionen hat die Union hierfür keine konkreten Konzepte präsentiert.
Teilzeit arbeiten lohnt sich oft nicht
Rund 37 Prozent der Alleinerziehenden beziehen Bürgergeld. Ein Beispiel: Astrid Heuser aus Berlin lebt seit Jahren damit. Die alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen berichtet, wie schwierig es sei, sich nach Jahren ohne Arbeit zu motivieren.
Für den Lebensunterhalt und die teuren Posten wie Miete und Heizung kommt für sie der Staat auf. Erst mit einem Vollzeitjob und Mindestlohn hätte sie rund 500 Euro netto mehr. Ob sie den derzeit bewältigen könnte, ist fraglich. Die Alleinerziehende würde aber sukzessive Sozialleistungen verlieren, wenn sie nur Teilzeit arbeiten ginge. Hier, fordert Enzo Weber vom IAB, müsse man dringend Anreize schaffen.
Nach Ukraine-Krieg mehr ausländische Bürgergeld-Empfänger
Der Anteil ausländischer Bürgergeld-Empfänger stieg 2024 auf 47 Prozent (Januar 2022: 38 Prozent). Der Anstieg ist vor allem auf Ukrainer zurückzuführen. Von 1,2 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland beziehen rund 700.000 Bürgergeld. Etwa ein Drittel der Menschen aus der Ukraine arbeitet, in anderen Ländern sind es deutlich mehr.
Viele Hürden erschweren die Integration: fehlende Kinderbetreuung, mangelnde Sprachkenntnisse oder die schleppende Anerkennung von Berufsabschlüssen. Tanja Priadka, Köchin aus der Ukraine sagt, Bürgergeld allein halte sie nicht vom Arbeiten ab:
Die Kosten für das Bürgergeld steigen
Die Ausgaben für Bürgergeld erreichten 2024 ein Rekordniveau von 50,5 Milliarden Euro, mehr als im Haushalt vorgesehen war. Grund sind unter anderem die enorm gestiegenen Kosten für Wohnen und Heizen (11,6 Milliarden Euro). Aber auch die Verwaltungskosten sind auf über fünf Milliarden Euro gestiegen. Dabei werden weniger als zehn Prozent der Arbeitsaufnahmen überhaupt noch durch die Jobcenter vermittelt.
Union und FDP haben gefordert, die Leistungen für neu ankommende Ukrainer zu senken. Sie sollen denen von Asylbewerbern angeglichen werden.17.06.2024 | 1:14 min
Lohnt sich Arbeiten noch?
Derweil wächst die Skepsis gegenüber Bürgergeldempfängern, die Solidarität mit ihnen schwindet. Während die öffentliche Debatte in Deutschland darum kreist, ob sich Arbeiten noch lohne, sagt Bäckermeister Michael Karl, Arbeitgeber zu sein, rechne sich für ihn immer weniger. Karl hat seinen Bäckereibetrieb verkleinert und von ehemals 18 Angestellten nur noch eine Vollzeitkraft behalten.
2025 kommen schon wieder höhere Pflege- und Krankenkassenbeiträge hinzu. Die Frage, ob das Bürgergeld zu hoch ist, hängt für Menschen wie den Bäcker am Lohnabstand und damit vom Nettolohn ab.
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Bundespräsident Steinmeier wird am 27. Dezember verkünden, ob er nach der verlorenen Vertrauensfrage den Bundestag auflöst und eine Neuwahl ansetzt. Alle News im Wahlkampf-Ticker.