Protestforscher: Politik will sich nicht "mit Bauern anlegen"
Interview
Forscher zu Bauernprotesten:"Kritik zurückhaltender als bei Klimaschützern"
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Protestforscher Dieter Rucht kritisiert unterschiedliche Standards bei der Bewertung von Bauern- und Klimaprotesten. Warum die Bauern aus seiner Sicht einen dicken Bonus haben.
In Biberach an der Riß protestierten Landwirte Mitte Februar im Vorfeld des politischen Aschermittwochs der Grünen vor der Stadthalle.
Quelle: dpa
Protestforscher Dieter Rucht meint, dass...
... sich die Politik "nicht wirklich mit den Bauern anlegen" will, trotz Radikalisierung einzelner Proteste. ... man mit Kritik an den Bauernprotesten "deutlich zurückhaltender" sei als bei Klimaschützern. ... die unterschiedliche Bewertung damit zusammenhängt, dass Bauern eher "in der Rolle der Bedrängten gesehen" würden "als in der Rolle der Bedränger".
ZDFheute: In Brandenburg haben Bauern vor wenigen Tagen unangekündigt große Misthaufen auf einer Bundesstraße abgeladen. In der Folge kam es zu schweren Verkehrsunfällen mit fünf Verletzten. Was für eine Art Protest war das?
Dieter Rucht: Zunächst ist es ein illegaler Protest und es scheint sich zu rächen, dass die Behörden in jüngerer Vergangenheit bei ähnlichen Bauernprotesten zu gelassen waren.
ZDFheute: Zu gelassen?
Rucht: Die Polizei hat zumindest bei einem Teil dieser Proteste ein Auge zugedrückt und Dinge, die offensichtlich gesetzwidrig sind, nicht immer geahndet. Dazu gehört auch der wenig diskutierte Sachverhalt, dass die Bauern mit ihren Traktoren zu Demonstrationen fahren.
...Politikwissenschaftler und Soziologe. Bis zu seiner Emeritierung forschte er am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) unter anderem zu sozialen Bewegungen und politischem Protest, Soziologie politischer Öffentlichkeit und Konfliktsoziologie. Neben seinen Forschungen am WZB arbeitete er unter anderem als Professor für die Freie Universität Berlin.
ZDFheute: Die Polizei in Brandenburg sah nun eine bislang nicht gekannte "Gefährdung von Leib und Leben" bei Bauernprotesten und ermittelt wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Die Verursacher könnten mit mehrjährigen Haftstrafen belegt werden. Warum aber kommen aus der Politik kaum Reaktionen?
Rucht: Die Politik will sich nicht wirklich mit den Bauern anlegen. Wenn jetzt eine kleine Gruppe von Bauern strafrechtlich verfolgt wird, fürchtet man wohl, dass diese Bauern als Opfer erscheinen und eine große Anzahl weiterer Bauern ihre Solidarität bekunden.
Die Bundesregierung ist ein gebranntes Kind: Sie dachte, sie käme mit den Agrar-Subventionskürzungen durch und ist nun von dem anhaltend rauen Gegenwind der Bauern überrascht.
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ZDFheute: In vielen Kommentaren vergleichen Menschen radikale Formen des Bauernprotests mit den "Klimaklebern". Erkennen Sie Ähnlichkeiten?
Rucht: Eine formale Parallele gibt es: Wenn wir uns an die Klimaproteste erinnern, da gab es im Oktober 2022 in Berlin den Fall, dass ein technisches Einsatzfahrzeug durch eine Straßenblockade aufgehalten wurde und verspätet zu einer Unfallstelle kam. Eine Radfahrerin starb damals.
Die Berliner Staatsanwaltschaft kam im April 2023 zu dem Schluss, dass die Klimaschützer nicht strafrechtlich verantwortlich seien für den Tod der Frau. Zuvor hatten aber Teile des Politikbetriebs diese Leute verurteilt, ohne Ermittlungsergebnisse abzuwarten.
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Heute hingegen ist es auffallend still, obwohl in Brandenburg bei einem Bauernprotest laut Polizei eindeutig Menschenleben gefährdet worden sind.
ZDFheute: Wird mit zweierlei Maß gemessen?
Rucht: Es werden offenkundig unterschiedliche Standards angelegt. Das muss aber nicht unbedingt große Teile der Bevölkerung empören. Natürlich erwarten die Bürger grundsätzlich, dass die gleichen Standards gelten. Aber es spielt eben nicht nur die Form des Protests eine Rolle, sondern auch, wer protestiert. Und da haben die Bauern einen anderen Status als Klimaschützer.
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ZDFheute: Inwiefern?
Rucht: Die Bauern gelten als konservativ und bodenständig.
Wenn so eine Gruppe dann aufsteht und sich wehrt, dann haben viele Leute mehr Verständnis als bei Protestaktionen von Menschen, die aus dem studentischen Milieu kommen und noch keinen gefestigten sozialen Status haben.
ZDFheute: Demokratie lebt von Meinungsaustausch und Kompromissen. Bestimmte Gruppen wollen aber ihre Forderungen maximal durchsetzen. Kommt uns langsam die Fähigkeit zum demokratischen Aushandeln abhanden?
Rucht: Zumindest das vergangene Jahr deutet in die Richtung, aber ich wäre vorsichtig mit einer Prognose, dass sich daraus eine langfristige Entwicklung ableiten lässt.
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In der Tat gibt es aber Signale, dass stark klientelorientierte Gruppierungen, wozu die Bauern zählen, für ihre Mitglieder das Maximale herausholen wollen. Das ist ihr primäres Interesse. Rhetorisch wird vom Einsatz für das Gemeinwohl gesprochen. Aber ich glaube, das kann man streichen.