Darf der Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und geheimdienstlich beobachten? Diese Frage entscheidet heute das Oberverwaltungsgericht Münster.13.05.2024 | 2:07 min
Fast zwei Monate lang hat das Oberverwaltungsgericht in Münster darüber verhandelt, ob der Verfassungsschutz die
AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen darf. Das gesamte Berufungsverfahren läuft bereits seit 2022. Eines ist dabei klar: Das Gericht hatte viel zu tun.
Verwaltungsgericht 2022: AfD ist Verdachtsfall
Über 10.000 Seiten Material hat das Bundesamt für Verfassungsschutz über die AfD gesammelt, das den Richterinnen und Richtern die
rechtsextreme Gefahr aufzeigen soll. Mit mehr als 470 Beweisanträgen hielt die AfD in der mündlichen Verhandlung dagegen.
Die AfD habe "ein Interesse, den Prozess hinauszuzögern", so ZDF-Reporterin Ann-Kathrin Jeske. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als "gesichert rechtsextremistisch einstuft", könne das zu einem Parteiverbotsverfahren führen.13.05.2024 | 3:47 min
Am heutigen Montag entscheiden die Richterinnen und Richter über die Frage, mit der die Luft im Rechtsstaat für die AfD dünner werden könnte: Ist die AfD ein rechtsextremer Verdachtsfall?
Ja, hatte 2022 die Vorinstanz, das Verwaltungsgericht Köln, entschieden - und damit den Weg für den Verfassungsschutz frei gemacht, die Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten.
Die AfD muss seither mit Spitzeln in den eigenen Reihen rechnen:
V-Leute, die der Verfassungsschutz in die Partei einschleusen und mit ihrer Hilfe Informationen darüber gewinnen darf, ob die AfD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
Seit Wochen gehen Menschen auf die Straße für Demokratie – und gegen die AfD. Die Diskussion über ein Verbot der Partei hat Fahrt aufgenommen. Wie wehrhaft ist unsere Demokratie?27.02.2024 | 9:53 min
Oberverwaltungsgericht: Verzögerungstaktik der AfD
Sollte das Oberverwaltungsgericht in Münster die Entscheidung bestätigen, würde sich für die Partei und ihre Jugendorganisation Junge Alternative erst einmal nicht viel ändern. Denn auch um die Junge Alternative geht es vor Gericht.
Die Partei und ihre Jugendorganisation werden auch jetzt schon beobachtet. Trotzdem hatte die AfD gute Gründe zu versuchen, die Entscheidung möglichst weit in die Zukunft hinauszuzögern.
Das Verwaltungsgericht in Köln hat bestätigt, dass die Junge Alternative vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft werden darf.06.02.2024 | 1:40 min
Mehr als 470 Beweisanträge, etliche Befangenheitsanträge und diverse Anträge auf Vertagung der Verhandlung dienten dazu, Zeit zu schinden. Anträge, die schriftlich eingereicht hätten werden können, wurden mündlich vorgetragen, sodass das Verlesen Stunden beanspruchte.
Verfassungsschutz könnte AfD weiter hochstufen
Warum? Schon vor Prozessbeginn Mitte März hatte die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass das
Bundesamt für Verfassungsschutz bald einen Schritt weiter gehen könnte und an einem Gutachten zur Hochstufung der AfD zum Status "gesichert rechtsextrem" arbeitet.
Der rechtsextreme Verdachtsfall, um den es in Münster geht, ist Stufe zwei. Die Hochstufung zur Kategorie "gesichert rechtsextrem" wäre die höchste Warnstufe und somit die dringlichste Warnung, die das Amt gegen Verfassungsfeinde aussprechen kann.
Laut "Süddeutscher Zeitung" will der Verfassungsschutz vor der Hochstufung allerdings das Urteil aus Münster abwarten. Der Partei dürfte deshalb daran gelegen gewesen sein, dass Verfahren hinauszuzögern.
Urteil Grundlage für Parteiverbotsverfahren?
Denn wäre die Partei ein obergerichtlich bestätigter rechtsextremer Verdachtsfall oder gar vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft, könnte das eine handfestere Grundlage für ein
Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht schaffen. Die Debatte, die bislang zögerlich und eher von Politikern in der zweiten Reihe geführt würde, könnte neue Fahrt aufnehmen.
Der Richterspruch am Montag wird vor allem eine Frage beantworten: Gibt es genügend Anhaltspunkte dafür, dass die AfD verfassungsfeindliche Ziele anstrebt? Wenn ja, gilt die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall.
"Ein Parteiverbot zielt darauf ab, Freiheit dadurch zu schützen, dass man Freiheit beseitigt", so der ehemalige Bundesverfassungsrichter Peter Müller.23.01.2024 | 7:55 min
Der Verfassungsschutz führt als Beleg dafür tausende Aussagen von insgesamt 750 AfD-Parteimitgliedern an. Sie sollen Beweis dafür sein, dass die Partei nicht nur legitime Kritik an Politik und Regierung übt, sondern das politische System als Ganzes verächtlich macht und dadurch eine Gefahr für die Demokratie sei.
Rechtsextreme Gesinnung: Einzelsicht oder Parteilinie?
Der Geheimdienst wirft der Partei und ihrer Jugendorganisation außerdem vor, deutsche Staatsbürger mit Migrationsgeschichte entrechten zu wollen. Als Beweise dienten Aussagen von AfD-Mitgliedern, die vor einem "Genozid am deutschen Volk" durch Einwanderer warnen und die "
Remigration" solcher Einwanderer fordern.
Bei einem Bürgertreff der AfD Im nordrhein-westfälischen Eitorf ging es unter anderem um das Thema "Remigration" - wie geht die Partei in der Öffentlichkeit damit um? 23.01.2024 | 2:25 min
Die AfD widersprach in der Verhandlung. AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch, der den Prozess für die Partei verfolgte, erklärte mehrfach: "Einzelne Mitglieder reden manchmal Blech". Solche Aussagen stünden aber nicht für die Gesamtpartei.
Die Richterinnen und Richter am Oberverwaltungsgericht Münster werden nun genau das entscheiden: Ob die rechtsextremen Aussagen in der AfD einzelne Entgleisungen sind oder prägend für die gesamte Partei.
Ann-Kathrin Jeske ist Reporterin in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.