Kriminalitätsstudie: Warum Ausländer überrepräsentiert sind

    Kriminalität durch Ausländer:Neue Studie: Wohnort spielt sehr große Rolle

    Katja Belousova
    von Katja Belousova
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    In der Polizeilichen Kriminalstatistik sind Ausländer überrepräsentiert. Woran liegt es, dass sie häufiger tatverdächtig sind? Laut neuer ifo-Studie vor allem am Wohnort.

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    Bild einer Razzia in Reutlingen: Laut einer neuen Studie entscheidet der Wohnort maßgeblich mit, ob Menschen kriminell werden oder nicht.
    Quelle: dpa

    Sind Ausländer in Deutschland krimineller als Deutsche? Wenn man sich dazu die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) anschaut, lautet das Ergebnis auf den ersten Blick: Ja. Ausländer sind darin überrepräsentiert. 2023 lag der "Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen bei den Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße" bei 34,4 Prozent - dabei machen Ausländer insgesamt nur rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
    Daraus wird häufig die Schlussfolgerung gezogen, dass Ausländer aufgrund ihrer Herkunft eher zu Kriminalität neigen als Deutsche. Doch sagt die Polizeiliche Kriminalstatistik das wirklich aus?
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    Studie: Wohnort der Tatverdächtigen ausschlaggebend

    Mit dieser Frage beschäftigt sich eine neue Studie des ifo-Instituts, die ZDFheute exklusiv vorliegt. "Wir haben uns die Daten der PKS von 2018 bis 2023 angeschaut und kommen zu dem Ergebnis, dass zumindest auf Basis dieser Daten nicht der Schluss gezogen werden kann, dass Ausländer aufgrund ihrer Herkunft krimineller sind als Deutsche", erklärt Ökonom Jean-Victor Alipour ZDFheute. Er hat die Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Joop Adema verfasst.

    Ein systematischer Einfluss von Migration auf Kriminalität ist nicht nachweisbar.

    Dr. Jean-Victor Alipour, ifo-Institut

    Ausschlaggebend sei laut Daten des PKS nicht die Herkunft, sondern der Wohnort der Tatverdächtigen. "Ausländer sind zum Großteil deshalb in der Statistik überrepräsentiert, weil sie häufiger als Deutsche in Ballungsräumen mit mehr Kriminalitätsdichte leben", sagt Alipour.

    Joop Adema arbeitet als Doktorand am ifo Zentrum für Migration und Entwicklungsökonomik, Dr. Jean-Victor Alipour ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien. "Die Auswertung von Statistiken, das Nachdenken über Ursache und Wirkung und das Erforschen ökonomischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge gehören zu unserer alltäglichen Arbeit, daher haben wir uns mit dem Thema beschäftigt", sagt Alipour ZDFheute.

    Städtische Gegenden kriminalitätsanfälliger

    Adema und Alipour sind auch dem möglichen Einwand auf den Grund gegangen, dass der Zuzug von Ausländern die lokale Kriminalitätsbelastung direkt verstärken könnte. Dieser Zusammenhang lasse sich aus den Zahlen jedoch nicht herauslesen: "Zwischen 2018 und 2023 ist kein Zusammenhang zwischen einer Veränderung im regionalen Ausländeranteil und der lokalen Kriminalitätsrate festzustellen", erklärt Alipour. Gleiches gelte im Speziellen für Schutzsuchende.
    Dass städtische Gegenden kriminalitätsanfälliger sind, liegt den Autoren zufolge unter anderem an ihrer Infrastruktur, wirtschaftlichen Lage, Bevölkerungsdichte und der Polizeipräsenz. Wenn die Polizei etwa in bestimmten Orten gezielt mehr ermittelt, stößt sie auch auf mehr Straftaten.
    Tatverdächtigenrate je 1.000 Einwohner

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    Welche Rolle spielen Alter und Geschlecht?

    "Zuwanderer ziehen häufiger in Gegenden mit generell höheren Kriminalitätsraten - auch unter Einheimischen", heißt es im Fazit der aktuellen ifo-Untersuchung.

    Vor Ort bleibt die Kriminalitätsrate zwar unverändert, doch in der nationalen Statistik werden Ausländer dadurch eher überrepräsentiert.

    ifo-Studie

    Das Alter oder Geschlecht der Verdächtigen würden laut ifo-Studie nur eine untergeordnete Rolle spielen. Demografische Faktoren wie der Altersschnitt und Anteil männlicher Einwohner eines Kreises erklärten regionale Kriminalitätsunterschiede nur geringfügig, so die Auswertung.
    Kriminologen betonen jedoch, dass Alter und Geschlecht durchaus eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob jemand kriminell wird. "Junge Männer - seien es Heranwachsende, männliche Jugendliche oder junge Erwachsene - sind bei der erfassten Kriminalität praktisch in allen Gesellschaften die am stärksten belastete Gruppe - unabhängig von Land oder Nationalität", sagt Kriminologe Tobias Singelnstein von der Uni Frankfurt.

    Fehlwahrnehmungen, Vorurteile - und die Folgen

    Die Autoren des ifo-Instituts schlussfolgern, dass es Fehlwahrnehmungen und Vorurteile gebe, die Migration als Sicherheitsrisiko sehen. Diese würden "mehrheitsfähige Strategien zur Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte" erschweren. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, gegen den Deutschland kämpfe und des Finanzierungsdrucks auf die Sozialsysteme könnten die Fehlwahrnehmungen "erhebliche volkswirtschaftliche Kosten" verursachen.

    Sarah Tacke und Samuel Kirsch von der ZDF-Redaktion Recht und Justiz, die das Phänomen Jugendgewalt in einer ZDF-Doku thematisiert haben, schreiben in ihrem Beitrag "Mit jungen Gewalttätern umgehen: Fünf Thesen":

    Nicht der Migrationshintergrund selbst, die Nationalität, das Geburtsland oder die Abstammung machen es wahrscheinlicher, dass Jugendliche gewalttätig werden. Risikofaktoren sind:

    • Erfahrungen mit Gewalt etwa im Elternhaus
    • eine "Ansteckungsgefahr" durch ein Umfeld aus kriminellen Freunden
    • häufiges Schwänzen der Schule
    • Alkohol- und Drogenkonsum
    • sowie geringe Bildungschancen und damit verbunden weniger rosige Aussichten auf einen guten Job und ein stabiles soziales Umfeld.

    Das gelte auch für Jugendliche ohne Migrationshintergrund - "nur kommen die Risikofaktoren eben bei Jugendlichen mit bestimmten Migrationsbiografien verbreiteter vor als bei Jugendlichen ohne solche".

    "Die Ergebnisse decken sich mit denen der internationalen Forschung", sagt Alipour. "Wir erörtern, wie Fehlvorstellungen beim Thema Migration verringert werden können und zeigen Möglichkeiten auf, Kriminalität bei Zugewanderten vorzubeugen."

    Bessere Daten zur Kriminalität gefordert

    In ihrer Studie schlagen Adema und Alipour daher zwei Dinge vor:
    • Fehlwahrnehmungen über Migration und Kriminalität abzubauen - etwa durch gezielte Maßnahmen in der Berichterstattung wie die Veröffentlichung der Herkunft aller Straftäter in allen gemeldeten Fällen
    • das Kriminalitätsrisiko zu reduzieren - durch bessere Integration und schnelleren Zugang von Ausländern zum Arbeitsmarkt. Bei der staatlichen Zuweisung Geflüchteter an Kommunen müsse zudem geschaut werden: Gibt es dort Chancen am Arbeitsmarkt? Und wie hoch ist die Kriminalitätsrate?
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    "Wir brauchen außerdem detailliertere Daten zur Kriminalität in Deutschland", appelliert Alipour. Denn die Polizeiliche Kriminalstatistik steht bislang nur zusammengefasst nach Kreisen zur Verfügung.
    "Hier wäre für eine bessere Forschung besonders wichtig, dass anonymisierte, personenbezogene Daten zu Straftaten für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt werden", sagt der Ökonom. "Am besten mit Möglichkeit zur Verknüpfung mit anderen Daten wie dem Wohnort oder dem Aufenthalts- und Erwerbsstatus."

    Die PKS ist eine sogenannte Ausgangsstatistik. Das bedeutet, dass in ihr die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Straftaten, einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche und der vom Zoll bearbeiteten Rauschgiftdelikte, abgebildet werden und eine statistische Erfassung erst bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen auch durch das Anzeigeverhalten in der Bevölkerung beeinflusst werden und neben dem "Hellfeld" ein "Dunkelfeld" nicht erfasster Straftaten bleibt.

    Nicht enthalten sind Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte (mit Ausnahme der Verstöße gegen §§ 315, 315b StGB und § 22a StVG), Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden, Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze, mit Ausnahme der einschlägigen Vorschriften in den Landesdatenschutzgesetzen.

    Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören (z.B. Finanz- und Steuerdelikte) bzw. unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und ausschließlich von ihr bearbeitet werden (z.B. Aussagedelikte), sind ebenfalls nicht in der PKS enthalten.

    Die PKS trifft auch keine Aussage darüber, welchen Verlauf das bei den Justizbehörden in Gang gesetzte Verfahren nimmt, ob also eine Verurteilung erfolgt. Es sind daher auch Fälle beinhaltet, in denen das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde oder es zu einem Freispruch durch das Gericht gekommen ist.

    Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2023

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    Quelle: dpa

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