Wie das Bundesverfassungsgericht geschützt werden soll
Bundesverfassungsgericht:Parteien planen Schutzhülle für Karlsruhe
von Kristina Hofmann
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Die AfD erwähnt niemand. Doch darum geht es: Das Bundesverfassungsgericht soll vor dem Zugriff von Populisten geschützt werden. Darauf haben sich Ampel und die Union geeinigt.
Eine Reform der Ampelregierung und der Unionsfraktion soll die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts stärken. Grund ist die Sorge vor möglicher politischer Einflussnahme.23.07.2024 | 2:32 min
So viel Einigkeit ist selten. Und so viel Stille vorher auch nicht. Die Ampel-Parteien, CDU und CSU haben sich darauf geeinigt, wie das Bundesverfassungsgericht gestärkt werden kann. Da dafür das Grundgesetz geändert werden muss und dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig ist, ist die Bundesregierung auf die Mitarbeit der Union angewiesen.
Mit einer Reform soll das Bundesverfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme geschützt werden. ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke ordnet ein.23.07.2024 | 3:00 min
Acht Mal haben sich die Unterhändler aller Parteien getroffen und lange und intensiv, so berichten sie es, miteinander verhandelt. "Respektvoll, intensiv und leidenschaftlich", sagte am Dienstag ein sichtlich zufriedener Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Und das, "ohne, dass die Wasserstände an jeder Litfaßsäule in Berlin zu lesen waren."
Eine neue Gesetzesreform soll das Bundesverfassungsgericht zukünftig noch besser schützen. ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke mit den Antworten auf die wichtigsten Fragen. 23.07.2024 | 1:18 min
Was, wenn die Stimmung kippt?
Derzeit können wichtige Eckdaten des Bundesverfassungsgerichts recht leicht geändert werden. Dafür braucht es nur die Mehrheit der Stimmen im Bundestag. Bislang hat das jedoch niemand versucht, da die Parteien das Karlsruher Gericht im Großen und Ganzen gut fanden. So, wie es vor 75 Jahren im Grundgesetz verankert wurde.
Was aber, wenn sich die Stimmung einmal ändert? Wie in Polen, Ungarn, Israel, den USA, wo populistische Parteien versuchten, durch die Besetzung von Richterposten das Gericht politisch zu beeinflussen? Und dann Verfahren gegen Donald Trump plötzlich eingestellt werden?
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Seit die AfD in den Umfragen zulegt und es mit der BSW eine neue Partei einflussreicher wird, wachsen auch hierzulande die Befürchtungen mehr oder weniger. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte sich eher skeptisch geäußert. Vor allem, weil die Ampel die Stärkung des Gerichts als ihr alleiniges Projekt dargestellt hatte.
Diese Unstimmigkeiten sind nun vom Tisch. "Wir sind an dieser Stelle geschlossen und überzeugt", sagte Andrea Lindholz (CSU).
Ziel: Blockade verhindern
Konkret sollen nun einige Eckpunkte nicht mehr in dem einfachen Gesetz, sondern im Grundgesetz geregelt werden und damit schwerer zu ändern sein:
Der Status des Bundesverfassungsgerichts selbst.
Die Festlegung auf zwei Senate und 16 Richterinnen und Richter.
Die Bindung an die Urteile des Gerichts.
Das Recht, sich eine eigene Geschäftsordnung geben zu dürfen.
Die Amtszeit der Richterinnen und Richter von zwölf Jahren
Die Altersgrenze von 68 Jahren.
Das klingt technisch, sichert aber die Funktion des Verfassungsgerichts. Andernfalls könnte seine Kontrollfunktion über das Handeln von Bundestag und Bundesregierung ausgehebelt oder fast nutzlos werden. Wenn zum Beispiel die Geschäftsordnung mit einfacher Mehrheit geändert wird, könnten künftig Urteile nur noch nach Akteneingang fallen. Eine Eilverordnung gegen ein Gesetz vor Inkrafttreten wäre nicht mehr möglich.
Oder das Gericht würde in seiner Kontrollfunktion irrelevant, wenn zum Beispiel weitere Senate gegründet werden, in denen nur noch Richter einer bestimmten Partei das Sagen haben und dort die wichtigen Urteile gefällt werden. Oder indem jedes Urteil ausführlich begründet werden muss, und das Gericht nicht mehr hinterher kommt.
Anti-Blockade-Mechanismus umstritten
Neu ist auch ein Mechanismus, um eine Blockade bei der Besetzung von Richterstellen zu verhindern. Derzeit ist es so, dass in beiden Senaten je zur Hälfte die Stellen von Bundestag und Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Die Parteien machen Vorschläge. Sollte also nun ein Richter zum Beispiel im Bundestag keine Mehrheit bekommen und von einem Drittel der Stimmen blockiert werden, wählt der Bundesrat.
Und umgekehrt: Gibt es eine Blockade in der Länderkammer, wählt der Bundestag. Damit soll sicher gestellt werden, dass das Gericht trotzdem handlungsfähig bleibt.
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Bei dieser Regelung bekam die neue Harmonie zwischen den Parteien dann doch Risse. Denn dieser neue Mechanismus soll nicht ins Grundgesetz abgesichert werden. Kritiker hatten zuvor gesagt: Wenn man das nicht macht, könne man das Ganze auch gleich lassen. Auch die Länder hatten in einem eigenen Vorschlag dafür plädiert.
Die Verhandler gaben nun zu, dass man über diesen Punkt länger diskutiert hatte, so Konstantin von Notz (Grüne). "So eindeutig“ sei es nicht gewesen. Dagegen war offensichtlich die FDP. Minister Buschmann erläuterte auch warum: Dadurch, dass die Geschäftsordnung des Gerichts nun Verfassungsrang bekomme, könnte auch eine Minderheit im Parlament durch ein Normenkontrollverfahren ein mögliche Neuordnung verhindern, hofft er.
AfD beschwert sich
Bis Ende des Jahres, sagen die Parteien, soll das Grundgesetz nun geändert werden. Und sie hoffen, dass die Länder sich ihren Vorschlägen anschließen und selbst in ihren Landesverfassungsgerichtshöfen nachziehen. Vor allem dort, wo bei den nächsten Landtagswahlen die AfD Siegchancen hat, wie in Thüringen und Sachsen.
Bislang, so Grünen-Politiker von Notz, war die Gefahr, dass eine Partei sich am Grundgesetz vergreift eher abstrakt. Jetzt gebe es aber welche, "die den Laden brennen sehen wollen. Die, die die Verfassung abreißen und das Vertrauen in die Institutionen schwächen wollen." Welche er genau meinte, sagte er nicht.
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Die AfD meldete sich am Dienstag selbst. Eher müsse das Bundesverfassungsgericht vor diesen Parteien geschützt werden, teilte Vize-Bundessprecher Stephan Brandner mit.
Dass die AfD von diesen Reformüberlegungen ausgeschlossen sei, zeige "die miserable demokratische Kultur unter der Ampelregierung". Erst eine AfD-Regierung sei in der Lage, "die demokratischen Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht wirkungsvoll zu schützen", so Brandner.