War der Atomausstieg gerechtfertigt? Das wollte ein U-Ausschuss im Bundestag ergründen. Den Verdacht einer Vorabsprache zwischen Scholz und Habeck konnte der aber nicht beweisen.
Kanzler Scholz ist als letzter Zeuge im U-Ausschuss zum Atomausstieg befragt worden. Eine Rückkehr zur Atomenergie hätte dem Konsens aus den Vorjahren widersprochen.17.01.2025 | 1:39 min
Es hätte das buchstäblich heißeste Thema dieser Tage sein können: der Kampf um die Kernkraft, der tatsächliche Schlusskampf. Seit Juli hat ein von der Unionsfraktion im Bundestag eingesetzter Untersuchungsausschuss zu ergründen versucht, inwieweit der Ausstieg aus der Atomkraft 2023 gerechtfertigt war - trotz der allgegenwärtigen Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Der Verdacht klang berechtigt: Hat ein grüner Bundeswirtschaftsminister, der ja qua Partei ein Atomkraft-Gegner durch und durch ist, wirklich unbefangen die mögliche Fortsetzung geprüft? Mit engsten Beratern, die alle diese Energieform für eine Menschheitsgefahr halten? Von denen einer sogar in Mails die anderen lässig mit "Freunde des geordneten Atomausstiegs" adressierte?
Der Streitpunkt: Drei Atomkraftwerke
Konkret ging es um drei allerletzte Kernkraftwerke in Deutschland: "Isar 2" in Bayern, "Neckarwestheim" in Baden-Württemberg und "Emsland" in Niedersachsen. Diese drei hätten planmäßig mit dem Jahresende 2022 vom Netz gehen sollen - sechs Jahrzehnte nach Beginn der Kernkraft in Deutschland.
Doch was allseits so beschlossen war, und zwar federführend von einer schwarz-gelben Bundesregierung im Jahr 2011 unmittelbar nach dem Unfall von Fukushima, schien plötzlich unmöglich. Denn seit dem 24. Februar 2022 war Deutschland in größter Gefahr, unter einer massiven Energierkrise zu leiden.
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Die Abhängigkeit von russischem Gas war enorm. Sonnenklar erschien seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, dass Deutschland davon loskommen muss. Alle Alternativen mussten geprüft werden - eben auch die Kernkraft.
Scholz und Habeck bestreiten Festlegung
In zwölf Stunden Befragung, neun von Vizekanzler Robert Habeck und drei von Bundeskanzler Olaf Scholz, haben beide jegliche Vorfestlegung bestritten. Es sei - trotz aller grundsätzlichen Bedenken gegen die Atomkraft - wirklich ergebnisoffen geprüft worden.
"Die einzige Frage, worum es ging, hieß: Hilft es, und ist es umsetzbar", versicherte Habeck so oder ähnlich formuliert wieder und wieder. Im Zentrum habe für ihn die Versorgungssicherheit gestanden.
"Wir müssen heute feststellen, dass es diese ergebnisoffene Prüfung nicht gegeben hat", legte sich hingegen der Ausschuss-Vorsitzende Stefan Heck (CDU) fest.
Bereits im vergangenen April hatte Wirtschaftsminister Habeck seine Entscheidungen rund um den Atomausstieg verteidigt und Kritik zurückgewiesen, im Ministerium seien interne Bedenken unterdrückt worden.26.04.2024 | 1:50 min
Scholz nutzte seltenes Mittel
Die Lage war politisch heikel für die Ampel. Denn die FDP wollte vorerst gar nicht mehr aus der Kernkraft raus, die Grünen waren gegen jegliche Verlängerung von Laufzeiten.
Kanzler Olaf Scholz sagte als letzter Zeuge vor dem Ausschuss, mit Grünen und FDP sei damals keine Einigung zur weiteren AKW-Nutzung möglich gewesen. Er sei es daher gewesen, der eine begrenzte Laufzeitverlängerung durchgesetzt habe.
Scholz hatte dazu im Oktober 2022 seine Richtlinienkompetenz als Kanzler eingesetzt: sein höchstmögliches Machtwort. Das letzte Mal, dass ein Kanzler von diesem Recht Gebrauch machte, ist noch länger her als der Beginn der Kernkraft. 1957 löste Konrad Adenauer auf diese Weise einen Streit in der Familienpolitik.
Scholz wollte keine Entscheidung für Jahre treffen
Als eine Art "pater familias" stellte sich nun auch Scholz im Ausschuss dar. Ohne die anderen, also Habeck und Lindner, habe er wenige Tage vor einer Entscheidung mit den Betreibern der Atomkraftwerke gesprochen. Für sein Machtwort vom 17. Oktober 2022 sei das maßgeblich gewesen, eben weil seine beiden Minister untereinander sich nicht hätten einigen können.
"Wie lange kann man die Meiler noch weiterfahren, wenn man alle Brennstäbe auslutscht?" So habe er die Betrieber gefragt. Man komme damit durch den Winter, so die Antwort. "Kann man neue Brennstäbe reinsetzen?" - "Ja, aber man muss die dann mindestens fünf Jahre abbrennen."
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"Das wäre eine Entscheidung für dieses Jahrzehnt gewesen", so Scholz. Deswegen sei er für den Streckbetrieb gewesen. Seine Entscheidung: Wir nutzen alte Brennstäbe bis Mitte April 2023. So kam es dann.
Ausschuss konnte Verdacht nicht nachweisen
Im Ausschuss kursierte der Verdacht, dass Scholz damit Habeck einen Gefallen getan habe und alles abgesprochen gewesen sei.
sagte der Ausschussvorsitzende von der CDU. Vor seinen Grünen hätte Habeck die dreimonatige Verlängerung nur rechtfertigen können, weil der Kanzler ihn faktisch gezwungen habe.
Tatsächlich seien gegen fachlichen Rat wirklich längere Laufzeiten über mehr als drei Monate abgelehnt worden. Das aber konnte vom Ausschuss nicht nachgewiesen werden.
Das Kapitel Kernkraft bleibt damit abgeschlossen. Auch wenn Union, FDP und AfD diese weltweit nach wie vor populäre Energieform als Option erhalten wollen.
Wulf Schmiese ist stellvertretender Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin.
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