Fachkräfte und Löhne: Sorgen vor AfD-Wirtschaftspolitik
Zuwanderung, Löhne, Klima:Ostdeutsche Sorgen vor AfD-Wirtschaftspolitik
von K. Belousova, T. Kugler, G. Kurth
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Welche Auswirkungen könnte die Wirtschaftspolitik der AfD auf Fachkräftezuwanderung, Löhne und die Transformationsbemühungen im Osten haben? Experten geben Antworten.
Laut Umfragen könnte die AfD in Sachsen und Thüringen stärkste Kraft werden, will dort regieren. Doch viele Unternehmen bezeichnen die Partei als Standortrisiko.19.08.2024 | 43:34 min
Die Umfragen vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sprechen eine klare Sprache: In beiden Bundesländern könnte die AfD als stärkste Kraft hervorgehen. Dabei scheint die Wirtschaftskompetenz der Partei bei der Wahlentscheidung nur eine untergeordnete Rolle zu spielen: In Sachsen attestieren ihr diese nämlich laut ZDF-Politbarometer nur 13 Prozent der Wählerschaft, in Thüringen sind es 12 Prozent.
Welche Antworten bietet die Partei auf drängende Wirtschaftsfragen? Und was bedeuten sie gerade für ostdeutsche Bundesländer wie Thüringen und Sachsen?
Vor der Landtagswahl in Sachsen liegt die CDU vor der AfD. Das geht aus dem aktuellen ZDF-Politbarometer hervor. ZDF-Experte Stefan Leifert zu den Umfragewerten. 09.08.2024 | 1:40 min
1. Fachkräftemangel und Zuwanderung
Laut Ifo-Institut werden alleine in Thüringen bis 2035 altersbedingt etwa 385.000 Personen aus dem Arbeitsleben austreten. "Die demografische Entwicklung ist in Westdeutschland auch nicht anders. Aber bei uns ist sie eher und schneller", erklärt dazu Jörg Dittrich, Präsident Zentralverband des deutschen Handwerks, im Gespräch mit ZDF frontal. Er fragt sich: "Schaffen wir das? Oder zeigen wir nur auf, wie es ganz langsam im Strudel nach unten geht?"
Was sagt Stefan Möller, Co-Vorsitzender des thüringischen AfD-Landesverbands, dazu? Seine Antwort:
Dass dieser Vorschlag abwegig ist, zeigte ZDF frontal bereits im Frühjahr, unter anderem im Gespräch mit der "Wirtschaftsweisen" Monika Schnitzer. Sie erklärte: "Wenn wir mehr Arbeit bei uns haben wollen, mehr Arbeitskräfte haben wollen, dann wird das am Ende nur über Zuwanderung gehen."
Deutschland solle mehr auf Geburten statt Zuwanderung setzen, um dem Fachkräftemangel beizukommen. Das fordert die AfD immer wieder. An der Machbarkeit gibt es berechtigte Zweifel.
von Katja Belousova und Tine Kugler
mit Video
An Fachkräftezuwanderung führt also kein Weg vorbei. Doch fremdenfeindliche Politik und Parolen sind wenig attraktiv im Werben um ausländische Fachkräfte. Davon weiß Carsten Fröhlich zu berichten. Er sucht als Recruiter weltweit nach Fach- und Arbeitskräften für Thüringen. Deutschland sei seiner Erfahrung nach nicht mehr so attraktiv für Arbeitende aus dem Ausland wie früher - vor allem Ostdeutschland nicht: "Da ist ein anderes Lohnniveau, das ist niedriger. Und teilweise gibt’s auch Probleme mit der Akzeptanz ausländischer Arbeitnehmer."
Auch Sabine Klisch, Leiterin der Markenkommunikation bei Jenoptik in Jena, sieht das Problem: "Es ist natürlich eines unserer Bedenken, wenn eben eine Politik betrieben wird, die gegen eine Willkommenskultur ist und die Leute nicht gerade einlädt, hierherzukommen, dass es dadurch noch schwieriger wird."
Im Wettbewerb um Arbeitskräfte aus dem Ausland könnte eine AfD in Regierungsverantwortung zum zusätzlichen Standortnachteil werden.
Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt. In Sachsen liegt die CDU vor der AfD, während in Thüringen die AfD vorne liegt. Das zeigt das aktuelle Politbarometer Extra.09.08.2024 | 1:22 min
2. Niedrige Löhne in Ostdeutschland
Ein zweites drängendes Problem sind die Löhne. 2023 verdienten Vollzeitbeschäftigte in Ostdeutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts durchschnittlich 824 Euro brutto pro Monat weniger als Kollegen im Westen. Das hat vor allem historische Gründe: Die neuen Bundesländer wurden als verlängerte Werkbank des Westens bekannt. Niedrige Löhne in Ostdeutschland waren attraktiv für Unternehmen - das wirkt bis heute nach.
Der Anteil der Beschäftigten, die weniger als 14 Euro die Stunde verdienen, ist in Sachsen (24,1 Prozent) höher als im Bundesdurchschnitt (21,1 Prozent). Das ergab eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (BSW) beim Statistischen Bundesamt aus dem Frühjahr.
In Thüringen könnte nach der Landtagswahl im September eine komplizierte Regierungsbildung folgen. Welche Koalitionsoptionen nach aktuellen Umfragen möglich wären.09.08.2024 | 1:16 min
Welche Antworten bietet da die AfD? Die Partei, von der Sachsens Spitzenkandidat Jörg Urban behauptet: "Wir sind die einzige Partei heute, die ohne Wenn und Aber sagt, wir müssen unsere arbeitende Bevölkerung wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen"?
Im Gespräch mit ZDF frontal rückt Urban weniger die Arbeitnehmer als die Arbeitgeber in den Fokus. Seine Antwort für faire Löhne lautet: "Die Unternehmen entlasten." Für ihn steht fest, Unternehmen würde gerne gute Löhne zahlen, aber am Ende müsse es "bezahlbar" bleiben.
Yve Fehring sprach mit Bürgern in Thüringen und Sachsen über ihre Ängste und Zukunftssorgen vor den Wahlen. Sie fing die Stimmung in den Ländern ein. 16.08.2024 | 1:48 min
An der Uni Jena forscht Klaus Dörre zur Lohnentwicklung im Osten. Der Wirtschaftssoziologe sieht das Problem vor allem in der niedrigen Tarifbindung. "Die Konsequenz kann eigentlich nur sein: tarifieren, tarifieren, tarifieren, und das müsste die Politik massiv stützen. Das wäre eigentlich ein richtiger Ansatzpunkt", erklärt er.
"Ich höre nichts von Stärkung des Tarifsystems, das ist eher das Gegenteil, was die wollen", analysiert Klaus Dörre. "Und das wird nicht bedeuten, dass die Löhne hochgehen", lautet sein Fazit.
nur etwa 17 Prozent der Betriebe an einen Tarifvertrag gebunden - deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt (24 Prozent). Damit liegt Sachsen deutschlandweit an drittletzter Stelle.
43 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung tätig (Bundesdurchschnitt: 49 Prozent). Auch in diesem Punkt liegt Sachsen auf dem drittletzten Platz.
3. Transformation der Wirtschaft zu erneuerbaren Energien
Dem demografischen Wandel und der Lohnungleichheit zum Trotz hat Ostdeutschland auch einen wirtschaftlichen Standortvorteil: Die Bundesländer bieten Spitzentechnologie in der Mikroelektronik, in der Softwarebranche und bei erneuerbaren Energien.
Das zeigt sich unter anderem beim Unternehmen Sunfire in Dresden. Es entwickelt Maschinen zur Herstellung von grünem Wasserstoff, der neben Solar und Windkraft als Hoffnungsträger der Energiewende gilt. Sunfire zählt in der Branche zu einem der globalen Marktführer. Geschäftsführer Nils Aldag spricht von einer "Chance für Arbeitsplätze, gerade in den Bereichen Automobil, Zulieferer-Industrie, Automobil-Industrie, Anlagenbau".
Die Wirtschaft im Osten Deutschlands erholt sich schneller von der Krise als im Westen. Grund dafür sind auch Großinvestitionen und die gestiegene Kaufkraft durch Lohnerhöhungen.03.07.2024 | 2:43 min
Der starke Zuspruch für die AfD bereitet ihm vor diesem Hintergrund jedoch Sorgen: "Eine Partei, die dagegen vorgeht, und sagt, das ist ein Märchen, das brauchen wir nicht, das ist eine links-grüne Ideologie, die beraubt uns dieser industriepolitischen Chance."
Denn die AfD leugnet in weiten Teilen den menschengemachten Klimawandel. Jörg Urban behauptet, es gebe "keinen wirklichen Beweis dafür, dass der Zusammenhang zwischen den Menschen gemachten CO2-Emissionen und dem Klima so stark ist, wie es dargestellt wird." Das steht im Widerspruch zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen.
Quelle: ZDF
Mehr zu dem Thema sehen Sie am Dienstag bei frontal. Am 20. August um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.
Dementsprechend gestaltet die Partei auch ihre energiepolitischen Forderungen und setzt auf Kohle sowie Atomstrom statt auf die Erneuerbaren. Kritik kommt von Wirtschaftsexperten wie Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft: "Dass wir Erneuerbare brauchen, steht doch außer Zweifel und die Alternative besteht doch auch hier nicht darin, dass man irgendwo in der Lausitz ein Atomkraftwerk hinsetzt". Erneuerbare Energien dürften längerfristig weniger kosten als fossile.
"Jeder Tag des Wartens erhöht die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels - weltweit", schrieb Hüther Ende Dezember.
Quelle: ZDF
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