Nach Protestwoche: Wie mächtig sind Deutschlands Landwirte?
Ende der Bauernproteste:Wie mächtig sind Deutschlands Landwirte?
von Nils Metzger
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Die Bauernproteste zeigten ein widersprüchliches Bild der deutschen Agrarbranche. Die Lobby der Landwirte zwischen Machtdemonstration und Niedergang - warum ihr Einfluss schwindet.
Abschlusskundgebung der Bauern am Montag in Berlin: Was bleibt von der Protestwoche?
Quelle: dpa
Am Montag endete eine Protestwoche, die Deutschland umtrieb wie wenige andere in jüngerer Zeit: Ein vorerst letztes Mal zogen Tausende Traktoren und Lkw durchs Berliner Regierungsviertel. Auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor bekannte Finanzminister Christan Lindner (FDP) Sympathien für die Anliegen der Bauern - hatte in der Sache aber keinen Cent mehr für sie im Angebot.
Im heute journal verteidigte Christian Lindner das Festhalten am Subventions-Wegfall.15.01.2024 | 3:33 min
Sympathien für Bauern heißt nicht automatisch mehr Geld
Lindners Auftritt war symptomatisch für die gesamte Protestwoche. Doch anders als bei manch anderen Berufsgruppen kommt die große Politik, wenn die Bauern protestieren. Doch mit ihren selbstbewusst vorgetragenen Maximalforderungen durchsetzen, können sich die Landwirte darum nicht automatisch. Vorerst müssen sie sich mit dem Ampel-Kompromiss abfinden.
Ähnlich in der breiten Bevölkerung: Laut ZDF-Politbarometer fanden 68 Prozent der Bevölkerung die Proteste angemessen. Anstatt über Landwirtschaft, Arbeitsbedingungen und Subventionen wurde in der vergangenen Woche jedoch fast mehr über rechte Unterwanderungsversuche diskutiert. Mit ihren vielfältigen inhaltlichen Anliegen drangen sie oft nicht durch.
Die Bauernproteste sind auch massive Kritik an der Ampel. Selbst der Bundespräsident kritisiert, die Koalition kommuniziere ihre Politik schlecht. 14.01.2024 | 4:03 min
Zumal der jüngste Ernährungsreport der Bundesregierung zeigte, dass Verbraucher - angetrieben von Inflationssorgen - beim Einkaufen wieder deutlich mehr auf den Preis achten. Der von Ausbeutung und Massenproduktion geprägte Teil der Landwirtschaft wird auch in naher Zukunft nicht verschwinden.
Immer weniger Bauern - immer weniger Einfluss?
Die Machtdemonstration der deutschen Bauern in der vergangenen Woche täuscht darüber hinweg, dass der Berufsstand insgesamt an Einfluss verliert. Dabei startete der größte Teil dieses Strukturwandels bereits vor Jahrzehnten. Zwischen 1950 und 2020 sank die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft von 7,86 Millionen auf etwa 940.000 Menschen, etwa zwei Prozent aller Arbeitnehmer.
Seit 1990 wuchs die durchschnittliche Betriebsgröße deutlich an; das heißt ein Bauer bewirtschaftet deutlich mehr Land, vor allem kleine Betriebe machten dicht. Ein Ergebnis sind Großkonzerne wie der Fleischgigant Tönnies, die so groß sind, dass sie nicht zwingend auf die Verbände angewiesen sind, um in der Politik Gehör zu finden.
Zwar gibt der Deutsche Bauernverband an, dass über 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in ihm organisiert sind - ein überaus hoher Organisationsgrad. Doch insbesondere im Rahmen der jüngsten Proteste wurde deutlich, dass eine Vielzahl an mal rechtsoffenen, mal alternativen Graswurzelbewegungen ebenfalls versuchen, im Namen der Bauern zu sprechen.
Wie stark sind Bauern in der Politik vertreten?
Je nach Bundesland ist der Einfluss der Landwirtschaft erwartungsgemäß unterschiedlich. Während im aktuellen Bundestag nur ein halbes Prozent aller Abgeordneten einen landwirtschaftlichen Hintergrund haben, sind es im 2023 neu gewählten bayerischen Landtag 6,7 Prozent. Zuvor waren dort sogar zehn Prozent Landwirte. Vor allem unter den Freien Wählern sind die Bauern stark vertreten.
Unter den 33 ordentlichen Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft sind lediglich neun Vertreter, die aus dem Bereich Land- und Forstwirtschaft oder Lebensmittel kommen.
Mit Werner Schwarz (CDU) wurde im Juni 2022 der damalige Präsident des Landesbauernverbands Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Joachim Rukwied sitzt als amtierender Präsident des Deutschen Bauernverbandes in zahlreichen Gremien wie dem Rundfunkrat des SWR. Auch im ZDF-Fernsehrat ist eine Landwirtin als Vertreterin des Zentralausschusses der Deutschen Landwirtschaft vertreten. Solche Ämter stehen Bauern-Vertretern oft seit Jahrzehnten fest zu.
Die Ampel-Koalition plant nach Gesprächen mit Vertretern von Landwirtschaftsverbänden Entlastungen. Wird das die Bauern auf der Straße besänftigen? Diana Zimmermann in Berlin. 15.01.2024 | 0:48 min
Soziologin: Selbst in Dörfern sinkt der Einfluss der Landwirte
Es ist ein widersprüchliches Bild, das diese Beispiele zeichnen. Denn verglichen mit anderen Berufsgruppen haben Bauern weiterhin großen und seit Jahrzehnten vorhandenen Einfluss in der Politik, wie Soziologin Claudia Neu erklärt:
"Daher sprach man früher auch von dem 'eisernen Dreieck' von Agrarwissenschaft, Agrarpolitik und landwirtschaftlichen Interessengruppen", sagt die Forscherin, die an der Universität Göttingen zu Agrarökonomie und ländlichen Räumen forscht. Aber:
Immer weniger Menschen haben direkten Kontakt zu Menschen aus der Landwirtschaft. Selbst in den Dörfern würden sie oft keine dominante Rolle mehr spielen, so Neu. Die Gesellschaft legt heute mehr Wert auf Gesundheit, Nachhaltigkeit oder Tierwohl - unter welchem hohen Druck die Landwirte und ihre Familien die Lebensmittel produzieren, ist vielen Verbrauchern oft nicht bewusst.
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