Ein Jahr im Amt: Wann liefert der Verteidigungsminister?
Analyse
Verteidigungsminister:Ein Jahr im Amt: Wann liefert Pistorius?
von Ines Trams
|
Viele Versprechen hat Verteidigungsminister Pistorius formuliert. Die Zeitenwende will er mit Leben füllen, an alten Strukturen rütteln. Doch was hat er bislang umgesetzt?
Ein Jahr im Amt: Was hat Boris Pistorius bislang erreichen können?
Quelle: dpa
Ein Jahr ist es nun her, dass Boris Pistorius (SPD) auf dem Appellhofplatz des Bendlerblocks im eisigen Wind steht und das Amt des Bundesverteidigungsministers übernimmt. In seiner Ansprache fordert er "Abschreckung, Wirksamkeit und Einsatzfähigkeit" und er warnt, der größte Teil der Zeitenwende liege noch vor uns. Schon da ist klar: Dieser ehemalige Landesminister aus Niedersachsen hat große Ziele.
Entscheidungsfreudig, straightforward und hemdsärmelig, als Freund klarer Worte, kommt dieser Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt gut an in der Öffentlichkeit, die sich in unsicheren Zeiten wie diesen genau danach zu sehnen scheint. Seit Wochen führt er das Beliebtheitsranking der Politik an.
Pistorius trauen viele sogar Kanzleramt zu
Das Standing bei den Menschen ist gar so gut, dass sich nach einer Umfrage eine Mehrheit Pistorius wohl gar als Kanzler wünscht. Zur Truppe hat er einen guten Draht. Authentisch kommen Dank und Respekt rüber, die er den Soldatinnen und Soldaten zuruft. Immer wieder sagt er auf Truppenbesuchen:
Provokation mit dem Wort "kriegstüchtig"
Im Herbst dann traut er sich im ZDF-Politikmagazin "Berlin Direkt" erstmals die Forderung zu formulieren, Politik, Gesellschaft und Bundeswehr müssten "kriegstüchtig" werden. Ein hässliches Wort für viele in Deutschland. Zumal in einem politischen Berlin, wo bislang Kanzler und Abgeordnete Worte wie "kämpfen" und "Krieg" eher vermeiden, Themen wie Einsätze und Rüstung zur Seite schieben.
Aufrütteln will er damit, die mentale Zeitenwende vorantreiben, klar machen: Es gibt eine neue Bedrohungslage. Und Druck aufbauen, um Bundeswehr und Beschaffungsapparat für die neuen Anforderungen tatsächlich aufzustellen. Doch was davon hat er bereits umsetzen können?
Bundeswehr bei Ausrüstung weiter blank
Bundeswehr immer noch "blank"
Wenn die Bundeswehr zu Beginn der Zeitenwende "blank" dasteht, wie es der Inspekteur des Heeres 2022 formuliert hat, so steht sie heute gar "blanker" da. Große Materialabgaben an die Ukraine sind ein Grund dafür, zu wenig Material kommt zeitgerecht nach. Auch wenn die Beschaffungsvorlagen aus dem Ministerium im Haushaltsausschuss des Bundestages nun zügiger ankommen, so dauert es doch, bis das Gerät auf dem Hof stehen wird.
Die dauerhaft in Litauen zu stationierende Brigade von 5.000 Männern und Frauen ist für Pistorius das "Leuchtturmprojekt" der Zeitenwende. Doch die Zweifel mehren sich, ob sich tatsächlich genug Männer und Frauen freiwillig melden werden, ob es genug Geld dafür gibt, und ob die Litauer die gesamte Infrastruktur vor Ort stemmen und finanzieren können. Er persönlich hat dieses Projekt angeschoben, daran wird er sich messen lassen müssen.
Die behäbige Beschaffung von Material und Gerät will Pistorius beschleunigen, eine neue Fehler- und Verantwortungskultur in Ministerium und Beschaffungsamt etablieren. So beruft er eine neue Amts-Chefin, einen neuen Generalinspekteur - und zieht einen neuen Planungsstab im Ministerium ein. Doch als im Spätsommer verspätet offengelegt wird, dass der Einbau von bestellten Funkgeräten nicht wie geplant funktionieren würde, da zeigte sich: Eine neue Kultur hat bis dahin noch nicht wirklich gegriffen.
Hürden für Pistorius höher als gedacht
Und: The empire strikes back (engl.: Das Imperium schlägt zurück), der Apparat ist schwerfälliger zu reformieren als gedacht. Lange scheut Pistorius vor einer großen Reform von Ministerium und Streitkräften zurück. Erst kurz vor der Bundeswehrtagung im November beschließt er, bis Ostern Vorschläge dazu einzufordern. Allerdings ist unklar, warum er nicht auf Eckpunkte zurückgreift, die unter seinen Vorgängerinnen erarbeitet worden sind, wertvolle Zeit geht so verloren. Die Reform, die aus den Ideen ab Ostern dann folgen soll, muss eine große werden.
Auch wirkt Pistorius oft wie der einsame Rufer innerhalb seiner eigenen Partei, wie eine Opposition innerhalb der SPD. Seinen Ruf nach Kriegstüchtigkeit teilen Vorreiter des linken Flügels wie Rolf Mützenich oder Ralf Stegner nicht, auch stößt er mit der Idee, neue Modelle der Wehrpflicht anzudenken, auf Widerstand. Und von den geforderten zehn Milliarden Euro mehr für den Verteidigungsetat bekommt er gerade mal 1,7 Milliarden zugestanden.
Pistorius hat noch hohe Ziele
Zum Schwur wird es kommen, wenn in ein paar Jahren - sobald das Sondervermögen für die Bundeswehr ausgegeben ist - bis zu 30 Milliarden Euro aus dem restlichen Haushalt abgezwackt und in die Verteidigung umgeleitet werden müssen, um das zugesagte Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Offen ist, ob Politik und Gesellschaft da mitgehen.
Nach einem Jahr ist klar: Minister Pistorius will die von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende vorantreiben, will verhindern, dass Politik und Gesellschaft in die angestammte Gemütlichkeit der Zeit vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zurücksinken. Er will eine gut ausgestattete Bundeswehr, die abschreckt und im Fall der Fälle kämpfen kann - ob man sie nun kriegstüchtig oder verteidigungsbereit nennt.
Angesichts der Weltlage richtige Ziele. Offen, ob Pistorius sie umsetzen kann, solange noch Zeit ist.
Ines Trams ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.